Alternatives Wohnen
20. Februar 2007Umsturzpläne, Drogen, freie Liebe: Deutschlands berühmtestes Wohnexperiment war der Inbegriff einer Rebellion gegen das traditionelle Familienbild und eine erzkonservative Gesellschaft, die die Nazi-Vergangenheit noch nicht vollständig aufgearbeitet hatte. Die Mitglieder der Kommune 1 schliefen auf Matratzen im selben Raum, benutzten Toiletten in Badezimmern ohne Türen, ließen ihre privaten Telefongespräche per Lautsprecher durch die Wohnung schallen und erlaubten der Gruppe, ihre persönlichen Briefe zu lesen.
Zwar wurde die Kommune bereits nach drei Jahren wieder beendet, doch trug das Experiment maßgeblich dazu bei, dass in den 1970er Jahren eine alternative Wohnbewegung entstand. Seit einigen Jahren ist das Interesse an solchen Wohngemeinschaften wieder gestiegen. Allerdings will man das Konzept von damals nicht einfach kopieren.
Suche nach Babysitter nicht nötig
"Es gibt ein anderes Verständnis von Nähe - und das nicht nur in sexueller Hinsicht", betont der Architekt Harald Zenke. Er hat drei Jahre an der Umsetzung eines Wohnprojekts gearbeitet, bei dem es um ein ökologisches Zusammenleben unterschiedlicher Generationen geht. Zenke wohnt mit seiner Familie in einem der zweistöckigen Gebäude auf dem Gelände im Südosten Berlins. Ihm sei es wichtig, dass jeder die Möglichkeit habe, sich in seine eigenen vier Wände zurückzuziehen.
Dennoch verbringen die Bewohner der Anlage "Lebens(t)raum Johannisthal", die auf einem ehemaligen Flugplatz am Stadtrand liegt, ihre Freizeit zusammen. "Hier können wir nicht einfach zur Kneipe um die Ecke gehen", meint Zenke. Die Wohngemeinschaft hat aber auch ganz praktische Vorzüge. So findet man immer jemanden, der auf die Kinder aufpassen kann. Auch kann man sich Autos ausleihen, gemeinsam einkaufen gehen oder ganz einfach in schwierigen Zeiten füreinander da sein.
Grüner Trend setzt sich fort
Wenn die 18 Wohnhäuser der Anlage fertig sind, werden dort etwa 70 Menschen im Alter von null bis 64 Jahren ihr neues Zuhause haben. Außerdem ist noch ein Gemeinschaftshaus in Planung. Die Mitglieder wohnen nicht nur dort, sie helfen sich auch gegenseitig bei der Errichtung der Häuser. Auf diese Weise werden nicht nur Kosten gespart, sondern es entsteht auch ein Gruppen- und Zusammengehörigkeitsgefühl.
Mit Holzbauweise, Zellstoffdämmung und einer Holzpellet-Heizung wollen die Bewohner außerdem einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Solche ökologischen Elemente haben auch die neuen Projekte von Michael LaFond, Koordinator von Experimentcity. Das Netzwerk für alternative Wohnkommunen wächst bereits seit einigen Jahren. Staatliche Zuschüsse und günstige Kredite hätten diesen grünen Trend verstärkt, erklärt LaFond.
Mit Heizkraftwerk Geld verdienen
Das Konzept der Wohnkommune hat viele Vorteile, wenn man umweltbewusst leben will. "In einer Wohnanlage kann man Dinge vollbringen, die man als Einzelner niemals schaffen könnte", meint LaFond, der als Mitglied einer Wohngemeinschaft aus eigener Erfahrung spricht. "Ein Einzelner kann kein effizientes Heizungs- und Dämmsystem errichten."
Im August wird er in ein Wohngebäude ziehen, das über ein eigenes Heizkraftwerk verfügt. Der mit Gas betriebene Generator wird nicht nur für warmes Wasser sorgen, sondern produziert Elektrizität, die in das städtische Stromnetz eingespeist werden kann. Auf diese Weise kann die Wohngemeinschaft sogar Geld einnehmen.
In anderen Berliner Wohnungsanlagen setzt man stattdessen auf eine so genannte passive Haustechnologie, um den Energieverbrauch zu senken. Die Gebäude verfügen über eine sehr gute Isolierung und sind so errichtet, dass sie die Wärme der Sonne effizient nutzen können. Außerdem wird die Körperwärme der Bewohner gespeichert. Die Wärme kann dann über ein konventionelles Heizungssystem wieder abgegeben werden.
Zukunftsangst schweißt zusammen
Nicht nur die Sorge vor einem Klimawandel und der Erderwärmung führe zu einem gesteigerten Interesse an derartigen Wohnanlagen, meint LaFond. Für viele spiele auch die bessere Lebensqualität eine entscheidende Rolle.
Der Großteil der Bauarbeiten an LaFonds Wohnung wird von Fachmännern durchgeführt. Zusammen mit seiner Frau Diana konnte er allerdings den Grundriss des gemeinsamen Wohnbereichs und ihrer Physiotherapiepraxis gestalten. Die Anlage hat auch einen Gemeinschaftsgarten und eine Dachterrasse, die sich die LaFonds selbst nicht hätten leisten können.
LaFond glaubt, dass der neue Wohntrend sowohl von wirtschaftlichen als auch emotionalen Faktoren beeinflusst wird. Die Auswirkungen des demographischen Wandels, insbesondere der drohende Kollaps des Rentensystems, führten dazu, dass in immer mehr Wohnanlagen unterschiedliche Generationen zusammenwohnen.
Geist der 68er noch nicht ganz verflogen
"Viele Menschen haben Zukunftsängste", erklärt LaFond. "Manche haben Finanzsorgen, andere fürchten sich vor der Einsamkeit im Alter." Die Beweggründe hinter dem neuen Wohnkonzept seien nicht so sehr von Idealismus geprägt, wie es vor 20 bis 30 Jahren der Fall gewesen sei.
Aber der Geist der 68er ist noch nicht ganz verflogen. Im Nordosten Berlins haben Bürger eine gemeinnützige Vereinigung gegründet. Ihr Ziel ist es, einen historischen Gebäudekomplex zu renovieren, um dort Wohnungen, Büros, Läden, ein Museum und eine Therapiepraxis zu errichten. In ökologischer Hinsicht hat man sich viel vorgenommen. Manager Uwe Glade beschreibt das Stadtgut Blankenfelde als ein sozial orientiertes und ganzheitliches Projekt.
Die Vereinigung ist nicht Eigentümerin des Grundstücks, sondern pachtet es von der Trias Stiftung. Die 10 Millionen Euro, die für das Projekt benötigt werden, erhält man als zinslose Darlehen von privaten Stiftern, gemeinnützigen Organisationen und den Mitgliedern selbst. Diejenigen, die kein eigenes Kapital mit einbringen können, seien aber nicht von der Teilnahme ausgeschlossen, betont Glade. Auch deshalb ist das Projekt in sozialer Hinsicht vielfältiger als vergleichbare Vorhaben. Das Konzept in Blankenfelde scheint aufzugehen. Die meisten der geplanten Wohnungen sind bereits vermietet.