Die islamische Bombe
19. Oktober 2009US-Außenministerin Hillary Clinton und ihr britischer Amtskollege David Milliband waren sich kürzlich einig: Pakistan sei zwar konfrontiert mit einer tödlichen Gefahr durch Extremisten, es bestehe aber kein Risiko, dass die Atomwaffen des Landes in die falsche Hände gerieten. Nur Stunden zuvor war eine 22-stündige Geiselnahme im Hauptquartier der pakistanischen Streitkräfte zu Ende gegangen - im Herzen der Institution, die bislang als Garant für die Sicherheit der pakistanischen Atombombe gegolten hatte.
Ein halbes Jahr zuvor hatte Ministerin Clinton noch anders geklungen: Pakistan habe seine Atomwaffen über ein knappes Dutzend Plätze verteilt und die Gefahr sei groß, dass die eine oder andere in die Hände von Extremisten - wie den Taliban oder El Kaida - falle. Solche Warnungen waren bisher immer vom pakistanischen Militär zurückgewiesen worden: Man habe die volle Kontrolle über die nuklearen Waffenlager, außerdem seien dort keine einsatzbereiten Atombomben gelagert, sondern alles werde fein säuberlich auseinandergehalten: Spaltbares Material getrennt von Sprengstoff und Sprengköpfe getrennt von Trägersystemen. Allein nach dem 11. September habe das Militär seine Nuklearlager an sechs neue Orte verlegt.
Plutonium für ein halbes Dutzend Atombomben
Nach Expertenschätzung verfügt Pakistan über knapp 50 Atomsprengköpfe und über 800 Kilogramm hoch angereicherten Urans, das ausreichen würde zur Herstellung von bis zu 55 Atombomben. Riskant ist dieses hoch angereicherte Uran besonders deswegen, weil es auch von nicht-staatlichen Stellen - etwa Terrorgruppen - relativ einfach zu Atomwaffen weiterverarbeitet werden könnte. Darüber hinaus soll das Land über eine unbekannte Menge waffenfähigen Plutoniums verfügen, das zur Herstellung von etwa einem halben Dutzend Atombomben ausreicht.
Um Atombomben an ihr Ziel zu bringen, verfügt Pakistan über Kurzstreckenraketen vom Typ "Hatef" sowie über Mittelstreckenraketen vom Typ "Shahin" (Reichweite 300 bis 2000 km bei 500 kg Nutzlast) und "Ghauri" (1500km/700kg). Damit wird fast das gesamte Gebiet des Nachbarlandes Indien abgedeckt. Hintergrund und Hauptzweck der pakistanischen Atombombe: Nach der Niederlage im Krieg von 1971 - bei dem Ostpakistan verloren ging - und nachdem Indien 1974 seinen ersten Atomtest durchführte, betrieb Pakistan (seit 1972) mit Nachdruck die Entwicklung einer eigenen "islamischen" Atombombe. Behilflich war dabei vor allem China, eine wichtige Rolle spielte aber auch der pakistanische Atomforscher Abdul Qadeer Khan, der in Deutschland und den Niederlanden gelernt und gearbeitet hatte. Es dauerte aber noch bis 1998, bis Pakistan seine ersten eigenen Atomtests durchführte.
Die Allianz mit Pakistan hat für die USA Priorität
Wie auch Indien ist Pakistan dem Atomwaffensperrvertrag (NPT) nicht beigetreten, ebenso wenig dem Kernwaffen-Teststoppabkommen. Islamabad hat wiederholt erklärt, solches komme erst in Frage, wenn zunächst Indien diesen Abkommen beitrete. Internationalen Druck hatte Pakistan wegen dieser Haltung kaum zu spüren bekommen. Zwar hat Washington wiederholt Sanktionen gegen das Land verhängt, diese aber immer wieder aufgehoben, wenn ihm die Allianz mit Pakistan wichtiger war. In erster Linie wegen der Entwicklungen in Afghanistan, von der Zeit der sowjetischen Invasion bis heute.
Autor: Peter Philipp
Redaktion: Dirk Eckert