Die Leiden der Lkw-Fahrer
5. Mai 2023Der Schlägertrupp kam ausgerechnet am Karfreitag, einem wichtigen kirchlichen Feiertag in Deutschland. Mit 18 sogenannter "Sicherheitskräfte" wollte ein Speditionsinhaber aus Polen gegen Dutzende seiner eigenen Fernfahrer vorgehen. Die Fahrer aus Georgien und Usbekistan blockierten auf der Autobahnraststätte Gräfenhausen in Hessen seine Lkw, um so seit Monaten ausstehende Lohnzahlungen zu erzwingen.
Die deutsche Polizei konnte das Rollkommando in letzter Sekunde stoppen. Der Streik dauerte schließlich rund fünf Wochen, bis die Forderungen der Brummi-Fahrer erfüllt wurden. Wie es hieß, habe der polnische Spediteur sich letztlich dem Druck seiner Auftraggeber gebeugt, darunter internationale Konzerne, die ihre Fracht anmahnten. Die Belange der Fahrer spielten - wenn überhaupt - nur eine untergeordnete Rolle.
Mehr Kontrollen gegen Missstände
Die Fahrer, die Wochen und Monate auf europäischen Straßen unterwegs waren, lebten in der Zeit ausschließlich in ihren Fahrzeugen. Der Arbeitskampf rückte die Situation im internationalen Straßentransport stärker in den Blickpunkt.
"Am meisten ärgert mich, dass diese Kollegen monatelang unterwegs sind, obwohl sie es nach EU-Recht eigentlich gar nicht sein dürften", sagt Reinhard Assmann, Rechtsexperte der Fahrergewerkschaft Transport und Logistik (GTL) im Gespräch mit der DW. Es gebe zu wenige Kontrollen.
Gütertransport meistens auf der Straße
Mehr als 70 Prozent aller Güter werden in Deutschland über die Straße transportiert. Damit sind Lastkraftwagen (Lkw) das meistgenutzte Transportmittel hierzulande. Wie in vielen anderen Branchen herrscht bei den Speditionen ein akuter Fachkräftemangel. Nach Schätzungen fehlen bis zu 80.000 Berufskraftfahrerinnen und Fahrer.
Immer mehr Fachkräfte aus osteuropäischen Ländern, in denen das Lohnniveau niedriger ist als in Deutschland, schließen im Rahmen der sogenannten "EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit" Arbeitsverträge mit Unternehmen in der Bundesrepublik ab. Im Jahr 2020 kam bereits jeder vierte sozialversicherungspflichtig beschäftigte Berufskraftfahrer im Güterverkehr aus Osteuropa.
"Der deutsche Fahrer kostet mehr als der tschechische, der tschechische kostet mehr als der ungarische oder der rumänische; der rumänische kostet mehr als der ukrainische, der ukrainische kostet mehr als der Philippino. Und so geht das Ganze immer weiter nach Osten", fasst ein Beamter der deutschen Autobahnpolizei in einer Reportage des Bayerischen Rundfunks die Situation zusammen.
Schwer durchschaubare Geschäftsmodelle
Im internationalen Straßentransport werden Aufträge in aller Regel an ein weitverzweigtes Netz von Subunternehmen vergeben, die oft im EU-Ausland Firmensitze haben. Nach jüngsten Schätzungen sind bis zu 3,8 Millionen Lkw-Fahrer auf den Straßen der EU im Einsatz. Westeuropäische Firmen wickeln internationale Transporte meist über ihre osteuropäischen Filialen ab. Details dieser schwer durchschaubaren Geschäftsmodelle sind nachzulesen in einem Dossier des Beratungsnetzwerks Faire Mobiliät.
Finanziert durch Mittel aus dem Bundesarbeitsministerium und vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wurden in Deutschland 13 Beratungs-Standorte eingerichtet. Dort können sich Fahrer aus Osteuropa in ihren Herkunftssprachen über arbeits- und sozialrechtliche Fragen informieren, denn oft kennen sie ihre Rechte gar nicht und haben zu wenige Kenntnisse der deutschen Sprache.
