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Gold oder Gift?

Anne Herrberg7. September 2012

Grünes Gold, grünes Gift, grüne Wüste: Der Anbau von Soja hat Argentinien aus der großen Krise 2001 gerettet. Die Folgen für die Bewohner in den Anbaugebieten aber sind verheerend - doch der Staat schaut weg.

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Sojapflanzen im Gegenlich in Paraguay Südamerika (Foto: Ubaldo Gonzalez)
Sojaanbau in Paraguay SüdamerikaBild: picture alliance/Photoshot

Argentinien, Oberster Gerichtshof der Provinz Córdoba, 23. August 2012. Erwartet wird ein Urteil, das Geschichte schreiben soll. Zum ersten Mal überhaupt befasst sich die argentinische Justiz mit dem Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Zwei Soja-Anbauer und der Pilot eines Sprühflugzeuges sind angeklagt, die gebotenen Sicherheitsabstände zu bewohnten Gebieten nicht eingehalten und damit die Gesundheit der Anwohner von Ituzaingó, einem Vorstadtviertel der Provinzhauptstadt Córdoba, gefährdet zu haben.

Doch nach knapp drei Monaten Prozess fällt das Urteil milde aus: Drei Jahre Gefängnis auf Bewährung und gemeinnützige Arbeit gibt es für den Soja-Anbauer Francisco Parra und den Piloten Jorge Pancello. Der dritte Angeklagte wird aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Das grüne Gift

"Sie machen uns krank, sie töten unsere Kinder, aber sie müssen nicht ins Gefängnis." In das Gesicht von Silvia Gática ist Enttäuschung und Wut geschrieben. 1989 hat sie ihre Tochter verloren, nur drei Tage nach der Geburt wegen Nierenversagens. Fünf ähnliche Fälle gab es allein in ihrer Nachbarschaft, dazu häuften sich Missbildungen bei Neugeborenen; die Anzahl der Krebserkrankungen in Ituzaingó ist doppelt so hoch wie im argentinischen Durchschnitt. Silvia Gática vermutete einen Zusammenhang.

Ihr Viertel Ituzaingó liegt wie eine kleine Insel inmitten von Sojaplantagen, über denen Flugzeuge und High-Tech-Traktoren regelmäßig die Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel Glyphosat und Endosulfan versprühen. 2004 erstattet Silvia Gática, gemeinsam mit anderen Müttern und Anwohnern, Anzeige. Nun bestätigte ein medizinisches Gutachten, dass die Gifte nicht nur auf den Feldern, sondern auch in den Körpern der Anwohner, vor allem der Kinder, landen. "Dass es überhaupt zum Prozess kam, ist eine Errungenschaft, aber das Urteil ist ein Schlag ins Gesicht", sagt Silvia Gática. Dabei ist Ituzaingó kein Einzelfall. Jährlich kommen in Argentinien rund 340 Millionen Liter Pestizide zum Einsatz. Auf den davon betroffenen 19 Millionen Hektar Land leben schätzungsweise zwölf Millionen Menschen. 2009 setzte die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner eine Kommission von Wissenschaftlern und Fachleuten ein, um die Folgen der Agro-Chemikalien zu prüfen. Bis heute, drei Jahre später, liegt kein Ergebnis vor.

Sojaplantagen Argentinien (Foto: Juan Mabromata)
Fluch und Segen - Sojafelder in ArgentinienBild: Getty Images

Das grüne Gold

"Wir wissen, dass sehr viel Druck auf dem Gericht gelastet hat", sagt der Arzt und Mitkläger Medardo Avila Vazquez. Der internationale Agrarkonzern Monsanto wolle sich in der Gegend um Córdoba niederlassen und werde dabei von der Regierung unterstützt: "Es ist also ein Kampf von uns Bürgern gegen nationale und ökonomische Interessen." Im landwirtschaftlichen Entwicklungsplan des vergangenen Jahres wurde aber angekündigt, die Anbaufläche für Soja und Getreide zu erweitern.

