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Die Linke nach Lafontaine

15. Mai 2010

Die Sozialisten stehen vor wegweisenden Entscheidungen - personell wie inhaltlich. Auf dem Parteitag in Rostock wird eine neue Führungsspitze gewählt. Aber das ist längst noch nicht alles.

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Eine Anhängerin der Linken trägt eine rote Umhängetasche aus Kunststoff mit dem Text 'Hier kommt Die Linke' (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

Die langjährigen Vorsitzenden Oskar Lafontaine und Lothar Bisky treten ab. Und nach den jüngsten Wahlerfolgen auf Bundes- und Landesebene geht es mehr denn je darum, ob die Linke eher auf Regieren oder Opponieren setzen will. Diese Frage dürfte auch im Zusammenhang mit dem neuen Programm stehen, das sich die Partei bis Ende 2011 geben will.

Rückenwind verspürt die 2007 aus der ostdeutschen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und der westdeutschen Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) hervorgegangene Linke allemal. Am vergangenen Sonntag zog sie mit 5,6 Prozent erstmals in den Landtag von Nordrhein-Westfalen ein. Jeder sechste Einwohner Deutschlands lebt hier, entsprechend groß ist der Einfluss auf die Bundespolitik.

Einfluss über den Bundesrat

Aktuell äußert sich der Einfluss der Linkspartei vor allem darin, dass die konservativ-liberale Bundesregierung ihre Mehrheit in der Länderkammer, dem Bundesrat, verloren hat. Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen muss Bundeskanzlerin Angela Merkel nun auf die Opposition zugehen, die aus Sozialdemokraten, Grünen und eben Linken besteht.

Ein skeptisch dreinblickender Lothar Bisky, der sich nachdenklich mit der rechten Hand an die Nase fasst. (Foto: AP)
Kein Grund zur Skepsis mehr: Lothar BiskyBild: AP

Er habe sich gar nicht ausmalen wollen, was ein Scheitern bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen für die Politik, aber vor allem für seine Partei bedeutet hätte, sagte der noch wenige Tage amtierende Vorsitzende Bisky. Der Erfolg sei vor allem deshalb ein Erfolg, weil es sich um das bevölkerungsreichste Land der Bundesrepublik handele, das "tiefer Westen" sei. "Ich komme aus dem tiefen Osten und stelle fest, dass wir jetzt in sieben westdeutschen Parlamenten sind. Bald sind wir überall", prophezeit Bisky.

Rot-Rot in der Hauptstadt

In den sechs ostdeutschen Ländern einschließlich Berlin ist die Linke traditionell stark und in sämtlichen Parlamenten vertreten. In der deutschen Hauptstadt regiert sie seit 2002 in einem rot-roten Bündnis mit den Sozialdemokraten. Deren ehemaliger Bundesvorsitzender Lafontaine gilt als entscheidende Kraft für die erfolgreiche Ausdehnung der Linken in den Westen. Zusammen mit Bisky bildet er seit der Parteigründung eine Doppelspitze, die auf dem Parteitag am Samstag (15.05.2010) in Rostock neu gewählt wird.

Der 66-jährige Lafontaine und der 68-jährige Bisky werden nicht mehr kandidieren. Bei Lafontaine gab neben dem Alter auch eine Krebs-Erkrankung den Ausschlag. Allerdings werden beide ihren Einfluss weiterhin geltend machen. Lafontaine als Fraktionschef der Linken im saarländischen Landtag, Bisky als Europa-Parlamentarier in Brüssel, wo er die Fraktion anführt. Außerdem ist er Vorsitzender der Europäischen Linken.

Gegen Regierungsbeteiligungen?

Welchen Kurs die deutsche Linke ohne ihr abtretendes Führungsduo einschlagen wird, ist schwer einzuschätzen. Während Bisky als Pragmatiker gilt, wird Lafontaine von vielen nachgesagt, im Zweifelsfall eher auf Opposition zu setzen. "Quatsch", entgegnet der Saarländer, er habe nichts gegen Regierungsbeteiligungen.

Die Vorsitzende der Partei 'Die Linke' Oskar Lafontaine, Archivbild vom 20.06.2009 (Foto: AP)
Lafontaine: "Es kommt auf die Bedingungen an."Bild: AP

"Der Streit ist immer nur der, unter welchen Bedingungen, das ist ja wohl ein zulässiger Streit", meint Lafontaine und verweist auf die Querelen in anderen Parteien.

