Musikszene Dänemark
8. Mai 2014Beim Eurovision Song Contest sind schrilles Outfit und seltsame Marotten mittlerweile oft wichtiger als die Musik. Schräge Frisuren und befremdliche Tanzeinlagen lassen vermuten, dass die Teilnehmer nicht mehr nur auf regelmäßige Gesangsstunden achten, um ihre Chancen zu erhöhen: Auch der äußere Schein sorgt für gute Abstimmungsergebnisse.
Trotzdem kristallisiert sich jedes Jahr im Frühling beim ESC so mancher Hit heraus, der dann im Sommer in ganz Europa rauf und runter gespielt wird. Ein Journalist des Magazins New Yorker, den es 2010 zur Show nach Norwegen verschlug, schrieb damals: "Die Show genießt man am besten mit ein paar Gläsern Alkohol."
Abseits von komischen Einlagen und unangebrachtem Patriotismus - daher dürfen die Zuschauer auch nicht für ihr eigenes Land stimmen – stehen durchaus auch echte Musiktalente auf der Bühne. Die dänische Vorjahressiegerin Emmelie de Forest riss das Publikum mit ihrem mitreißenden Lied "Only Teardrops" mit – ganz ohne besondere Aufmachung.
Grund zum Optimismus
Am 9. Mai könnte eine eingängige Ballade an albernen Akkordeon-Einlagen vorbei ins Finale einziehen. Das zumindest glauben viele Dänen, die diesjährigen Gastgeber des Wettbewerbs. Mit dem marokkanisch-stämmigen Sänger Basim und seinem Titel "Cliché Love Song" schicken sie einen gefühlvollen und gleichzeitig humorvollen Kandidaten ins Rennen. Sollte er gewinnen, wäre das die vierte ESC-Krone für Dänemark.
Betrachtet man die jüngere Geschichte des Wettbewerbs, haben die Dänen allen Grund, sich optimistisch zu geben. Seitdem 2004 das Halbfinale eingeführt wurde, hat sich das Land schon neunmal fürs Finale qualifiziert. Das entschädigt für die mageren Ergebnisse in den 1990er Jahren, die dazu führten, dass Dänemark zweimal auf die Teilnahme verzichtete.
Den ersten Sieg verbuchte das Land 1963 mit "Dansevise" von Grethe & Jorgen Ingmann, doch ein verheerender letzter Platz drei Jahre später - und auch damals zog sich Dänemark über zehn Jahre lang aus dem Wettbewerb zurück.
Hinter den Kulissen
Seit jenen frühen Tagen des Eurovision Song Contest hat sich viel verändert – so auch die Rolle Dänemarks in der Musikindustrie. Das alljährliche Roskilde Festival für Rockfans und das Kopenhagener Jazz Festival streichen sich Musiker und Fans längst als festen Termin rot im Kalender an.
Musikerziehung wird in Dänemark groß geschrieben, und so hat das Land einiges an musikalischem Nachwuchs zu bieten. Das stattlich betriebene Königlich Dänische Musikkonservatorium in Kopenhagen nimmt nur wenige hundert Studenten gleichzeitig auf – mit dem Ziel, sowohl in der Klassik als auch im zeitgenössischen Genre einige der weltweit qualifiziertesten Musiker heranzuziehen.
Songwriter und Produzenten aus dem Popbereich haben eine ganze Reihe von Hits geschaffen, die nicht nur in Europa, sondern auch in Großbritannien und den USA im Radio laufen. Nachdem die dänische Elektropop-Sängerin Nanna Fabricius - alias Oh Land - 2010 in der in den USA überaus populären David Letterman Show auftrat, wurde sie in den Staaten als das Gesicht für dänischen Pop gehandelt, doch hinter den Kulissen sind noch viel mehr Dänen am Werk.
