Ist die russische Privatarmee Wagner eine Terrorgruppe?
6. September 2023Die Liste der Vorwürfe ist lang: Folterungen, bestialische Morde, Plünderungen und andere Kriegsverbrechen soll die Söldnergruppe des inzwischen verstorbenen russischen Oligarchen Jewgeni Prigoschin in den vergangenen Jahren an verschiedenen Kriegsschauplätzen verübt haben.
Die Privatarmee spielte für Russland eine führende Rolle in den Kriegen und bewaffneten Konflikten in verschiedenen Teilen der Welt. Sie soll dabei etwa international geächtete Landminen in Libyen verlegt, Exekutionen in Mali und der Zentralafrikanischen Republik durchgeführt oder ukrainische Zivilisten gefoltert und getötet haben.
"Ihre Einsätze in der Ukraine, im Nahen Osten und in Afrika sind eine Gefahr für die weltweite Sicherheit", erklärte Suella Braverman: "Sie sind schlicht und einfach Terroristen."
Und als solche sollen sie der britischen Innenministerin zufolge künftig auch deklariert werden. Ihr Ministerium hat dem britischen Unterhaus einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Ein Schritt, den auch Premierminister Rishi Sunak im Onlinedienst X ausdrücklich begrüßte.
Wie definiert man eine "Terrororganisation"?
Grundsätzlich möglich machte diesen Schritt der in Großbritannien im Jahre 2000 verabschiedete "Terrorism Act", der Terrorismus als Nutzung oder Androhung schwerer Verbrechen "mit dem Ziel der Beeinflussung der britischen Regierung oder einer internationalen Organisation oder der Einschüchterung der Öffentlichkeit aus politischen, religiösen, rassistischen oder ideologischen Gründen" definiert.
Andere Staaten oder Internationale Organisationen verwenden ähnliche Definitionen. Dennoch sind die Begriffe "Terror" und "Terrororganisation" international umstritten; trotz mehrerer Anläufe konnte bislang keine global anerkannte Begriffsbestimmung gefunden werden.
Nach deutschem Recht ist Terrorismus etwa der "nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen". Anders als Großbritannien will Deutschland eine Einstufung als terroristische Vereinigung jedoch nicht im Alleingang beschließen, sondern nur im Rahmen einer Entscheidung der Europäischen Union.
Welche Folgen hat eine Kennzeichnung als Terrororganisation?
Eine Kennzeichnung als "terroristische Vereinigung" in Großbritannien würde dazu führen, dass jedwede Unterstützung der Privatarmee nach britischem Recht strafbar wird. Helfern, die etwa Treffen von Wagner-Mitgliedern arrangieren, die Gruppe finanziell oder organisatorisch unterstützen oder Symbole der Gruppe öffentlich zur Schau stellen, drohen hohe Geldstrafen, in schweren Fällen sogar bis zu 14 Jahre Gefängnis. Bereits vorhandenes Eigentum der Wagner-Gruppe könnte vom Staat beschlagnahmt werden.
Zwar hatte Großbritannien - wie auch andere Länder und internationale Organisationen - zuvor bereits Sanktionen gegen die Wagner-Gruppe und ihren Anführer Prigoschin verhängt; dazu gehörte auch das Einfrieren von Vermögenswerten. Es dürfte den Wagner-Leuten künftig aber deutlich schwerer fallen, zusätzliche Gelder in Großbritannien zu akquirieren, da dies nun strafrechtlich verfolgt werden kann.
Zudem schafft die Kennzeichnung eine gesetzliche Grundlage, nach der Ukrainer und andere die Wagnergruppe vor britischen Gerichten für ihr erlittenes Unrecht auf millionenschweren Schadenersatz verklagen könnten - selbst wenn diese Straftaten nicht auf britischem Boden begangen worden sind.
Wer hat diesen Schritt noch vollzogen?
Schon vor Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine war die Wagner-Gruppe aufgrund mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Nahen Osten und in Afrika ins Blickfeld internationaler Menschenrechtsorganisationen geraten. Die EU und die USA verhängten ab 2020 Sanktionen gegen Jewgeni Prigoschin und seine Armee, weil diese auf der Seite von General Haftar in Libyen gekämpft hatte.
Seit Anfang 2023 gilt die Wagner-Gruppe in den USA als "transnationale kriminelle Organisation". Gleichzeitig wuchsen die Bemühungen, sie als terroristische Vereinigung zu kennzeichnen.
Entsprechende Vorstöße gab es etwa im EU-Parlament, im US-Senat, in der französischen Nationalversammlung und im schwedischen Parlament. Während eine EU-weite Einstufung noch auf sich warten lässt, hat Litauen Wagner bereits im Alleingang als terroristische Vereinigung gebrandmarkt. Auch die Parlamentarische Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) hat eine Resolution verabschiedet, in der die Wagner-Gruppe als Terrororganisation eingestuft wird.
Ziehen andere Länder bald nach?
Auch in Deutschland mehren sich die Stimmen, die eine derartige Einstufung auf EU-Ebene fordern. Ende Mai hatte die oppositionelle CDU/CSU-Fraktion einen entsprechenden Antrag im Bundestag gestellt. Die regierende Ampelkoalition sieht jedoch bislang keine rechtliche Möglichkeit dazu. "Die rechtlichen Voraussetzungen für eine EU-Listung als Terrororganisation sind hoch", heißt es in einer von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zitierten Antwort der Bundesregierung auf den Antrag der Opposition. Damit die Wagner-Gruppe als solche klassifiziert wird, brauche es "ein umfassendes Beweispaket, das sich auf offen zugängliche Informationen stützen müsse". Andernfalls seien diese Informationen gerichtlich nicht verwertbar - die Klassifikation als Terrorgruppe wäre ein stumpfes Schwert ohne durchsetzbare juristische Konsequenzen.
Auch in den USA ist die Diskussion um eine terroristische Einstufung der Wagner-Gruppe in vollem Gange. Und auch hier gibt es Gründe für und gegen eine derartige Entscheidung. Die Bedenken sind jedoch nicht nur juristischer, sondern auch politischer Natur. Die Wagner-Truppe auf eine Stufe mit Organisationen wie Boko Haram, dem Islamischen Staat und Al-Qaida zu stellen, wäre ein starkes Zeichen der Verurteilung. Dennoch zögert die Biden-Administration - aus Sorge, dass ein solcher Schritt die Beziehungen der USA zu zahlreichen afrikanischen Ländern wie Mali und der Zentralafrikanischen Republik, in denen die Wagner-Gruppe oft mit Billigung der jeweiligen Regierung aktiv ist, ernsthaft gefährden könnte.