Streit um Ostseepipeline
9. Februar 2007Gotland ist bekannt für weiße Strände und stille Buchten, doch zurzeit ist die Idylle getrübt. Denn die Gotländer sehen ihr Eiland in der Ostsee von der Gaspipeline bedroht, die das deutsch-russische Konsortium Nord Stream unter der Federführung des Energieriesen Gazprom plant. Ab 2010 soll russisches Erdgas durch "Mare Balticum" nach Lubmin bei Greifswald fließen. "Die Pipeline wird direkt an der Küste Gotlands vorbeiführen", sagt Åsa Andersson vom schwedischen World Wildlife Fund (WWF). "Die Umweltbeeinträchtigungen sind bedenklich." Der WWF fordert deshalb Alternativen zur geplanten Trasse. "Nord Stream muss auf alle denkbaren Szenarien eingehen. Das wurde bisher versäumt", kritisiert Andersson. Schließlich gebe es denkbare Wege etwa durch das Baltikum, wo bereits Erdgaspipelines verlaufen.
Umweltverträglichkeitsprüfung läuft
Zurzeit läuft für das Großprojekt die Umweltverträglichkeitsprüfung; das Verfahren liegt in den Händen des Betreibers. Im Herbst will Nord Stream den nationalen Behörden das Umweltgutachten vorlegen. "Es werden alle sensiblen Punkte streng abgearbeitet werden", sagte der Leiter des Aktionärsausschusses, Altbundeskanzler Gerhard Schröder, am Mittwoch (7.2.) in Brüssel. Hat ein Land Zweifel an der Umweltverträglichkeit der Gasleitung, kann es zusätzliche Auflagen erlassen. Befugt dazu sind Deutschland, Russland, Finnland, Dänemark und Schweden, da die Leitung ihre Außenwirtschaftszonen berührt. Andere Ostseeanrainer wie Polen oder die baltischen Staaten haben nur Anhörungsrechte.
Ganz unwahrscheinlich sind mögliche Einwände nicht. Denn überall stößt das Megaprojekt auf Kritik. In Schweden ist der Protest besonders laut. Die schwedischen Umweltschützer kritisieren unter anderem, dass die Pipeline viel zu dicht an Meeresschutzgebieten vor Gotland vorbeiführen soll. Giftsstoffe, die während der Grabungen am Meeresgrund aufgewühlt werden oder bei den Bauarbeiten ins Wasser gelangen, könnten die Schutzgebiete schädigen. Die gotländischen Fischer befürchten, dass die Gasleitung ihre Schleppnetzfischerei behindert.
Doch die größte Sorge gilt den chemischen Waffen, die noch aus Kriegszeiten tonnenweise auf dem Ostseegrund lagern. "Die Munition ist ein hohes Sicherheitsrisiko", sagt Åsa Andersson. Leicht könnten bei Explosionen gefährliche Chemikalien frei werden. "Die Munitionslagerplätze sind uns bekannt", entgegnet Nord Stream-Sprecher Jens Müller. "Die Pipeline wird nicht in ihrer Nähe verlaufen." Zudem werde der Meeresboden entlang der 1200 Kilometer langen Leitung systematisch durchsucht.
Schwedens spezielle Sorgen
Vorbildlich sind die Sicherheitsvorkehrungen von Nord Stream nach Ansicht von Christian Dahlke, Referatsleiter im Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie, das in Deutschland das Umweltgutachten zur Pipeline bewertet. "Gazprom hat begriffen, dass das Projekt nach europäischen Richtlinien durchgeführt werden muss." Nach dem Bau der Pipeline dürfte es keine größeren ökologischen Probleme geben, erklärt Dahlke weiter. "Auch in der Nordsee hat es keine Probleme mit Pipelines gegeben."
Die Schweden teilen ihre ökologischen Sorgen vor allem mit den Finnen und Balten. Auch deutsche Umweltverbände kritisieren die Mega-Leitung. Und die Regierung in Warschau befürchtet, künftig von russischen Energielieferungen ausgeschlossen zu sein. Doch die Schweden haben eigene Gründe, gegen die Pipeline zu sein: Erdgas spielt in der stark auf erneuerbare Quellen ausgerichteten Energiewirtschaft nahezu keine Rolle. "Wir wollen unsere Abhängigkeit vom Öl doch nicht durch Abhängigkeit von Gas ersetzen". Mit dieser Begründung lehnte Schwedens Wirtschaftsminister das Angebot von Nord Stream ab, Gas direkt ins Land zu pumpen.
Könnte Schweden die Pipeline stoppen?
Die Pipeline ist auch zur Sicherheitsfrage geworden. Weil in Schweden 1981 ein russisches Spionage-U-Boot strandete, befürchten Bürger und Politiker, dass der russische Geheimdienst das Projekt für neue Aktivitäten missbrauchen könnte. Die sozialdemokratische Opposition und der konservative Verteidigungsminister sehen in der Pipeline bereits ein Risiko für die nationale Sicherheit.
Umstritten ist, ob Schweden das Projekt stoppen könnte. Nach Ansicht von Nord Stream gibt es hierfür keine Möglichkeit. Schwedische Juristen halten das aber durchaus für denkbar. Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Stockholmer Reichstag setzt sich für ein Veto ein. Christian Dahlke ist skeptisch. "Es muss schon gewichtige Gründe etwa im Bereich des Naturschutzes geben, um das Projekt abzulehnen. Das Fenster dafür ist sehr eng."
Der Premierminister schweigt sich noch aus
Vieles spricht dafür, dass die Pipeline wie geplant realisiert wird. Denn es ist von den EU-Staaten politisch gewollt, um Europas Energiehunger zu stillen und die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren. 2015 soll Europa laut Nord Stream über die Leitung bereits ein Viertel seines Erdgasbedarfs abdecken. Schwedens Premierminister Fredrik Reinfeldt schweigt sich noch aus, wenngleich er den Pipeline-Plänen gegenüber als weniger skeptisch gilt.
Doch Reinfeldts Schweigen ist verständlich. Denn schließlich hat auch Schweden im EU-Ministerrat dem Projekt zugestimmt. Eine Kehrtwende wäre ein politisches Armutszeugnis, das die europäischen Staatschefs dem erst im September 2006 gewählten Kollegen kaum verzeihen würden. Wieviel der Premierminister tatsächlich riskiert, wird sich Anfang 2008 zeigen. Erst dann werden die Staaten über das Umweltgutachten zur Pipeline endgültig entscheiden.