In der Tat wird nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen in allen politischen Lagern darüber gestritten, wer mit wem koalieren könnte. Rechnerisch möglich sind eine Große Koalition aus Sozial- und Christdemokraten sowie mehrere Dreier-Bündnisse. Die Linke zeigt sich offen für ein rot-rot-grünes Bündnis, wenn die SPD einen Kurswechsel in der Sozial- und Bildungspolitik einleiten würde.

Konservative und Liberale warnen vor Kommunisten

Konservative und Freidemokraten hatten im Wahlkampf vor einer solchen Koalition gewarnt. Es würde die Rückkehr der Kommunisten an die Macht bedeuten. Der scheidende Linken-Chef Bisky ist diese Art der politischen Auseinandersetzung seit Jahren gewohnt und nimmt sie inzwischen routiniert gelassen zur Kenntnis. "Wenn wir jetzt immer noch als Linksextremisten eingestuft werden, dann muss ich doch wirklich fragen, ob das noch mit realen Überlegungen zusammenhängt oder nicht", sagt der Parteichef auf Abruf mit einem Lächeln.

Die Konservativen verweisen derweil auf antikapitalistische Strömungen innerhalb der Linken, namentlich die Kommunistische Plattform, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch programmatische Forderungen wie die Verstaatlichung des Bankwesens sind aus Sicht der reinen Markt-Befürworter Beleg für die von der Linken ausgehende Gefahr. Lafontaine indes hält diesen Vorwurf eher für ein Lob und Bestätigung seiner seit Jahren vertretenen Auffassung. "Wir sind der absoluten Überzeugung, dass ein privater Bankensektor in der heutigen Zeit mit den weltweiten Konzentrationsprozessen die Demokratie gefährdet und aushöhlt", meint der ehemalige Sozialdemokrat.

Neue Doppelspitze: Lötzsch und Ernst

Auf Lafontaine und Bisky soll auf dem Rostocker Parteitag ein neues Duo folgen: Die aus dem Osten stammende Finanzexpertin Gesine Lötzsch und der westdeutsche Gewerkschaftsprofi Klaus Ernst. Ihre wichtigste Aufgabe wird es sein, das künftige Programm der Linken zu gestalten. Der Entwurf liegt seit März vor und trägt erkennbar die Handschrift Lafontaines. Ende 2011 soll es in einer Urabstimmung der rund 78 000 Partei-Mitglieder gebilligt werden.

Porträtfotos von Klaus Ernst und Gesine Lötzsch (Foto: dpa)
Neues Führungsduo: Klaus Ernst und Gesine LötzschBild: picture-alliance/dpa

Die 48-jährige Lötzsch wünscht sich eine breite Diskussion des Programm-Entwurfs. "Wir müssen uns auch fragen, wie man die Ergebnisse der eigenen Arbeit mit diesem Entwurf in Übereinstimmung bringen kann", sagt sie und denkt dabei wohl auch an die Kompromisse, die ihre Partei als Koalitionspartner der SPD in der Berliner Landesregierung eingehen muss. "Aber ich denke, die Grundrichtung dieses Programm-Entwurfes wird bleiben", glaubt Lötzsch, die ihr Bundestagsmandat direkt gewonnen hat.

Partei-Basis soll mitentscheiden

Während die Berlinerin als Befürworterin von Regierungsbeteiligungen gilt, hegen bei Klaus Ernst manche Zweifel. Der 55-jährige Bayer gehörte zu den Mitbegründern der westdeutschen WASG, die in der Linken aufgegangen ist. Eine Stärkung der Basis ist ihm besonders wichtig. Die Mitglieder wollten zu politischen und inhaltlichen Themen befragt werden, vermutet Ernst. "Unsere Position dazu ist, dass Mitglieder-Entscheide über Koalitionsverträge sicherlich angebracht sind."

Klaus Ernst und Gesine Lötzsch treten auf jeden Fall ein schweres Erbe an. Sie werden unweigerlich an den politischen Schwergewichten Oskar Lafontaine und Lothar Bisky gemessen werden. Bei allen Unterschieden im Detail eint sie alle ein politisches Ziel: die Überwindung des Kapitalismus in seiner real existierenden Form. Was Kritiker als Beweis für die angebliche Demokratie-Feindlichkeit der Linken werten, ist aus deren Sicht das genaue Gegenteil. Bisky formuliert es so: "Kein Sozialismus ohne Demokratie! Das steht auch im Programm-Entwurf."

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Kay-Alexander Scholz