"Aus unserer Sicht ist das wohl größte Problem, dass wir ein sehr unübersichtliches Geflecht von Vergabe und Untervergabe von Aufträgen haben in der Transportindustrie", sagt Dominique John, Leiter des Netzwerks Faire Mobilität gegenüber der DW. "Und dass bei diesen Subunternehmern viel Geld verdient wird, weil Lkw-Fahrer, die für sie arbeiten, mit unterschiedlichen Vertragskonditionen schlicht und ergreifend ausgebeutet werden. Da herrscht inzwischen eine Wildwest-Mentalität."
Welcher Mindestlohn gilt?
Wie in Deutschland müssen Angestellte von Transportunternehmen im EU-Ausland nach den am jeweiligen Standort geltenden Mindestlohn-Tarifen bezahlt werden. Vor allem in Osteuropa sind die Mindestlöhne meist niedriger. Spesen und Übernachtungspauschalen werden dort von den Arbeitgebern oft als Lohnbestandteile behandelt, obwohl sie eigentlich zweckgebunden sein sollten, etwa um Kosten für Verpflegung und Unterkunft auszugleichen. Deshalb schlafen osteuropäische Fahrer in ihren Fahrerkabinen und bereiten ihre Mahlzeiten mit dem Gaskocher zu, wie auf allen Autobahn-Rastplätzen in Deutschland regelmäßig zu beobachten ist.
Führen Speditionen aus Niedriglohnländern Transporte in Deutschland durch, steht den Fahrern in vielen Fällen eigentlich der höhere deutsche Mindestlohn zu. Die Einzelheiten dazu sind zwar in der sogenannten Entsenderichtlinie der EU geregelt, aber selbst für Juristen nur schwer zu durchschauen.
"Verzettelung der Kontrollbehörden"
Wie soll das erst im Alltag gelingen? Zumal in Deutschland eine "Verzettelung der Kontrollbehörden" herrscht, wie es GTL-Experte Assmann formuliert: "Die Polizei ist für normale Verkehrskontrollen zuständig, also für Verkehrsverstöße, eventuell noch für die Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten; das Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) für die Frachtpapiere; der Zoll für den Mindestlohn und für die Arbeitszeiten das Amt für Arbeitsschutz."
Effektive Kontrollen seien deshalb praktisch unmöglich, meint Assmann. Zu allem Überfluss gebe es für die einzelnen Bereiche in jedem Bundesland auch noch unterschiedliche Zuständigkeiten der Behörden. "Deswegen herrscht eine völlige Frustration beim Fahrpersonal."
Mehr Transparenz und Digitalisierung
Mehr Transparenz der Vertragsgestaltung mit Fahrern aus Drittstaaten aber auch aus der EU fordert Dominique John von Faire Mobilität. Elektronische Frachtbriefe sollten so schnell wie möglich eingeführt werden. Damit könnte man die Kette der Subunternehmer schnell nachvollziehen und mit einem Blick den eigentlichen Auftraggeber identifizieren. Außerdem sollte die Untervergabe von Aufträgen auf eine bestimmte Anzahl begrenzt werden.
"Die Arbeits- und Lebenssituation der Fahrer müsste verbessert werden. In Deutschland ist beispielsweise die Parkplatzsituation für Lkw fürchterlich", weist John auf weitere Probleme des Fahrpersonals hin. Es gebe zu wenig sichere Parkplätze, wo die Trucks so sicher abgestellt werden könnten, dass die Fahrer sich nachts oder während der Ruhezeiten nicht auch noch gleichzeitig um die Sicherheit ihrer Ladung kümmern müssten.
Der Zugang zu sanitären Einrichtungen oder sogar schlicht und einfach zu Wasser sei oft zu teuer. "Uns sagen immer wieder Fahrer aus dem Ausland, aus Polen oder Rumänien, dass sie Wasser mitbringen würden, wenn sie durch Deutschland fahren, weil sie sich nicht sicher sein können, dass sie auf deutschen Raststätten ohne Bezahlung an Wasser kommen", so John. "Wenn man sich mal überlegt, dass diese Männer - und es gibt ja auch Frauen, die diesen Job machen - dass die teilweise wochenlang in ihren Lkw leben. Das ist wirklich eine Situation, die man sich gar nicht vorstellen kann."