Die Stadt-Farm im Big Apple
13. August 2017Tobias Peggs trägt schwarze Nikes, dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt. Er hüpft, um auch die hinterste Reihe seines Publikums sehen zu können. Die etwa 60 New Yorker tragen Sonnenbrillen, Sneakers, Umhängetaschen und sind mit Smartphones bewaffnet. Die Gruppe hat sich auf einem Parkplatz im New Yorker Stadtteil Brooklyn getroffen.
Peggs bittet alle darum, die Smartphones zu zücken und kündigt dann an: "Jetzt zeige ich euch eine Farm." Dann zieht er die schweren Türen eines Containers auf. Sichtbar wird eine Art großes Terrarium. Darin pinkes Licht und viele grüne Blätter kultivierter Pflanzen. Im Glas spiegelt sich die gegenüberliegende Lagerhalle in strahlendem Weiß, ein ehemaliges Gebäude des Pharmakonzerns Pfizer, einem der weltgrößten Hersteller von Chemikalien zum Düngen und Spritzen von Feldern. "Wir hätten uns keinen besseren Platz vorstellen können für unsere moderne Farm", sagt Peggs und grinst.
Gemüseanbau mit High-Tech-Hilfe
Square Roots ist eine Farm mitten in der Stadt. In zehn schneeweißen Containern ziehen Farmer Basilikum, Salat und Minze heran. Sie mieten die Container von Square Roots für 1200 Dollar monatlich und verkaufen ihre Ernte an Supermärkte und Restaurants. Die Mission: Blattgemüse platzsparend und ressourcenschonend anbauen und zwar vor allem da, wo es gebraucht wird: In Großstädten, die oft kilometerweit vom nächsten Bauernhof entfernt sind.
Gründer Tobias Peggs hat einen prominenten Partner und Mitgründer: Kimbal Musk, der Bruder von Tesla-Chef Elon Musk. Auf einer Konferenz der Reihe Ted Talk im August 2015 in Memphis sagte Kimbal Musk, er sähe hierin die Chance, "echtes" Essen anzubauen: "Essen, das gesund ist für den Konsumenten, den Planeten und ökonomisch sinnvoll für den Bauern."
Wo die Brüder Musk involviert sind, ist High-Tech nicht weit - und so sind auch die Containerfarmen echte Technologiewunder. Das Smartphone ermöglicht einen effizienten Einsatz von Ressourcen. Eine App überwacht Temperatur, CO2-Gehalt, Luftfeuchtigkeit. Und wenn nötig, dann sendet sie einen Alarm an die Farmer.
Wider den Raubbau an der Natur
Die traditionelle Landwirtschaft ist bislang konkurrenzlos. Doch die Umwelt leidet. Laut OECD verbraucht die Landwirtschaft 70 Prozent des verfügbaren Wassers weltweit und trägt maßgeblich zu dessen Verunreinigung mit Pestiziden bei. Landwirtschaft ist verantwortlich für bis zu einem Drittel der Treibhausgase.
Das ist doppelt gefährlich, denn gleichzeitig werden weltweit ständig Wälder abgeholzt, um Anbauflächen zu gewinnen. Hinzu kommt, dass durch lange Transportwege zusätzliche Emissionen ausgestoßen werden.
Das ist Raubbau an der Natur, sagt Jonathan Foley, der sich als Wissenschaftler und Autor mit dem Einfluss von Landwirtschaft auf die Umwelt beschäftigt. Die Menschheit stehe einer der größten Herausforderung jemals gegenüber. Neun Milliarden Menschen müssten ernährt werden und das, ohne den Planeten zu zerstören. "Wir haben nur den einen Versuch, und der muss klappen."
Immer mehr Menschen müssen ernährt werden
Denn die Weltbevölkerung wächst unaufhaltsam. Die United Nations schätzen, dass sie am Ende dieses Jahrhunderts bei 11,2 Milliarden liegen wird - aktuell sind es 7,5 Milliarden Menschen. Doch bereits jetzt ist einer von neun Menschen unterernährt, schätzt die UN weiter. Und das, obwohl die Menschheit den Planeten bereits regelrecht ausbeutet.
Das Ergebnis, warnt der Direktor der UN Einheit für Nahrung und Landwirtschaft José Graziano da Silva sei, dass bereits jetzt die Grenzen des Planeten überschritten seien, insbesondere wenn sich nichts ändert. Eben an diesem Wandel arbeiten einige Unternehmer fieberhaft. In Amerika schießen Urbane Farmen wie Pilze aus dem Boden. Sie liegen in der Stadt, verkürzen somit die Transportwege und kultivieren Nahrung ressourcen- und platzsparend.
Unternehmen wie Square Roots, AeroFarms und Fenway Farms versuchen sich deshalb an neuen Modellen. Die Pflanzen werden nicht mehr nebeneinander auf riesigen Feldern angebaut, sondern vertikal gestapelt. So wird weniger Platz verbraucht. Das Wasser zirkuliert, statt einmal vergossen zu werden. Ein Container verbraucht so am Tag etwas mehr als 30 Liter - halb soviel wie ein Amerikaner durchschnittlich bei einer Dusche verbraucht. Die Transportwege sind kurz, denn die Farmen liegen mitten in den Städten.
Das könnte erst der Anfang sein
Es gibt zahlreiche Gegner dieses Ansatzes. Und sie haben valide Argumente, denn noch haben auch die urbanen Farmer nicht für alles eine Lösung. Da sie nicht auf die Sonne als natürliche Lichtquelle setzen, brauchen sie künstliches Licht. Blaue und rote LEDs versorgen die Pflanzen mit all dem, was sie zur Photosynthese brauchen. Die LEDs und Klimaanlagen aber brauchen vor allem eines: viel Strom. Ein Container verbraucht am Tag 90 Kilowattstunden Strom. Bei einem New Yorker Strompreis würde das monatlich 600 Dollar oben aufschlagen. "Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass die gesamte Industrie noch arbeiten muss.", sagt Peggs selbst.
Die energieintensiven Ökocontainer greifen auch auf Strom zurück, der aus fossilen Energieträgern gewonnen wird. Ein weiterer Kritikpunkt: Bislang sei oft nur Blattgemüse im Anbau. Gemüse und Früchte bräuchten noch mehr Energie. Die Welt mit Salat zu versorgen, reiche nicht, sagt zum Beispiel Stan Cox von der gemeinnützigen Forschungseinrichtung Landinstitute. Er unterstütze, dass Gemüse in Städten angebaut werde, aber "wir werden den Großteil unseres Essens immer mit Erde und Sonne auf Feldern anbauen müssen, so wie es immer war."
Urbane Farmen stecken noch in den Kinderschuhen, das wissen auch die Betreiber. Aber ebenso bekannt ist, dass Landwirtschaft unserem Planeten stark zusetzt. Urbane Farmen sind eine, momentan die einzige Alternative. Und wenn ein Musk seine Finger im Spiel hat, ist so einiges möglich: Kimbals Bruder Elon schießt schließlich inzwischen Raketen ins All und ist Gründer der erfolgreichsten Elektroautomarke der Welt.