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Stimme eines geschockten Volkes

Sabrina Pabst30. Juli 2014

Diplomatie und Gefühle beherrschten die eindrucksvolle Rede vor dem UN-Sicherheitsrat, die ihn weltbekannt machte: Frans Timmermans, Außenminister der Niederlande, einem Land mitten in der Ukraine Krise.

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Bei der Überführung der Opfer des abgeschossenen Passagierflugzeuges MH17 tröstet der niederländische Außenminister Frans Timmermans eine Angehörige (Foto: REUTERS/Toussaint Kluiters/United Photos)
Bild: Reuters

Seine Stimme zittert, er hält inne, schluckt. "Für eine Minute möchte ich Sie nicht als Repräsentanten eines Landes ansprechen, sondern als Ehemänner und -Frauen, Väter und Mütter." Es ist ein bewegender Moment, als der niederländische Außenminister Frans Timmermans seine Rede vor dem Weltsicherheitsrat hält. "Ich möchte, dass sie sich vorstellen, dass sie die Nachricht bekommen, dass ihr Ehemann getötet wurde. Und zwei, drei Tage später sehen sie Bilder, wie ein Verbrecher den Ehering von seiner Hand stiehlt."

Während seiner Rede macht er immer wieder Pausen, in denen er kaum aufblickt. "Bis ans Ende meines Lebens werde ich nicht verstehen, warum es so lange gedauert hat, bis die Rettungskräfte ihre schwierige Arbeit aufnehmen konnten. Und dass die menschlichen Überreste in einem politischen Spiel benutzt werden." Pause. "Ich hoffe, dass das die Welt in Zukunft nicht noch einmal erleben muss. Diese Bilder verwandeln Trauer und Schmerz in die Wut einer ganzen Nation." Mit einem zerknüllten Taschentuch trocknet er seine Augen.

Frans Timmermans Rede dauerte keine sieben Minuten, doch sie trägt die Trauer und Verzweiflung einer ganzen Nation um die Welt. Frans Timmermans wird zum moralischen und politischen Gesicht des Dramas um Flugzeug MH17. Die Niederlande und Australien haben Aufklärungsteams in die Ostukraine geschickt, doch die Experten sitzen seit Tagen in der von russischen Separatisten kontrollierten Stadt Donezk fest. Timmermans verspricht: "Wir werden nicht ruhen, bis die Umstände aufgeklärt sind und Gerechtigkeit gesprochen wurde."

"Er hat das Herz an der richtigen Stelle"

Der Niederländer Bob Rusche twittert wenige Minuten nach dieser Rede: "Man kann über Timmermans sagen, was man will, aber mit seiner eindrucksvollen Rede sagt er, was Rutte (der niederländische Ministerpräsident) schon längst hätte sagen müssen."

Auf der Plattform Vice.com hat Perre van den Brink einen Blog für seine beiden Freunde angelegt, die bei dem Abschuss der Boeing 777 ums Leben gekommen sind. "Offenbar wird man das wahre Vermächtnis seiner Rede abwarten müssen, genauso wie die Frage, ob es ein russischer Diktator schaffen wird, etwas Mitgefühl und menschliches Anstandsgefühl zu zeigen. Aber wenn es ein Ding gibt, das Timmermans Rede bisher geschafft hat, ist zu zeigen, dass man Gewalt mit Menschlichkeit bekämpfen kann. Und für mich ist das die beste Rache für Tim, Sascha und all die anderen Opfer von MH17, die ich mir vorstellen kann." Aus der individuellen Betroffenheit wird durch die schnelle und weltweite Verbreitung über Twitter, Facebook und andere soziale Medien ein kollektives Gefühl.

Moral und Politik

Die bewegende Rede zeigt die zwei Gesichter des Politikers und das Spannungsfeld, in dem er steht: Der einfühlsame Familienvater von vier Kindern und auf der anderen Seite der souveräne Politiker, der Akzente einer Ansprache richtig setzen kann. In diesem höchst brisanten Konflikt hat er einen der schwersten Jobs.

"Der Außenminister macht nicht nur weltweit durch seine emotionale Rede vor dem Weltsicherheitsrat großen Eindruck, er beweist auch, dass er seine diplomatischen Schachzüge beherrscht und ein Auge für die Hinterbliebenen und Hilfeleistenden hat", kommentiert der Limburger Regionalsender L1. "Seine Züge sind phänomenal. Seine Russischkenntnisse, sein Hintergrund als Diplomat in Moskau und als Staatssekretär für europäische Angelegenheiten machen ihn zu einem Spieler von Format auf der Weltbühne."

Wut und Ratlosigkeit, doch Sanktionen müssen sein

Doch seine Position verlangt einiges von ihm ab. Der 53-Jährige gilt unter seinen EU-Kollegen als strenger Vertreter der Europäischen Grundwerte. Als der einstige Europa-Minister der Niederlande das Außenamt übernahm, galt es als deutliches Zeichen, dass die Niederlande wieder offener gegenüber Europa und der Europäischen Union auftreten wollten. Jetzt muss Timmermans die Balance finden zwischen der Empathie für die Hinterbliebenen und den politischen Interessen seines Landes. Die Niederlande hatten sich in den letzten zehn Jahren eher um ihre Innenpolitik gekümmert - die Außenpolitik überließ man lieber den großen Nachbarn.

Nach dem Abschuss der Passagiermaschine MH17 wurden die Niederlande in einen internationalen Konflikt hinein katapultiert und sehen sich nun mit den Weltmächten konfrontiert. Dennoch übernehmen sie Verantwortung und stellen Forderungen. All das, weil sie Opfer eines Krieges zu beklagen haben, der vorher so weit entfernt schien.

An einem der Wrackteile der MH17 hängen vertrocknete Blumen (Foto: AFP/Getty Images/Bulent Kilic)
Die Menschen in der Ostukraine drücken ihr Mitgefühl ausBild: AFP/Getty Images

Wouke van Scherrenbu schreibt auf Twitter: "Wie können nach dieser Ansprache von Timmermans dem Rest der EU noch Zweifel an den Sanktionen bleiben?"

Doch es erfordert von Timmermans diplomatisches Geschick in diesem Konflikt, möchte er doch die letzen Opfer von der Unglücksstelle in ihre Heimat bringen lassen. Andererseits verlangt er harte Sanktionen gegen Russland. Die wurden in Brüssel umgesetzt. Die Sanktionen seien ein starkes Signal an die Regierung in Moskau, dass sie sich auf dem falschen Pfad befinde, sagte Außenminister Frans Timmermanns im niederländischen Parlament.

Die Auseinandersetzung mit dem Kreml ist nicht seine erste: Wegen inhaftierter Greenpeace-Aktivisten aus den Niederlanden kritisierte er Präsident Wladimir Putin. Auch wegen verhafteter Filmemacher, die eine Dokumentation über Homosexualität drehten. Oder wegen des Überfalls auf einen ranghohen niederländischen Diplomaten in dessen Moskauer Wohnung.

Die Niederländer zollen ihm Respekt für seine bisherige Arbeit. Neue Umfragen belegen: noch nie war ein Politiker in den Niederlanden so populär.