Die Retter der modernen Kunst
2. März 2005Vor allem die Alterung von Objekten aus Kunststoff bedroht wertvolles Kulturgut. Zum Beispiel den Prototypen des berühmten Panton-Stuhls von 1967 - weltweit der erste Plastikstuhl aus einem Guss. Der Freischwinger steht im Vitra Design Museum in Weil am Rhein und wartet auf Rettung. Denn die Gel-Schicht mit der orangenen Farbe platzt ab. Die Restauratorin Friederike Waentig aus Köln weiß zwar noch keine Abhilfe, aber immerhin hat sie schon eine Diagnose: Der Stuhl besteht aus zwei verschiedenen Kunststoffen, die auf Dauer nicht zusammenpassen: "Da ist eine reine Polyesterschicht und dann der Verbundwerkstoff Glasfaser mit Polyester. Jeder Kunststoff reagiert anders auf Wärme und Luftfeuchtigkeit. Und dann kommt es zu Spannungen", erklärt Friederike Waentig. Zusammen mit ihrer Kollegin Kathrin Kessler führt Friederike Waentig jetzt Versuchsreihen mit 50 verschiedenen Klebstoffen durch.
Heiße Fronten
Deutschland ist spitze bei der Kunsterhaltung, die Deutschen haben den Ruf, besonders sorgfältig und erfindungsreich zu sein. Zahlreiche Hochschulen bilden hoch qualifizierten Nachwuchs aus. Mehr als 200 Mitglieder des Verbands der Restauratoren sind in Deutschland auf moderne Kunst spezialisiert. Sie kämpfen an viel mehr und viel heißeren Fronten als ihre "klassischen" Kollegen. Alten Ölschinken neuen Glanz zu verpassen ist zwar aufwändig, aber meist Routinearbeit. Denn das Verhalten von Ölfarben auf Leinwand ist weitgehend bekannt. Kniffliger wird es bei modernen Materialien.
Übereifrige Putzfrau
Wie zum Beispiel bei Keith Harings Graffiti in der Kunstakademie Utrecht, das von einer Putzfrau halb weggeschrubbt wurde - Lydia Beerkens operierte das Graffiti-Männchen mit Eddingstiften. Ein Filzobjekt von Joseph Beuys warf Knötchen und dünnte aus - Johanna Hoffmann konnte den flüchtigen Filz wieder einpflanzen. Restauratoren benebeln bröckelnde Kreidezeichnungen mit Gelatinedampf und kitten gebrochene PVC-Teile. Aber reparieren allein reicht nicht. "Ersatzteile" müssen zwar perfekt passen und halten, sie müssen das Kunstwerk aber auch in seiner Authentizität erhalten.
Der Kunst unterordnen
Dem Restaurator stellen sich dabei auch ethische Fragen, erklärt Barbara Sommermeyer, Leiterin der Fachgruppe "Moderne Kunst" im deutschen Verband der Restauratoren: "Man muss sich integrativ mit dem Kunstwerk auseinandersetzen. Das wichtigste ist immer, dass sich der Restaurator dem Kunstwerk unterordnet." Das Ziel dabei sei, herauszufinden, was der Künstler gewollt habe, sagt Barbara Sommermeyer.
Haltbarkeit egal
Designern und Künstlern scheint die Langlebigkeit ihrer "Kinder" erstmal schnuppe. Im Schaffensrausch greifen sie zu allen möglichen Materialien, ohne dabei die verwickelten chemischen Reaktionen zu bedenken. Sie mixen Kunststoffe durcheinander, deren Makromoleküle sich oft an der Luft zersetzen. Sie schrauben Skulpturen aus Eisen zusammen, die schon in der Werkstatt rosten. Sie erschaffen Videoinstallationen, deren Magnetimpulse täglich schwächer werden. Sie malen mit flüchtiger Tafelkreide. Oder sogar mit Körperflüssigkeiten, was manche Menschen vielleicht geschmacklos finden - Bakterien und Pilzen hingegen schmeckt es vorzüglich. Wenn die Künstler noch am Leben sind, werden sie vor der Restaurierung ihrer Werke konsultiert. Oft sei das aber wenig hilfreich, sagt Barbara Sommermeyer: "George Seagal nenne ich immer ganz gerne als Beispiel, der hat gesagt, man solle seine weißen Gipsfiguren einfach immer wieder weiß überstreichen. Aber man würde dann irgendwann einen großen weißen Klumpen vor sich haben, das geht ja auch nicht."