Die Rückkehr der alten Garde
22. Juni 2014Er hatte es ja versucht: Bloß nicht abheben nach dem 4:0-Traumstart gegen Portugal, bloß nicht zu selbstsicher werden, bloß nicht den nächsten Gegner unterschätzen, hatte Joachim Löw seinen Spielern eingeimpft. Und Letztere wiederholten in den vergangenen Tagen jene Sätze auch brav, sobald ein Mikro vor ihnen auftauchte. Während zuhause in Deutschland und auch unter den Journalisten in Brasilien nach dem starken Auftakt bereits mögliche Gegner und Spielorte auf dem Weg Richtung Finale diskutiert wurden, mühte sich die komplette Nationalmannschaft, auf dem Teppich zu bleiben, erreicht sei schließlich noch nichts. Der richtige Gedanke, doch bei der Umsetzung ging etwas schief.
Alle Warnungen und Bedenken kosteten die deutsche Mannschaft ganz offensichtlich jene Selbstverständlichkeit, Leichtigkeit und Lockerheit, die sie gegen Portugal noch ausgezeichnet hatte. Denn von Anfang an wirkte es, als ob sich die DFB-Elf vor lauter taktischer Zwänge selbst blockierte. Pomadig war ihr Spiel in der ersten Halbzeit, ohne die nötige Konsequenz in den Zweikämpfen und nach vorne nachlässig im Umgang mit den sich bietenden Chancen. Ghana dagegen spielte selbstbewusst und absolut ebenbürtig, setzte die deutsche Elf mit einem simplen Mittel gehörig unter Druck: Körperlichkeit.
Ghana hatte Deutschland eins voraus: Leidenschaft
Die ghanaische Abwehr stand sehr kompakt und sicher. Geschickt verschoben sich die Spieler in Rot, um dem deutschen Spiel keinen Platz zu bieten. Und im Eins-gegen-Eins-Spiel machte es die robuste Elf von Trainer Kwesi Appiah dem deutschen Team deutlich schwerer als Portugal. "Wir wollten Ghana hinten rausholen, aber die haben es geschickt gemacht", lobte Bundestrainer Joachim Löw später den Gegner. "Ghana hat es geschafft, die Räume eng zu machen."
Nach der etwas überraschenden und auch in ihrer Entstehung glücklichen deutschen Führung durch Mario Götze (51. Minute) riss Ghana das Spiel mit viel Leidenschaft und Willen an sich. Genau so muss eine Mannschaft reagieren, wenn sie in Rückstand gerät: Die Elf von Coach Appiah glaubte weiter an sich und drehte mit zwei druckvoll herausgespielten Toren von André Ayew (54.) und Asamoah Gyan (63.) das Spiel. Dabei legte Ghana eklatante Schwächen in der deutschen Defensive offen: Ausgerechnet in der Defensive, die Löw mit vier Innenverteidigern eigentlich zu einer Festung ausbauen wollte, leisteten sich erst der eingewechselte Skhodran Mustafi und wenig später auch Kapitän Philipp Lahm krasse Fehler. Wiederholen diese sich, ist der Traum vom Titel schnell ausgeträumt.
Die alte Garde bringt die Wende
Die deutsche Elf taumelte am Rande einer Niederlage, Ghana war einem dritten Tor näher als Deutschland dem Ausgleich. In diesem Moment fällte Joachim Löw eine Entscheidung: Er brachte die Routiniers Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose - genau die richtige Wahl. Schweinsteigers Vehemenz signalisierte der Mannschaft sofort eine neue Aufbruchsstimmung. Der zuletzt nicht berücksichtige Leitwolf holte eine Ecke heraus, die von Toni Kroos' Fuß über Benedikt Höwedes' Kopf ihren Weg zu Miroslav Klose fand, der genau dort stand, wo ein Stürmer stehen musste - 2:2 (71.). Und dann rutschte ihm doch tatsächlich wieder ein Salto raus: "Ich weiß nicht, wie lang ich den schon nicht mehr gemacht hab, ganz gestanden war er nicht", sagte Klose nach dem Spiel und blickt nun auf 15 Tore in 20 WM-Spielen zurück. Ein Wert, den außer ihm nur Ronaldo vorweisen kann.
Die Willenskraft der erfahrenen "Spezialkräfte" Klose und Schweinsteiger rettete Deutschland am Ende einen Punkt in einem Spiel, das mehrfach auf Messers Schneide stand. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die neu formierte Abwehrreihe verwundbarer ist, als es das auf den ersten Blick so glorreiche 4:0 gegen Portugal vermuten ließ. Gegen einen Gegner, der sich nicht in großen Teilen selbst schlägt wie Portugal, sondern mit Kraft und Überzeugung dagegenhält, bekommt die deutsche Mannschaft erhebliche Probleme. Sie sollte aus dem Comeback nach dem Rückstand nun vor allem eins schöpfen: den Glauben an sich selbst.