Die Palästinenser und Israel: Was ist die Nakba?
15. Mai 2024Was bedeutet Nakba?
Das arabische Wort Nakba bedeutet Katastrophe oder Unglück. In Bezug auf den israelisch-palästinensischen Konflikt wird der Begriff Nakba (auch: al-Nakba) verwendet, um daran zu erinnern, dass viele Palästinenser während und nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg von 1948 ihre angestammte Heimat verloren.
Man geht davon aus, dass damals etwa 700.000 Menschen aus dem heutigen Israel entweder flohen oder vertrieben wurden. Der Begriff Nakba erinnert zudem daran, dass viele palästinensische Flüchtlinge bis heute staatenlos sind.
Was ist der Nakba-Tag?
Am 15. Mai 1948 - einen Tag nach der Ausrufung der Unabhängigkeit Israels - griffen fünf arabische Armeen den jüdischen Staat an. Der Tag markiert somit den Beginn des ersten arabisch-israelischen Krieges. Seit langem ist der 15. Mai ein Tag, an dem Palästinenser auf die Straße gehen und gegen den Verlust ihrer Heimat protestieren. Viele tragen palästinensische Flaggen, bringen die Schlüssel ihrer ehemaligen Häuser mit oder tragen Transparente mit einem aufgemalten Schlüssel - ein Symbol für die Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat und für das, was viele Palästinenser als ihr Recht auf Rückkehr betrachten. In der Vergangenheit kam es bei Protesten auch immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen militanten Palästinensern und der israelischen Armee. Israel wirft der Hamas und anderen Organisationen, die unter anderem von der EU als Terrororganisationen eingestuft werden, vor, den Tag für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Der Begriff Nakba-Tag wurde 1998 vom damaligen Palästinenserführer Jassir Arafat geprägt. Er legte das Datum als offiziellen Tag des Gedenkens an den Verlust der palästinensischen Heimat fest.
Warum mussten die Palästinenser ihre Heimat verlassen?
Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs befand sich Palästina als Teil des Osmanischen Reichs unter türkischer Herrschaft. Danach fiel das Gebiet unter britische Kontrolle, als britisches Mandatsgebiet. Besonders in dieser Zeit - die in Europa von wachsendem Antisemitismus geprägt war - zog eine steigende Zahl von Juden aus aller Welt in das Land, das für sie Eretz Israel war, das gelobte Land der Bibel und die Heimat ihrer Vorfahren, in der immer schon Juden gelebt hatten, wenn auch in geringerer Zahl.
Auch unter dem Eindruck des Holocaust in Nazi-Deutschland nahm die UN-Generalversammlung 1947 einen Teilungsplan für das britische Mandatsgebiet Palästina an. Die Arabische Liga lehnte den Plan ab. Die Jewish Agency for Palestine akzeptierte ihn. Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen.
Als Reaktion darauf erklärte eine Koalition aus fünf arabischen Staaten Israel den Krieg, wurde aber 1949 von dem jungen Staat militärisch besiegt. Vor dem Krieg hatten bereits 200.000 bis 300.000 Palästinenser das Land verlassen oder waren vertrieben worden. Während der Kämpfe kamen weitere 300.000 bis 400.000 hinzu. Die Gesamtzahl der Vertriebenen und Geflüchteten wird auf etwa 700.000 Menschen geschätzt.
Während des Krieges wurden mehr als 400 arabische Dörfer zerstört und Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten begangen. Das Massaker von Deir Yassin - einem Dorf an der Straße zwischen Tel Aviv und Jerusalem - ist bis heute wichtiger Bestandteil der palästinensischen Erinnerung. Mindestens 100 Menschen wurden in Deir Yassin getötet, darunter Frauen und Kinder. Das Massaker steigerte die Angst unter vielen Palästinensern und trieb viele zusätzlich zur Flucht.
Am Ende des Krieges besaß Israel etwa 40 Prozent des Gebiets, das im UN-Teilungsplan von 1947 für die Palästinenser vorgesehen war.
