Schwierige Wahrheitsfindung
6. August 2014Erster Prozesstag, 6. Mai 2013: Die Angeklagte
Wie sieht sie aus, die mutmaßliche Terroristin? Die Frau, die über 13 Jahre mit "den beiden Uwes" - Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - im Untergrund gelebt haben soll, um Deutschland mit einer beispiellosen Mordserie zu überziehen. Um Einwanderer in Angst und Schrecken zu versetzen. Um ihre rassistische Hass-Propaganda zu verbreiten. Beate Zschäpe betritt an diesem ersten Verhandlungstag um 9:55 Uhr den Münchener Gerichtssaal. Ein Blitzlichtgewitter bricht aus: Fotoapparate und Kameras gieren nach einem Bild vom vermeintlich Bösen. Zschäpe dreht der Reporterwand schnell den Rücken zu – flankiert von ihren drei Anwälten. An die zweihundert Menschen beobachten still oder leise flüsternd das Spektakel: Angehörige der Opfer, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, dutzende Journalisten und viele Zuschauer. Zschäpe trägt einen blauen Hosenanzug. Eine weiße Bluse. Das lang gelockte Haar lässt sie weiblich wirken. Mädchenhaft. Sie könnte eine Rechtsanwaltsgehilfin sein, die selbst neugierig diesen Trubel verfolgt. Die nicht auf der Anklagebank sitzt. Manche Beobachter stören sich in den kommenden Tagen daran, dass so viel über das Äußere der überzeugten Rechtsextremistin geschrieben wird und nicht über ihre politische Haltung. Aber auch das Äußere hat in diesem Fall eine Botschaft: Hass kann sehr normal aussehen.
14. Mai 2013: Der Chef-Ankläger
Generalbundesanwalt Herbert Diemer verliest die Anklageschrift: 500 Seiten haben die Bundesanwälte gebraucht, um alle Vorwürfe zusammenzutragen. Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe soll zehn Menschen ermordet haben. Weitere Vorwürfe: versuchter Mord in 25 Fällen, besonders schwerer Raub in zehn Fällen, räuberische Erpressung, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.
Die Ankläger sagen: Zschäpe und ihre Mittäter wollten aus völkischen, rassistischen Gründen Menschen töten. Ausgeführt wurden die Taten von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich das Leben nahmen, als die Terrorzelle aufflog. Weil Zschäpe aber unverzichtbar für die Vorbereitung der Morde gewesen sein soll, wird sie als Mittäterin angeklagt. Als Höchststrafe droht ihr lebenslange Haft.
19. Juni 2013: Die mutmaßlichen Helfer
Als Einziger der insgesamt fünf Angeklagten sagt Carsten S. vollumfänglich aus. Er belastet Beate Zschäpe, sich selbst und die weiteren Angeklagten schwer. Dem untergetauchten Trio hatte er die wichtigste Mordwaffe besorgt, eine Pistole mit Schalldämpfer. Carsten S. schildert über mehrere Verhandlungstage das Leben der Neonazis im wiedervereinigten Deutschland der 90er Jahre. Er schildert eine Welt voller Hass, voller Gewalt und voller menschenverachtender Ideologie. An diesem Tag endet seine Vernehmung mit einer Entschuldigung: "Ich kann nicht ermessen, was ihren Angehörigen für unglaubliches Leid, Unrecht angetan wurde. Ich denke mir, eine Entschuldigung wäre zu wenig. Eine Entschuldigung klingt für mich wie ein Sorry und dann ist es vorbei. Aber es ist noch lange nicht vorbei. Ich wollte ihnen mein tiefes Mitgefühl ausdrücken." Carsten S. bleibt der einzige Angeklagte, der sich bei den Opfern entschuldigt.
25. Juni 2013: Die Wohnung des Trios
Erneut wird Beate Zschäpe schwer belastet. Ein Brandermittler sagt aus. Es geht um die letzte Wohnung des Trios im ostdeutschen Zwickau. Kurz nachdem sich Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall das Leben genommen hatten, verlässt Zschäpe das Haus in der Zwickauer Frühlingsstraße. Fast unmittelbar danach explodiert das Gebäude.
Doch die Ermittler können unzählige Beweise sichern. In den folgenden Wochen wird der Brandermittler Hunderte Fotos aus der Wohnung vorlegen. Im ausgebrannten Schlafzimmer finden die Polizisten die erste Waffe, zehn weitere in den anderen Räumen. Sie finden Geld aus den Banküberfällen und Gegenstände von einem der Mord-Tatorte. Auf den Fotos ist gut zu erkennen: Die Wohnung des untergetauchten Trios war gesichert wie eine Festung. Kameras sind in den Blumenkästen versteckt, funkgesteuerte Alarmanlagen überwachen Wohnungstür und Keller. An insgesamt 19 Stellen finden die Ermittler nach der Explosion Spuren von Brandbeschleuniger. Sie finden sie auch in der Kleidung von Beate Zschäpe.
