Polnische Veto-Keule
20. Juni 2007Eigentlich hatte die polnische Regierung den EU-Verfassungsvertrag schon 2004 unterzeichnet.Doch drei Jahre später und eine polnische Zwillingsherrschaft weiter, wird an dem hart umringten Kompromiss wieder stark gerüttelt.
"Nizza oder der Tod" verkündete die polnische Regierung bereits 2003, als es die Verhandlungen über den EU-Verfassungsvertrag begannen. Streitpunkt damals wie heute: die doppelte Mehrheit. Denn mit dem Vertrag von Nizza kam Polen deutlich besser weg, hatte fast so viele Stimmen wie Deutschland. Das Beharren auf den Nizza-Vertrag führte jedoch in die Isolation. 2004 gab die damals sozialdemokratische Regierung in Warschau schließlich klein bei und unterschrieb. Doch mit dem Scheitern der Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden, scheiterte letztlich auch die polnische Zustimmung. Und so steht sie wieder zur Diskussion: die doppelte Mehrheit.
"Quadratwurzel oder der Tod"
Seit Deutschland mit den Vorbereitungen für einen neuen EU-Vertrag begonnen hat, schwingen die Kaczynski-Brüder die Veto-Keule. Ihre Forderungen konzentrieren sich auf einen Punkt, der schwerwiegender ist als ein mathematisches Problem: Nicht mit der doppelten Mehrheit solle im Rat in Zukunft entschieden werden, sondern nach dem Quadratwurzel-Prinzip. So würde bei Abstimmungsverfahren das Gewicht der großen Länder - insbesondere Deutschlands - reduziert werden. Im Kampf um die Argumente ist der implizierte Vorwurf, Deutschland würde Europa dominieren, nicht zu überhören.
"So sehr fürchten wir die Deutschen gar nicht", sagt der Chefunterhändler der polnischen Regierung Marek Cichocki im Gespräch mit DW-WORLD.DE. "Wenn wir sie so sehr fürchten würden, würden wir dann eine Regelung vorschlagen, die den Deutschen weiterhin mehr Stimmen eingesteht, als den Polen?" Vielmehr komme es der polnischen Regierung darauf an, das Abstimmungsverfahren generell gerechter zu gestalten.
Für den EU-Kommentator der polnischen Tageszeitung "Gazeta Wyborcza", Jacek Pawlicki, ist das ein nachvollziehbarer Vorschlag. Doch stellt er auch fest, dass sich in die Debatte mehr und mehr anti-deutsche Ressentiments gemischt hätten: "Die meisten Polen verstehen gar nicht so recht, um was es in der Sache geht. Aber sie spüren, dass es darum geht, den Machteinfluss der Polen zu stärken, und daher ist die Mehrheit natürlich dafür."
Der Mythos vom Opfer
Im kollektiven Gedächtnis der Polen sitzt das Trauma tief, von den Nachbarstaaten hintergangen und verraten zu werden. Die Kaczynski-Zwillinge wissen, wie man diese Ängste bedient und fürchten weder eine Verschlechterung des deutsch-polnischen Verhältnisses noch eine Ausgrenzung innerhalb der EU.
Von Isolation könne auch gar keine Rede sein, sagt Chefunterhändler Cichocki. Er habe viel mehr das Gefühl, dass sich die öffentliche Meinung in Europa im Laufe der Diskussion um das Abstimmungsverfahren bereits geändert habe: "Viele hören sich unsere Vorschläge aufmerksam an und verstehen unser Problem."
"Die ungeliebten Nachbarn – wie die Polen Europa nerven" titelte hingegen der deutsche "Spiegel" diese Woche. Auch wenn einige Kommentatoren und Politikwissenschaftler dem polnischen Quadratwurzel-Vorschlag durchaus etwas abgewinnen können, stößt das Veto-Verhalten der Polen sauer auf. Die Europa-Parlamentarierin Silvana Koch-Mehrin legte der polnischen Regierung sogar einen EU-Austritt nah: "Wenn sich ein Land in der EU nicht wohl fühlt, dann sollte man ihm sagen: Wenn es euch nicht passt, dann gibt es diese Möglichkeit."
Cichocki weist derartige Attacken als eine "halsbrecherische Idee" zurück: "Solche Vorschläge sind völlig unnötig." Ob sich doch noch ein Kompromiss finden lässt? "Das ist schwierig zu sagen", so Cichocki. "Diese Gipfel haben eine eigene Logik und diese Logik ist nur zu einem gewissen Standpunkt vorhersehbar."
Politik mit eigenen Regeln
Eine eigene Logik habe allerdings auch die polnische Politik, sagt Jan Barcz, Professor für Europäisches Recht in Warschau. "In Polen kann derzeit kein unabhängiger Experte sagen, wie sich die Kaczynski-Brüder bei den Verhandlungen verhalten werden. Ihre Politik ist einfach unberechenbar."
Und so schlägt kurz vor dem EU-Gipfel Ministerpräsident Kaczynski im Streit um die künftige Stimmgewichtung plötzlich versöhnliche Töne an. In einem Interview mit der Bild-Zeitung deutete er Kompromissbereitschaft an. Polens Vorschlag müsse nicht zwingend zu einem Patt in den Verhandlungen führen. Im Moment wolle man nur, dass eine Debatte über das System der Stimmabgabe zugelassen werde.