Die Russlandversteher
20. März 2014Günter Verheugen gilt als eher gemäßigter Beobachter politischer Ereignisse. Zehn Jahre war er Kommissar der Europäischen Union. Er kennt das Parkett internationaler Politik, die feinen Zwischentöne der Diplomatie. Ganz und gar undiplomatisch waren hingegen seine Aussagen, die er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk traf. Nach seiner Meinung verteidige der Kreml lediglich seine Interessen. Den Verantwortlichen in Brüssel und Washington gab er eine Mitschuld an der Eskalation der Krise in der Ukraine. Verheugen ist nicht allein. Immer mehr Experten werfen dem Westen Versäumnisse in Bezug auf ihre Russlandpolitik vor. Gemeinsamer Tenor: Man hätte früher auf Moskau hören sollen.
Verständnis für Russland? Das ist neu. Es kommt zwar in jeder Beziehungskrise die Zeit, in der es um die Schuldfrage geht. Im Falle des Westens und Russlands schienen die Rollen aber bisher klar verteilt zu sein: Egal ob in Zeitschriftenartikeln, Fernsehbeiträgen, im Radio oder im Internet. Die Meinung - westlicher - Berichterstatter über das russische Handeln war einhellig: Russlands Staatschef Wladimir Putin ist schuld an dem ganzen Schlamassel. Dabei gibt es auch gewichtige Stimmen in Deutschland, die sich von der vom Mainstream vorgefertigten Meinung nicht anstecken lassen möchten. Neben dem SPD-Mann Verheugen gehört auch Armin Laschet, der stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, dazu. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) spricht er vom "marktgängigen Anti-Putin-Populismus" in der deutschen Öffentlichkeit und kritisiert, dass es in Deutschland keine außenpolitische Debattenkultur gebe.
Außerdem sei der Westen zu stark auf sich selbst fixiert: "Auch wenn das Referendum auf der Krim und die russische Politik gegen die Krim eindeutig völkerrechtswidrig ist, muss man sich in die Gesprächspartner hineinversetzen, wenn man eine außenpolitische Beziehung pflegt."
"Die FPÖ war ein Kindergeburtstag"
Alexander Rahr ist der Meinung, man habe die Situation in Russland vollkommen unterschätzt. Der Direktor des deutsch-russischen Forums blickt im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) dabei vor allem auf das Verhalten des Westens gegenüber der Maidan Bewegung: "Es ist in der Tat so, dass der Westen hier, in dem Glauben es handele sich um eine demokratische Revolution, eindeutig auf die Opposition gesetzt hat." Dass diese Revolution nicht nur demokratischen Kräften Auftrieb gegeben hat, war allerdings schon an der führenden Rolle der Swoboda Partei bei den Protesten deutlich geworden.
Günter Verheugen sieht in der Regierungsbeteiligung der Partei, die auch enge Kontakte zur rechtsextremen NPD unterhält, einen absoluten Tabubruch. Aus seiner Sicht war es ein fataler Fehler "zum ersten Mal in diesem Jahrhundert völkische Ideologen, richtige Faschisten in eine Regierung zu lassen". Swoboda stehe für Hass: gegenüber Juden, gegenüber Polen und nicht zuletzt gegenüber Russen. Um die Doppelmoral der EU gegenüber rechtsnationalen Kräften offenzulegen, zieht er einen Vergleich zur österreichischen FPÖ. Die Partei hatte Ende der 90er Jahre mit rechtspopulistischen Parolen die europäische Politik durcheinander gewirbelt: "Die FPÖ von Haider damals ist im Vergleich zu dem, was wir in der Ukraine mit Swoboda haben, wirklich ein Kindergeburtstag". Damals verhängte die EU Sanktionen gegen Österreich, als die FPÖ in die Regierung kam. Heute habe der Westen nur danebengestanden und auch noch applaudiert, so Verheugen weiter.
Kaum verwunderlich also, dass der Kreml empfindlich reagiert. Für Armin Laschet basiert die öffentliche Meinung westlicher Regierungen gegenüber Russland vor allem auf mangelnder Kenntnis des Gegenübers: "Die Dämonisierung Putins ist keine Politik, sondern ein Alibi für das Fehlen einer solchen" - sagte er der FAZ. Ob bei den Verhandlungen um das Assoziierungsabkommen oder bei der Unterstützung der Maidan Bewegung. Der Westen habe es vor allem in der Anfangsphase des Konflikts versäumt, mit den Russen zu sprechen.
"Wir haben die Situation unterschätzt"
Denn überraschen kann das Verhalten Russlands eigentlich nicht. Seit Jahren gibt es Anzeichen, dass Russland eine zu starke Bindung der Ukraine an den Westen nicht tolerieren würde. Schon als es auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 um den NATO-Beitritt der Ukraine ging, hatte Putin eine rote Linie gezogen. Und so mahnt Alexander Rahr zur Zurückhaltung was zukünftige Annäherungsversuche des Westens gegenüber der Ukraine betrifft: "Die Ukraine braucht unbedingt einen neutralen Status, den der Westen und Russland akzeptieren. Ansonsten werden wir die Konflikte nicht lösen." Günter Verheugen warnt vor einer neuen Eiszeit in Europa - sollte die Konfliktspirale weitergedreht werden.