Die SPD sucht eine neue Ostpolitik
7. Mai 2022"Die Sozialdemokratie ist stolz auf die Ostpolitik von Willy Brandt. Sie war die Grundlage für die Wiedervereinigung und das Ende des Kalten Krieges", sagte der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil der Zeitung "Welt am Sonntag". Über Jahrzehnte sei es Konsens in der Bundesrepublik gewesen, dass Konflikte über Dialog entschärft werden können. Doch nun müsse aufgearbeitet werden, "was schiefgelaufen ist, welche Fehler gemacht wurden". Aber diese Debatte habe "nicht allein mit der SPD zu tun".
"Wandel durch Annäherung ist irgendwann zu Wandel durch Handel geworden. Und das war ein Fehler. Ökonomische Beziehungen ohne politische Veränderungen - dieses Konzept ist gescheitert", sagte Klingbeil und kündigte eine grundsätzliche Neubesinnung seiner Partei zur Politik gegenüber Russland an. "Wir haben uns zu stark auf Russland konzentriert."
Ein halbes Jahrhundert auf Kurs
Die SPD steht wie keine andere Partei in Deutschland für den Ausgleich mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Nachbarstaaten. Die Entspannungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt zielte seit 1969 zunächst auf das innerdeutsche Verhältnis zur DDR, ebnete aber auch den Weg zu den Ostverträgen, die in den frühen 1970er Jahren die Beziehungen zur Sowjetunion und den damaligen Warschauer Pakt-Staaten auf eine neue Grundlage stellten.
Vor diesem Hintergrund erwähnte Klingbeil in der "Welt am Sonntag" das Grundsatzprogramm der SPD. Darin stehe noch immer, dass Sicherheit in Europa nur mit Russland zu erreichen sei. "Das stimmt vor dem aktuellen Hintergrund des Krieges [gegen die Ukraine] nicht mehr", sagte der SPD-Chef. Die Europäische Union müsse wieder geostrategisch denken lernen. Neben der Ukraine brauche auch der Balkan eine Beitrittsperspektive zur EU. Ebenso müssten Staaten wie Moldau oder Georgien eng an die EU gebunden werden.
"Mich beschäftigt, aus welchem Grund die Politik insgesamt, auch noch nach der Besetzung der Krim 2014, allein auf Wandel durch Handel gesetzt hat", fügte Klingbeil hinzu. Die Antwort sei wichtig für Deutschlands künftige Beziehungen zu anderen Staaten, etwa zu China. Deutschland dürfe sich nicht in eine einseitige Abhängigkeit von China bringen. "Im Fall von China bedeutet es, dass wir die technologische Abhängigkeit von der Volksrepublik, in der wir uns längst befinden, massiv reduzieren müssen", sagte er.
rb/fab (www.welt.de, AFP, dpa)