Die Münchner Rapperin Ebow im Interview
6. November 2015Deutsche Welle: Wann hast Du angefangen, Dich für Hip-Hop zu interessieren?
Ebow: Ich bin als kleines Kind dazu gekommen, weil meine Tante früher ganz oft auf mich aufgepasst hat. Die war damals so alt wie ich heute ungefähr. Im Fernsehen gab es meistens nur R’n’B und Hip-Hop – die MTV-Charts waren voll damit. Dann saß ich halt als kleines Kind den ganzen Tag davor und wollte eigentlich Kinderfernsehen schauen, aber sie meinte ‚Ne, wir schauen jetzt MTV an‘. Das war eine gute Entscheidung und ich kann mich sogar noch an die Videos erinnern: Als ich vier Jahre alt war, habe ich ‚Bills Bills Bills‘ von Destiny’s Child gesehen. Und irgendwann bin ich halt dazu gekommen, auch selbst zu schreiben.
Was gefällt Dir denn am Genre Hip-Hop musikalisch und textlich?
Alle meine Cousins haben früher Hip-Hop gehört, so 2Pac und so, aber selber kein Wort Englisch verstanden. Es soll hier aber nicht nur um meine Cousins gehen – es geht um die vielen Leute mit Migrationshintergrund, die sich von Hip-Hop verstanden gefühlt haben. Das ist eine Musik, die durch die Präsentation und die Aura, die sie den Leuten gibt, den Leuten klar machen kann: ‚Hey, wir verstehen Deine Probleme‘. Das ist echt bemerkenswert, und das gibt’s, glaub ich, in nicht so vielen Genres. Vor allem, es geht nicht ums Gesungene. Es ist ja nicht so, dass ein Rapper singt und dass man sagt ‚Die Stimme berührt mich‘, sondern es ist echt die komplette Energie, die da drin steckt.
Hip-Hop ist ja ein sehr freies Genre, es gibt da ganz viele unterschiedliche Strömungen. Ist das auch etwas, was Dich an dieser Musik interessiert?
Auf jeden Fall - und es kommen auch immer wieder neue Rapper dazu, die ich super interessant finde. Ich komm‘ halt einfach aus dem Hip-Hop und bin damit groß geworden. Das ist ein Teil von mir. Ich hab‘ das schon immer geliebt.
Trotzdem habe ich bei Deinen Texten das Gefühl, dass du nicht unbedingt darauf abzielst, die klassischen Hip-Hop-Klischees wiederzugeben. Worum geht es in Deinen Texten?
Da müsste ich wissen, welche klassischen Hip-Hop-Klischees das wären…
Naja: dicke Autos, viel Geld, Party machen und so weiter.
Ja gut, aber da gibt es auch genug Rapper, die das Gegenteil machen. Und die Frage ist jetzt, warum ich das nicht so mache? Einfach, weil es nicht Teil meines Lebens ist. Ich habe noch nicht einmal einen Führerschein, also kann ich nicht über dicke Autos rappen. Ich rappe darüber, was mich beschäftigt und das sind nicht dicke Autos, Cash und so weiter.
Was beschäftigt Dich denn dann? Was ist Dir wichtig in Deinen Texten?
Mir ist ganz wichtig, wie ich bestimmte Dinge wahrnehme, wie Dinge sich in dem Raum um mich herum entwickeln und wie Leute über etwas denken. Ich versuche, mich auch ganz oft in die Perspektive von jemand anderen zu versetzen. Ich versuche, Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen und darüber zu schreiben. Bei mir geht es ganz viel um Gefühle. Ich könnte keinen Text schreiben, wo ich keine Gefühle hätte. Wobei ich nie Texte schreibe, wenn ich Hass empfinde gegenüber etwas – wobei Hass auch ein berechtigtes Gefühl ist. Aber mir ist die Musik so wichtig, ich will da nicht mit so etwas Negativen wie Hass rangehen und einen Text schreiben – auch wenn mich viele Sachen sauer machen. Aber dann nehme ich mir lieber die Zeit, versuche runterzukommen und zu überlegen, wieso ist das eigentlich so? Und wenn man beachtet, dass Hass eigentlich aus Angst entsteht, dann muss man sich fragen, woher kommt diese Angst? Und dann kann man irgendwie aus einer ganz anderen Sichtweise die Texte schreiben.