Argentine President Cristina Kirchner gives the thumbs up during the presentation of the new 100 pesos bill with the portrait of Eva Duarte de Peron, popularly known as "Evita", second wife of three times Argentine President Juan Peron, during a ceremony held at Casa Rosada government house in Buenos Aires on July 25, 2012. Argentina on Thursday will commemorate the 60th anniversary of the death of Evita, who was called the "standard-bearer of the humble". AFP PHOTO/Juan Mabromata (Photo credit should read JUAN MABROMATA/AFP/GettyImages)
Argentiniens Präsidentin Cristina Fernandez de KirchnerBild: Getty Images

Argentinien ist der drittgrößte Sojaproduzent der Welt. Die Pflanze ist neben Fleisch das wichtigste Exportgut des Landes. Hauptabnehmer ist neben China vor allem die Europäische Union, wo die ölhaltige Bohne zu Biosprit und Viehfutter verarbeitet wird. Die hohen Weltmarktpreise retteten Argentinien über die schwere Wirtschaftskrise 2001 und sichern dem Land bis heute wichtige Einnahmen. Umgerechnet rund 25 Milliarden Euro setzte Argentinien allein 2011 mit Soja um. Die Anbauflächen werden immer weiter vergrößert, sogar in den Norden, der einst als trocken und unwirtschaftlich galt. Möglich macht es das genveränderte Saatgut, das Argentinien 1996 genehmigt hat. Nun kommt das "grüne Gold" Soja nahezu ohne Wasser aus. Doch die Folgen für Umwelt und Menschen sind verheerend.

Die grüne Wüste

Argentinien hat seit Beginn des massiven Sojaanbaus 70 Prozent seiner natürlichen Waldflächen verloren, ein Großteil davon in den vergangenen 20 Jahren. Luftbilder von Greenpeace Argentinien zeigen das Ausmaß der Rodungen. Besonders betroffen: "El Impermeable", der "undurchdringbare" Savannenwald in der nördlichen Chaco-Region. Von den Provinzregierungen wird das Eindringen der Agroindustrie als Fortschritt gefeiert - übergangen werden diejenigen, die seit jeher in den Wäldern zu Hause sind: die indigenen Gemeinschaften.

Hände halten eine geöffnete Sojabohne fest. (Foto: dpa)
Die ölhaltige Bohne - gut für Biosprit und ViehfutterBild: picture-alliance/dpa

Für Weiden und Viehzucht werden Indigene zunehmend aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben - obwohl die argentinische Verfassung diesen schützt und das Waldgesetz der Abholzung klare Grenzen setzt. Gesetze seien Papier, die Praxis meist eine andere, sagt der freiberufliche Journalist und Experte für die Situation der Indigenen Argentiniens, Darío Aranda, in einem Interview mit dem Internet-Fernsehsender einer sozialen Organisation. Die etablierten Massenmedien berichten kaum über die Hintergründe und Konsequenzen des Soja-Anbaus. Der Einfluss der Agrar-Lobby ist sowohl auf Politiker als auch auf private Medienkonzerne groß. 

Schwarz-weiße Politik

So sehr sich die aktuelle Regierung Kirchner auch als fortschrittlich und gegen die Interessen von Großkonzernen präsentiert, so wenig Interesse zeigt sie doch, sich gegen die mächtige Agrarlobby aufzulehnen, die auch von Steuervergünstigungen profitiert. Soja - für den argentinischen Staat bleibt es das grüne Gold. Für Silvia Gática, Mutter aus Ituzaingó, ist die Pflanze dagegen ein grünes Gift, das Argentinien in eine grüne Wüste verwandelt. Sie will weiter kämpfen. Anfang des Jahres erhielt Silvia Gática für ihr mutiges Engagement gegen die Agropestizide den "Goldman Environmental Prize". Sie wird ihren Kampf weiterführen, auch wenn sie weiß: Es ist ein Kampf von David gegen Goliath.

Auf einem großen Schild wird der Weg zu Versuchsfeldern von Monsanto beschrieben. (Foto: Bodo Marks)
Starke Agrar-Lobby in ArgentinienBild: picture-alliance/dpa