Die Straße des Lebens: 70 Jahre danach
Knapp 900 Tage war Leningrad von der Wehrmacht eingekesselt. Nur im Winter gab es einen Weg hinein und hinaus: den eingefrorenen Ladogasee. Er war die "Straße des Lebens" und lebensgefährliche Reise zugleich.
Korridor übers Eis
Rund zweieinhalb Jahre war Leningrad von der Wehrmacht eingekesselt - von September 1941 bis Januar 1944. Nur in den zwei bitterkalten Wintern gab es einen einzigen Weg hinein und hinaus: über den gefrorenen Ladogasee. Lebensmittel wurden über das Eis in die Stadt gebracht. Mehr als eine Million Menschen konnten fliehen. Der Ladogasee war "Straße des Lebens" und lebensgefährliche Reise zugleich.
Wintereinbruch in Leningrad
In der von der Wehrmacht auf umzingelten Stadt - das heutige Sankt Petersburg - wurden bereits im ersten Winter Lebensmittelkarten eingeführt. Der Hunger war das größte Problem für die Einwohner, aber auch Krankheiten wie Typhus und Skorbut machten ihnen zu schaffen. Zudem sanken die Temperaturen weit unter Null Grad. Dadurch fror jedoch der Ladogasee zu, der für viele zum Rettungsweg wurde.
Bau der Eisstraße
Wissenschaftler und Fischer erstellten den Bauplan der Straße, die über den See führen sollte. Ein Aufklärungstrupp auf Skiern untersuchte und markierte mögliche Wege. Stellen mit dünnen Eisschichten wurden mit Baumstämmen überbrückt, hindernde Eisblöcke durchbrochen. So entstand die legendäre Eisstraße, offiziell "Militärische Autostraße Nr. 101", im Volksmund "Straße des Lebens" genannt.
Lebensrettende Last
Pferdeschlitten wagten sich als Erste über die Eisstraße. Stark abgemagerte Tiere mussten die Güter und Menschen mit letzer Kraft über die verschneiten Wege schleppen. Nicht alle schafften die lange Strecke. Doch viele Pferde kehrten mit den so dringend nötigen Lebensmitteln in die Stadt zurück.
Lastwagen auf brechendem Eis
Als in Leningrad die letzten Mehlvorräte aufgebraucht waren, versuchten Bäcker buchstäblich aus Staub Brotersatz zu backen. Über die Eisstraße fuhren schließlich auch Lastwagen mit Lebensmitteln. Die ersten beladenen Rückkehrer wurden von hungrigen Menschen empfangen, applaudierend und weinend zugleich. Doch bereits in den ersten zwei Wochen sanken 157 Laster durch gebrochenes Eis in den See.
Pausenlos und ohne Schlaf
Pausenlos brachten die Fahrer, darunter auch viele junge Frauen, ihre lebenswichtigen Ladungen in die hungernde Stadt. Völlig entkräftet setzten sie ihre Arbeit dennoch fort - und kämpften gegen Unterernährung, Kälte und die Gefahr, beim Fahren einzuschlafen. Also hängten sie Kochtöpfe in den vorderen Teil des Wagens, die Lärm machen und die Fahrer und Fahrerinnen wach halten sollten.
Tägliche Brotration
Die tägliche Brotration der Leningrader lag im Winter 1941 bei nur 125 Gramm pro Person. Zeitzeugen behaupten: das im Sankt Petersburger Museum "Straße des Lebens" ausgestellte Stück Brot (Foto) sei wesentlich größer, als das, was sie damals bekommen hätten. Das "Brot" bestand aus einer heute unvorstellbaren Mischung aus Baumrinde, Kleie, Ölkuchen, Tannennadeln und ein wenig Mehl.
Evakuierung
Während des zweiten Blockade-Winters wurden über den vereisten See tausende Menschen evakuiert. Am Leningrader Finnland-Bahnhof mussten die Menschen auf die nächste Gelegenheit warten, die Stadt zu verlassen. Doch es gab zu wenig Platz in den Zügen, die zum See fuhren. Viele von ihnen - vor allem Kinder - starben noch bevor sie die Reise über den verschneiten See antreten konnten.
Die Opfer
872 Tage dauerte die Belagerung Leningrads. Mehr als eine Millionen Menschen starben - die meisten von ihnen an Hunger. Über den Ladogasee konnten knapp eineinhalb Millionen Menschen fliehen. Mehr als 1,5 Millionen Tonnen Lebensmittel erreichten die Zivilbevölkerung über den vereisten Seeweg.
70 Jahre danach…
Diese moderne Autobahnstrecke, die heute zum Westufer der Ladogasees führt, hat mit der damaligen lebensrettenden Straße nichts mehr gemeinsam. Damals war dieser Landweg, der zur eigentlichen Seestraße führte, eine gefährliche, hügelige und kurvige Straße, die häufig beschossen wurde. Heute wirkt sie gerade zu idyllisch. Friedlich.