Hip-Hop ist ja eine klassische Männer-Domäne, Du bist als türkischstämmige Deutsche dazu gekommen. Warst Du mit vielen Klischees und Vorurteilen konfrontiert? Musstest Du Dich durchkämpfen?
Das mit ‚Du bist eine Frau im Hip-Hop. Hattest Du da irgendwie Probleme?‘ wurde ich schon ganz oft gefragt. Und meine Antworte lautet: Nein! Alle Jungs, die ich kenne, supporten das. Die ganzen Rapper aus München sind supercoole Jungs. Und auch alle anderen Rapper, die ich kennenlerne, die finden das cool. Ich habe noch nie von irgendeinem Hip-Hopper gehört: ‚Ah, Du bist ‘ne Frau, das kannst Du nicht machen.‘ Ich glaube, das kommt irgendwie aus den Neunzigern oder Achtzigern. Sicher gibt es Leute, die diese Meinung vertreten, aber ich bin zum Glück noch nie einem von diesen Idioten begegnet.
Türkischstämmig und eine emanzipierte Frau – das passt für viele hier in Deutschland nicht zusammen. Woran liegt das?
Ich glaube, das ist ein krasses Medienbild, das man von der türkischen Frau hier hat. Wie ist die türkische Frau? Die sitzt den ganzen Tag zu Hause? Was macht die so? Nee, alleine in München, wo ich herkomme, gibt es Ayzit Bostan (türkischstämmige Modedesignerin, Anmerkung der Redaktion), die ist der Wahnsinn in ihrem Bereich. Es gibt noch viele weitere Frauen, die auch einen Migrationshintergrund haben und starke Frauen sind, wo ich mir denke: ‚Hey, Hut ab, richtig geil, was die machen.‘ Deswegen glaube ich, wenn man diese Leute mehr in den Vordergrund rücken würde anstatt irgendwelche Ehrenmord-Sachen oder einen anderen Quatsch, dann würde man auch ein anderes Bild davon bekommen.
Triffst Du denn selber auf Vorurteile?
Kommt drauf an. Eher selten und wenn, dann nehme ich das auch nicht ernst. Wenn da jemand blöde Fragen stellt, dann lache ich drüber. Ich meine, so Sachen wie ‚Isst Du Schweinefleisch?‘, ‚Trägt deine Mutter ein Kopftuch?‘ und so weiter – irgendwann beschäftigt man sich, glaube ich, nicht mehr damit.
Wie war denn Dein Zuhause? Kannst Du mal beschreiben, wie Du aufgewachsen bist?
Als ich aufgewachsen bin, war ich sehr oft unterwegs oder bei meiner Oma. Weil meine Mama im Europäischen Alevitischer Verein politisch aktiv war (Aleviten: Mitglieder einer vorwiegend in der Türkei beheimateten islamischen Glaubensrichtung, die in Deutschland als Glaubensgemeinschaft anerkannt ist, Anmerkung der Redaktion). Da war sie Frauenvorsitzende und deswegen immer auf Tour. Und ich war als Kind auch immer bei solchen Podiumsdiskussionen mit dabei – total lustig. Meine Mama hat noch vier Geschwister, die alle hier sind, und mein Papa hat auch vier Geschwister. Ich bin in einer großen Familie großgeworden. Ich bin zwar ein Einzelkind, aber ich komme mir halt überhaupt nicht so vor, weil ich so krass viele Cousins und Cousinen habe.
Wie wichtig war Musik bei Euch in der Familie?