24. Juli 2013: Das Umfeld
Olaf B. ist ein ganz gewöhnlicher Mann. Er wohnt in der Zwickauer Frühlingsstraße. Ab und zu trifft er sich mit seinen Nachbarn auf ein Gläschen Wein oder eine Flasche Bier. Dann rauchen sie zusammen Zigaretten und unterhalten sich über Gott und die Welt. Bei diesen geselligen Runden war auch Beate Zschäpe immer mal wieder dabei, weswegen Olaf B. jetzt als Zeuge vor Gericht steht. Von Zschäpes Leben im Untergrund konnte er nichts wissen: Zschäpe lebte damals unter falschem Namen. Unangenehme Fragen musste sie in diesen Runden aber auch nicht fürchten - auf dem Fernseher von Olaf B. stand ein Bild von Adolf Hitler. "Hat sich mal jemand über das Bild beschwert?", fragt ein Anwalt der Nebenklage. "Nein", antwortet Olaf B, "es wurde toleriert." An solchen Verhandlungstagen zeigt der Prozess, wie verbreitet rechtsextreme und rassistische Gedanken noch in Deutschland sind. Es ist ein Milieu, in dem Rechtsterroristen leicht unentdeckt bleiben.
1. Oktober 2013: Die Opfer
"Ich bin Ismail Yozgat, der Vater des 21-jährigen Halit Yozgat, des Märtyrers, der am 6. April 2006 durch zwei Schüsse in den Kopf erschossen wurde und in meinen Armen gestorben ist." Mit diesen Worten beginnt einer der bewegendsten Verhandlungstage. Halit Yozgat ist das neunte Opfer des selbst ernannten "Nationalsozialistischen Untergrunds". Heute tritt sein Vater Ismail im Gerichtssaal der Hauptangeklagten Beate Zschäpe gegenüber.
Er schreit seinen Schmerz heraus: "Mit welchem Recht haben sie das getan. Mit welchem Recht haben sie mein Lämmchen getötet?" Yozgat schildert noch einmal, was er und seine Familie in den Monaten nach dem Mord durchmachen mussten. Wie sie, die Familie des Ermordeten, von der Polizei verdächtigt wurde. Als Drogendealer. Als Kriminelle. Wie er einen Herzinfarkt bekam, weil er alles nicht mehr ertragen konnte. Beate Zschäpe verfolgt die Ausführungen ungerührt. Die meiste Zeit blickt sie scheinbar geschäftig auf ihren Laptop.
27. November 2013: Die Familie
Am 61. Prozesstag ist die Mutter von Beate Zschäpe geladen, Annerose Zschäpe. Sie sagt nicht viel. Nur, dass sie im Moment ihre eigene Mutter pflegt. Richter Götzl fragt: "Möchten Sie aussagen?" "Nein", antwortet sie und macht als Angehörige von ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch. Beate Zschäpe starrt während dieser kurzen Begegnung vor sich hin. Sie zeigt keine Reaktionen.
16. Juli 2014: Die Verteidiger
Es ist Mittag, als dieser 128. Verhandlungstag eine überraschende Wendung nimmt: Ein Polizist lässt dem Vorsitzenden Richter von Beate Zschäpe ausrichten, dass sie kein Vertrauen mehr in ihre Verteidiger habe. Zuvor konnten ihre Anwälte erneut nicht verhindern, dass ihre Mandantin von einem Zeugen schwer belastet wird. Die Verhandlung wird ausgesetzt. Das Gericht muss den Antrag prüfen. Wenige Tage später wird er abgelehnt, Zschäpe muss mit ihren drei Pflichtverteidigern weiter zusammenarbeiten.
Auf Beobachter hat das Verhältnis bislang alles andere als einen zerrütteten Eindruck gemacht: Ihre Anwälte verteidigen sie mit Biss. Gerade für die Opferfamilien war ihre mitunter aggressive Art manchmal schwer zu ertragen. Mit Beate Zschäpe saßen sie meist einträchtig nebeneinander auf der Anklagebank.
22. Juli 2014: Die Unterstützer
Thomas G. ist ein überzeugter Neonazi. Über die sozialen Medien verbreitet er regelmäßig seine rassistischen und demokratiefeindlichen Parolen. Im NSU-Prozess muss er an diesem Verhandlungstag aussagen, weil er zum Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ gehört. Wie alle einschlägig bekannten Neonazis, die in diesem Mammutverfahren vernommen werden, verweigert sich Thomas G. dem Gericht. Er nennt es ein „Affentheater“, will zu wichtigen Fragen keine Angaben machen.
Nach monatelangen Verhandlungen wird klar: Die Neonaziszene hält fest zusammen. Bis heute. Und das selbst dann, wenn es um schwerste Straftaten mutmaßlicher Mörder und Terroristen geht. Diese Verschworenheit befeuert auch immer wieder die Frage, ob das untergetauchte Trio sich bei seinen Taten nicht doch auf ein weitaus größeres Helfernetz verlassen konnte, als bislang bekannt ist.