Wohin sind sie gegangen?
Die meisten Palästinenser landeten seinerzeit als staatenlose Flüchtlinge im Gazastreifen, im Westjordanland und in arabischen Nachbarländern, nur eine Minderheit zog damals ins weiter entfernte Ausland. Bis heute hat nur ein Bruchteil der nachwachsenden Generationen von Palästinensern in der Region eine andere Staatsbürgerschaft erhalten. Infolgedessen ist die Mehrheit der inzwischen rund 6,2 Millionen Palästinenser im Nahen Osten bis in die dritte oder vierte Generation staatenlos.
Wo leben sie heute?
Nach Angaben des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge UNRWA leben die meisten Palästinenser in der Region immer noch in Flüchtlingslagern. Diese haben sich im Laufe der Zeit zu Flüchtlingsstädten entwickelt. Nachkommen palästinensischer Flüchtlinge leben heute hauptsächlich im Gazastreifen, im besetzten Westjordanland, im Libanon, in Syrien, Jordanien und in Ostjerusalem.
Die internationale palästinensische Diaspora außerhalb der Region des Nahen Ostens ist Schätzungen zufolge inzwischen auf etwa 6 bis 7 Millionen Menschen angewachsen. Falls dies zutrifft, betrüge die Gesamtzahl der Palästinenser insgesamt heute rund 13 Millionen Menschen. Es gibt jedoch keine offizielle Stelle, die die Zahl von Palästinensern in der Diaspora verlässlich erfasst. Genaue Daten sind nicht verfügbar.
Gibt es ein Recht auf Rückkehr?
Gemäß der Resolution 194 der UN-Generalversammlung aus dem Jahr 1948 sowie der UN-Resolution 3236 aus dem Jahr 1974 und der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 haben Palästinenser, die als palästinensische Flüchtlinge gelten, ein "Recht auf Rückkehr".
Israel lehnt ein Recht auf Rückkehr für Palästinenser und ihre Nachkommen hingegen ab - mit der Begründung, dies bedeute das Ende der Identität Israels als jüdischer Staat. Israel lehnt zudem eine Verantwortung für Flucht oder Vertreibung der Palästinenser ab und verweist darauf, dass zwischen 1948 und 1972 rund 800.000 Juden aus arabischen Ländern wie Marokko, Irak, Ägypten, Tunesien und Jemen vertrieben wurden oder fliehen mussten.
Gibt es Lösungsvorschläge?
In den vergangenen 76 Jahren gab es verschiedene Ansätze zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Der wichtigste ist nach wie vor die Zweistaatenlösung, die einen künftigen Staat Palästina neben dem israelischen Staat vorsieht und Jerusalem in zwei Hauptstädte teilen würde. Allerdings gibt es auf beiden Seiten teils massive Widerstände und überdies Zweifel, wie realistisch dies heute noch wäre. Kritiker verweisen in diesem Zusammenhang unter anderem auf die wachsende Zahl jüdischer Siedlungen im besetzten Westjordanland, die ein zusammenhängendes palästinensisches Gebiet als Grundlage eines künftigen Staats unmöglich machen könnten.
Andere Vorschläge waren in der Vergangenheit die Anerkennung des Flüchtlingsstatus durch Israel und eine Entschädigung ohne Recht auf Rückkehr. Auch eine begrenzte Neuansiedlung der palästinensischen Flüchtlinge oder ein Zwei-Pässe-System in nur einem Staat wurden diskutiert.
Eine greifbare Lösung scheint durch den Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und den darauf gefolgten Krieg in Gaza jedoch in noch weitere Ferne gerückt. Es gibt auf arabischer Seite zudem Befürchtungen vor einer erneuten Nakba, die die Palästinenser aus dem Gazastreifen betreffen könnte.
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.
Dieser Artikel erschien erstmals am 13. Mai 2023 und wurde im Mai 2024 um den Krieg in Gaza ergänzt.