Musik ist bei uns etwas, was allgegenwärtig ist. Irgendwie wird bei uns zuhause die ganze Zeit gesungen. Meine Oma singt, meine Mama singt, mein Papa singt, meine Mama spielt Saz. Es geht gar nicht darum, dass man jetzt super schön singen kann oder irgendjemand was zeigen, sondern es wird halt durchgehend gesungen. Also Musik war deswegen immer so ein Bestandteil. Oder wenn ich bei meinen Tanten bin, dann wird getanzt, man macht Musik an und es wird getanzt. Es war gar nicht so schwer, glaube ich, zur Musik zu kommen und diesen Mut aufzubringen‚ sich auf die Bühne zu stellen und zu rappen oder zu singen.
Wie groß ist der türkische Einfluss in Deiner Musik?
Ich hab als kleines Kind sehr viel türkische Musik gehört - türkischen Pop. Und meine Eltern haben ganz viele türkische Konzerte organisiert. Ich hatte dann eher eine Abneigung gegen türkische Musik und bin dann durch meine Tante zum Hip-Hop gekommen und fand das alles viel, viel cooler. Und dann bin ich irgendwie mit der Zeit wieder auf die alten türkischen Sachen aufmerksam geworden. Ich bin ganz oft hier im Plattenladen und hole mir so türkische psychedelische Platten, weil ich das ziemlich geil finde. Barış Manço gibt’sda zum Beispiel. Es gibt etliche Musiker aus dieser Zeit, die so gut sind. Und dadurch ist dann wieder diese Verbindung entstanden, so dass ich gesagt habe: ‚Ok, ich würd‘ das gerne irgendwie mit einfließen lassen‘.
Hast Du in Deinem Leben eigentlich viel Rassismus erlebt?
Ja, auf jeden Fall, als Kind und auch als ich älter geworden bin. Ich find es aber schlimm, dass Deutschland immer auf Hitler und so reduziert wird. Rassismus gibt’s halt leider überall. Es gibt ja auch in der Türkei Rechtsradikale und in Sri Lanka die Tamilen, die unterdrückt werden. Man kann nicht immer wieder sagen ‚Die Deutschen haben das von Grund auf in sich.‘ Bullshit! Wenn man bedenkt, wie viele Leute an Anti-Pegida-Demos teilnehmen, wobei ich Pegida (Abkürzung für Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, Anmerkung der Redaktion) für überbewertet halte. Das finde ich schon bemerkenswert.
Wie wichtig ist es Dir, gegen Rassismus und Vorurteile Stellung zu beziehen und etwas dagegen zu tun?
Ich finde es wichtig, dagegen Stellung zu beziehen. Mir ist aber noch wichtiger, anstatt ‚Anti-Irgendwas‘ zu sein, also zum Beispiel Anti-Pegida, FÜR etwas zu sein. Lieber investiere ich meine Zeit für eine Gruppe, wie jetzt gerade für die Flüchtlinge. Ich will etwas Positives tun und gehe da wirklich hin und investiere meine Zeit, anstatt gegen eine Gruppierung von irgendwelchen dummen Leuten wie Pegida eine Anti-Demo zu machen. Denn: Who cares? Damit schenkt man den Leuten viel zu viel Aufmerksamkeit. Lieber die Zeit in etwas Positives investieren.
Gab es denn in letzter Zeit etwas in Deutschland, wo Du richtig schockiert warst?
Vor kurzem wurden aufs Auto einer Familie Nazi-Zeichen gesprayt und die Polizei meinte: ‚Man kann jetzt nicht sagen, dass das einen rechtsradikalen Hintergrund hat.‘ Was soll das denn? Und dann wird der Familie noch gesagt, sie soll das bitte so schnell wie möglich entfernen, weil sie sonst eine Strafe zahlen müsste. Das sind so Kleinigkeiten, wo man denkt, das kann doch nicht sein. Ist das euer ernst? Ist das eure Art, mit dem ganzen Thema umzugehen? So sensibel seid ihr? Und wenn wir schon so kleine Probleme auf so einer ganz kleinen Ebene haben, dann haben wir wirklich ein riesiges Problem.