"Nichts ohne Washington“
3. April 2014Deutsche Welle: Herr Stark, Sie hatten - mit als einer der ersten - Zugriff auf die Snowden-Dokumente, teils als "streng geheim" eingestufte Unterlagen. Was hat Sie bei der Durchsicht am meisten erregt?
Holger Stark: Fasziniert hat mich vor allem, wie früh die NSA bereits erkannt hat, dass das Internet das Medium ist, wo es eine hundertprozentige Überwachung zu erzielen gilt. Es gibt ein Schriftstück in den Dokumenten des damaligen NSA-Chefs Kenneth Minihan aus dem Sommer 1996, der seine Mitarbeiter - "top secret" eingestuft natürlich - darauf einschwört, dass das Internet das zentrale Zukunftsmedium sei, vergleichbar mit der Erfindung der Atombombe im 20. Jahrhundert. Minihan sagt: "Wer dieses Medium kontrolliert, der kontrolliert die Macht im 21. Jahrhundert." Und er sagt: "Unsere Anstrengungen müssen alle diesem einen Ziel dienen - und das ist, die informationelle Vorherrschaft von Amerika zu sichern."
Sechs Titelgeschichten haben Sie zum NSA-Skandal bereits veröffentlicht. Jetzt haben Sie gemeinsam mit Ihrem "Spiegel"-Kollegen Marcel Rosenbach das Buch "Der NSA-Komplex" geschrieben. Kennen wir langsam die Dimension der organisierten Massenüberwachung?
Die NSA zapft systematisch die Glasfaserkabel an, also die Hauptschlagadern des Internetverkehrs, wo die großen Datenströme durchgeleitet werden. Teilweise nutzt sie die amerikanischen Firmen als Kollaborateure, teilweise operiert sie in anderen Teilen der Welt mit Partnerdiensten, unter anderem auch dem Bundesnachrichtendienst. Diese Systematik erlaubt es, fast den kompletten Strom an relevanten Informationen zu kontrollieren und dann mit ausgeklügelten Nachrichtenanalyseprogrammen fein durchzusieben und zu gucken, was am Ende nachrichtendienstlich relevant ist.
Dieses Prinzip haben wir, glaube ich, verstanden. Das Material ist aber so reichhaltig, dass wir noch über viele Monate interessante und teilweise auch überraschende und schockierende Berichte daraus sehen werden.
Hat Deutschland als Bündnispartner bei dieser systematischen Kontrolle einen kleinen Bonus?
Deutschland ist Opfer auf der einen Seite und Mitverantwortlicher auf der anderen Seite. Die Bundesregierung steht in diversen Punkten im Fadenkreuz der NSA-Aufklärung. Das Spektakulärste ist sicherlich die Überwachung des Handys der deutschen Bundeskanzlerin. Aber auch verschiedene Überwachungen gegen deutsche Bürger sind in den Akten dokumentiert. Und das FISA-Gericht, das zuständige amerikanische Sondergericht [Foreign Intelligence Surveillance Court, Anm. der Red.], hat einen besonderen Befehl erlassen: Die Überwachung von Deutschland sei legitim.
Auf der anderen Seite sind die Deutschen natürlich auch im Rahmen der geheimdienstlichen Kooperation Partner der NSA. Der Bundesnachrichtendienst betreibt verschiedene Operationen gemeinsam mit der NSA, die genau diesen Internet-Glasfaserkabeln gelten. Der BND organisiert den Zugriff und teilt die Daten dann mit der NSA.
Im Buch zeigen Sie: Die Geheimdienstspionage macht auch nicht vor deutschen Mittelständlern halt.
Die NSA - wie auch der britische GCHQ - guckt sich sehr genau aus, welche Firmen interessant sein könnten. Das sind zum einen technische Unternehmen, die in ihrem Bereich führend sind, die einzigartige technische Expertise besitzen. Und sie schauen, welche Unternehmen etwas ganz Besonderes anzubieten haben.
Es gibt beispielsweise mehrere deutsche Unternehmen, die Internet per Satellit anbieten, etwa in entlegenen Gegenden von Afrika. Diese Firmen sind interessant, weil sie in Regionen vordringen, die für die NSA von besonderem Interesse sind. In solchen Fällen gehen die Dienste auch schon mal ganz simpel auf die Angestellten los, vor allem Techniker und Ingenieure. Sie knacken die Rechner, die Router und versuchen genau an dieser Scharnierfunktion einzugreifen: zwischen den Satelliten und den normalen Internetkabeln.
Hat das Weiße Haus da noch die Kontrolle über die US-Geheimdienste?
Zu den spannenden Erkenntnissen, die wir gewonnen haben nach der Lektüre von vielen dieser Dokumente, zählt: Die NSA macht nichts, was nicht generell vom Weißen Haus positiv sanktioniert worden wäre. Das Weiße Haus erstellt alle sechs Monate eine Art "Matrix der Überwachung", in der alle Länder und alle interessanten Themen skizziert sind: Außenpolitik, Rüstungspolitik, Wirtschaftspolitik und ähnliches. Pro Land wird in einem sehr fein ausgeklügelten Prozess definiert, welche Interessen es gibt und wie hoch die Prioritäten sind. Eins ist besonders hoch, fünf besonders niedrig.
In Fällen wie China, Iran, Nordkorea ist fast überall eine eins in dieser Tabelle zu finden. Für Deutschland sind es Mittelwerte von drei, teils auch vier. Und diese Übersicht arbeitet die NSA, wenn man so will, ganz systematisch ab. Dass die NSA wie wild gewordene Kanonen alles kurz und klein schießt, ohne dass der Kapitän davon weiß - das ist nicht der Fall.
In Deutschland hat jetzt der NSA-Untersuchungsausschuss seine Arbeit aufgenommen. Hat er überhaupt eine Chance, die sieben Siegel der Geheimdienstwelt zu knacken?
Dem NSA-Untersuchungsausschuss wird die Arbeit schwer fallen. Denn es ist ein Ausschuss, der die NSA nicht untersuchen kann - weil die NSA dem deutschen Parlament keine wirkliche Auskunft erteilen wird. Das heißt, der Untersuchungsausschuss wird sich damit begnügen müssen, Zugriff auf die veröffentlichten Dokumente zu nehmen und sich auf der anderen Seite anzuschauen, was die deutschen Dienste mit der NSA zusammen getan haben. Deshalb gehe ich davon aus, dass es zur Hälfte mindestens ein Ausschuss sein wird, der sich mit dem BND und womöglich auch dem Verfassungsschutz beschäftigt. Ich gehe nicht davon aus, dass dieser Ausschuss alle offenen Fragen wird beantworten können.
Holger Stark ist Washington-Korrespondent des deutschen Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Gemeinsam mit "Spiegel"-Redakteur Marcel Rosenbach veröffentlichte er 2012 das Buch "Staatsfeind Wikileaks" über die Enthüllungen von Bradley Manning. Das aktuelle Buch der beiden Journalisten - "Der NSA Komplex" - ist in der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen (ISBN: 978-3-421-04658-1).
Das Interview führte Monika Griebeler.