Die studierte Krankenschwester aus Brasilien
6. Juni 2023Thaiana Santos aus Rio de Janeiro war schnell klar, dass sie nicht mehr in ihrem Heimatland arbeiten will. "Ich habe aus finanziellen Gründen teilweise in zwei oder drei Krankenhäusern gleichzeitig gearbeitet", erzählt die 29-jährige Krankenschwester.
Trotzdem reichte das Gehalt nicht aus, um in den Urlaub zu fahren. "Ich war überlastet, müde und habe nur gearbeitet, um meine Rechnungen zu bezahlen", erzählt sie. Nach Gesprächen mit Freunden, die in Deutschland arbeiten, entschied sie sich auszuwandern.
Auch Krankenpflegerin Jaqueline Piccoli Korb kennt die Situation. Vier Jahre arbeitete sie in dem südbrasilianischen Ort Ijuí, bis sie den Entschluss fasste, nach Deutschland zu kommen. "Ich war noch jung, mit meiner Arbeit nicht mehr so richtig zufrieden und wollte mehr Lebenserfahrung sammeln", sagt sie.
Krankenschwester Luiza Moraes hingegen hat gar nicht erst in Brasilien gearbeitet. Nach ihrem Studium der Krankenpflege bereitete sie sich direkt darauf vor, nach Deutschland zu gehen.
"Ich wollte schon immer ins Ausland", erzählt sie. Seit Oktober 2020 arbeitet sie im Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Vermittelt wurde sie durch einen Personaldienstleister.
Brücke zwischen Pflegern und Kliniken
Einige Kliniken in Deutschland arbeiten mit Vermittlern zusammen, um Fachkräfte aus dem Ausland unter Vertrag zu nehmen. Diese regeln den gesamten Prozess von der Anwerbung bis zur Einreise nach Deutschland. Dazu gehören auch Deutschunterricht in Brasilien und Visaanträge.
Bezahlt werden die Dienstleister von den Krankenhäusern selbst. Auch Thaiana Santos kam auf diesem Weg nach Deutschland. Der Anwerbeprozess dauerte insgesamt zwei Jahre.
Die Wege aus Brasilien nach Deutschland sind vielfältig.
Die Wege aus Brasilien nach Deutschland sind vielfältig. So lernte Krankenpflegerin Jaqueline Piccoli Korb den ärztlichen Direktor der Helios Kliniken Mittelweser, Michael Stalp, bereits in Brasilien kennen. Dieser hat inzwischen mit einem Krankenhaus in der südbrasilianischen Stadt Ijuí eine Kooperation begonnen. Dadurch habe sich, so Stalp, "die Möglichkeit ergeben, im persönlichen Kontakt und in persönlicher Zusammenarbeit Fachkräfte aus Süd-Brasilien für uns zu gewinnen".
Dieses Projekt sei sehr erfolgreich, so Stalp. Zweimal im Jahr gebe es Besuche in Ijuí, bei denen etwa 20 bis 25 Fachkräfte gewonnen würden, die an unterschiedlichen Helios Standorten arbeiten – derzeit neben Nienburg noch in Cuxhaven und Leipzig. In Nienburg ist aktuell neben Piccoli Korb noch eine weitere brasilianische Pflegekraft tätig, im Spätsommer kommen zehn weitere. Dieses sind dann die ersten Kolleginnen und Kollegen aus dem langfristigen Projekt, die im Moment in Brasilien noch ihre Deutschkurse absolvieren.
"Wir haben mehr Autorität"
Krankenpflegerin Thaiana Santos hat sich gut in Deutschland eingelebt und eine eigene Wohnung in Berlin gefunden. Zuvor war ihr eine Wohnung vom Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, in dem sie arbeitet, gestellt worden.
Doch trotzdem gebe es einiges, an das sie sich erst einmal habe gewöhnen müssen. Denn Arbeit und Ausbildung unterscheiden sich in Deutschland und Brasilien deutlich voneinander. Während Krankenpflege in Brasilien ein Studienfach ist, gehört der Bereich in Deutschland zu den Ausbildungsberufen.
Alle drei brasilianischen Krankenpflegerinnen verfügen folglich über einen Universitätsabschluss. So musste Thaiana Santos sich umstellen. In Brasilien sei es nicht ihre Aufgabe gewesen, Medikamente vorzubereiten oder zu verabreichen. Diese Aufgabe und auch das Waschen würde von anderen Mitarbeitenden übernommen.
Mit einem Universitätsabschluss seien Krankenpflegerinnen und Pfleger in Brasilien eher darauf vorbereitet, eine Stationsleitung zu übernehmen. "Wir haben mehr Autorität und mehr Freiheiten", betont sie. Deshalb sei sie am Anfang teilweise frustriert gewesen. Dazu komme außerdem die Angst, etwas falsch zu machen: "Was in Brasilien richtig ist, kann hier falsch sein."
Trotzdem will sie nicht nach Brasilien zurück. "Die Lebensqualität ist besser, ich habe Ferien, ich kann in den Urlaub fahren und meine Freizeit genießen." Auch habe sie in ihrer Heimat oft Angst gehabt, alleine durch die Straßen zu gehen, das sei in Deutschland nicht der Fall.
Auch Luiza Moraes plant nicht, nach Brasilien zurückzukehren. Momentan macht die 27-Jährige eine Weiterbildung, um mit internationalen Pflegekräften zusammenzuarbeiten und sie zu unterstützen.
"Ich wollte in Deutschland eine Perspektive haben und Sicherheit, es ist also eine perfekte Situation." Sie vermisse zwar ihre Familie, doch dadurch, dass sie in Deutschland Freunde gefunden habe und viele Menschen kenne, sei ihr Alltag einfacher.
Wo bleibt die Anerkennung?
Alle drei Krankenschwestern begrüßen die Pläne der deutschen Regierung, brasilianische Pflegekräfte nach Deutschland zu holen. Es sei aber wichtig, so Thaiana Santos, die angeworbenen Fachkräfte bei der Suche nach einer Wohnung zu unterstützen.
Außerdem wünscht sie sich, dass es mehr Anerkennung für die Pflegefachkräfte aus Brasilien gibt. Deutsche Kollegen sollten über die Ausbildung und den Alltag in Brasilien informiert werden.
Luiza Moraes sieht das ähnlich. Wenn es Missverständnisse gebe, liege es oft nicht daran, dass die Brasilianer etwas nicht können, sondern an den anfangs häufig auftretenden Sprachbarrieren.