"Somebody that I Used to Know", der Megahit der australischen Band Gotye, stammt nicht nur aus der Feder eines Dänen, er war 2012 auch der meistgespielte Song in Dänemark. Bands wie Destiny's Child oder Wanted and Faithless lassen ihre Lieder von Dänen schreiben. Kim Nowak-Zorde und Daniel Fält, zwei der Songwriter, die für Basims ESC-Beitrag in diesem Jahr verantwortlich sind, haben früher für die Boygroup Take That getextet. Und "Satellite", der Sieger-Song der Deutschen Lena Meyer-Landrut, wurde damals vom Dänen John Gordon produziert.
Die in Kopenhagen ansässige Urheberrechte-Agentur Koda sammelte 2012 weltweit rund 6,4 Millionen Euro für Musikstücke ein, die von ihren 36.500 Mitgliedern produziert wurden. Doch trotz beeindruckender Zahlen können die Musiker des Landes in den Charts nicht auf so viele Erfolge als Songwriter und Produzenten verweisen wie ihre skandinavischen Nachbarn. Schweden, das Gastgeberland des letzten ESC, ist seit Jahrzehnten für seinen musikalischen Einfallsreichtum bekannt. Es sind Schweden, die hinter Hits von Pitbull und Britney Spears bis hin zu Kelly Clarkson und Katy Perry stehen. Und das norwegische Produzenten-Duo Stargate hat mittlerweile so einen guten Namen, dass Pop- und Hip-Hop-Stars Schlange stehen, um mit ihnen arbeiten zu dürfen. Im Vergleich dazu ist Dänemarks Anteil am internationalen Popmarkt eher gering.
Sprachbarriere auf Dänisch
Zum Teil könnte das daran liegen, dass viele Musiker lieber in ihrer Muttersprache singen. Obwohl jeder dänische ESC-Beitrag seit 1999 sowohl auf Englisch geschrieben als auch gesungen wurde, konnten die Teilnehmer beim Vorentscheid "Dansk Melodi Grand Prix" bis 2005 nur mit einem dänischen Lied antreten.
Medina, eine der größten dänischen Stars, wurde in ihrer Heimat mit dänischen Liedern bekannt – und noch heute singt sie in ihrer Muttersprache. Obwohl sie in Dänemark über zehn Top Ten-Hits landete, schaffte sie ihren internationalen Durchbruch erst 2009: Damals wurde ihr Hit" Kun for Mig" als "You and I" auch auf Englisch produziert und in Großbritannien sofort ein Renner. Seitdem erscheinen Medinas Lieder meist zweisprachig. Ihre Single "Forever" hielt sich 2012 in den deutschen Dance Charts monatelang ganz weit oben – ein Jahr nachdem sie als "For Altid" schon im dänischen Radio rauf- und runter gespielt wurde.
"Wenn ich einen internationalen Hit landen will, muss er natürlich auf Englisch sein", bestätigte die dänische Songwriterin Engelina Andrina, Co-Autorin des Liedes. Sie hat schon mit vielen dänischen Popstars zusammengearbeitet und englische Songs produziert , so auch mit Infernal und Electric Lady Lab. Auch für Kylie Minogue and Busta Rhymes hat sie schon Songs geschrieben. Wenn man von der Sprache mal absehe, gäbe es kaum Unterschiede zwischen der Musik für ein dänisches oder ein internationales Publikum, meint Andrina. "Melodie, Hookline und der Prozess des Schreibens - das bleibt alles gleich. Der dänische Sound ist sehr international. Leider stehen die Dänen allem skeptisch gegenüber, was irgendwie zu kommerziell klingen könnte. Aber für Musiker bedeutet Kommerzialisierung bares Geld, und so müssen sie sich zweimal überlegen, ob sie nur auf Dänisch arbeiten wollen."
Andrina ist optimistisch, was die Zukunft angeht: "Es gibt viel Talent da draußen. Dänemark hat wirklich viel Potenzial." Es gäbe also überhaupt keinen Grund, findet sie, auf dem Musikmarkt nicht so berühmt zu werden wie Schweden. "Uns fehlen nur noch die großen Namen."