Die Suche nach dem Glück auf einer Nordseeinsel
20. März 2019Genau wie viele andere junge Eltern haben mich die ersten Jahre als Mutter sehr "geschafft". Meine Zeit verbrachte ich hauptsächlich zwischen Arbeit und Kindergarten, zwischen Wohnung und Spielplatz. Acht Stunden Durchschlafen galt als unerreichbarer Luxus. Unvorstellbar waren auch Abende mit Freunden in einer Bar, Yoga-Kurse oder andere Projekte der Selbstverwirklichung, die immer so blumig in den Frauenzeitschriften dargestellt werden. Nach einem Winter, in dem Viren über uns herfielen, Fieber und Schnupfen unser Leben bestimmten, empfahl mir mein Arzt eine Kur zu machen.
Die Deutschen sind große Kur-Fans. Dabei muss ich immer an die Helden und Heldinnen aus Romanen des 19. Jahrhunderts denken, die zur Entspannung in die Berge oder an die See fuhren, um etwa ihre Tuberkulose zu kurieren. Die Realität so einer Entspannung blieb Fiktion, bis ich nach Europa zog und das Konzept der Kur kennenlernte.
Schuld an meinen Beschwerden war weniger eine Krankheit, als vielmehr der dringende Wunsch nach einer Pause von meinem übervollen Alltag. Ich wurde also auf eine Mutter-Kind Kur auf die Nordseeinsel Langeoog geschickt. Die Idee: Drei Wochen kein Stress, Immunsystem stärken und Lösungen entwickeln, um den Stress zu Hause in den Griff zu bekommen. Auf eine Kur zu gehen, heißt, mehr als einen Schritt zurück zu treten vom Alltag - es ist vielmehr eine Reise zurück in der Zeit.
Aus dem Auto an den Strand
So fühlte es sich jedenfalls an, als wir samt Gepäck mit der Fähre an der Nordseeküste anlandeten. Die Fahrt durch das Wattenmeer zu unserer Nordseeinsel ist abhängig von den Gezeiten. Eile oder Stress machen keinen Sinn, allein das Meer gibt das Tempo vor.
Auf der Insel ist man allein auf sich und seine Muskelkraft angewiesen. Es gibt zwar Pferdekutschen und einen kurzen, bunten Zug, mit dem man aber nur bis zur Hauptstraße fahren kann. Entschleunigung ist das Maß aller Dinge.
Wir mussten nicht viel zu Fuß laufen: Die ganze Insel misst nur ungefähr 19 Quadratkilometer, auch die Größe ist abhängig von den Gezeiten. Die Insel ist ein einziger Sandhaufen. Es gibt nicht viel anderes zu sehen als Wasser und Dünen. Wenn man aber die Robben auf der anderen Inselseite besuchen möchte, muss man sich ein Fahrrad ausleihen und in die Pedale treten.
Das ist ein ziemlicher Kontrast zu meinem gewohnten Alltag, in dem das Pendeln mit dem Zug oder dem Auto zur Arbeit an einem guten Tag auch schon mal eine Stunde dauert (meistens mehr, je nachdem wie pünktlich die Züge oder wie viele Autos sich auf den Straßen stauen). Laut einer Studie, die 2014 im Vereinigten Königreich veröffentlicht wurde, haben Pendler, deren Reisezeit zwischen 61 und 90 Minuten beträgt, ein niedrigeres Glücksempfinden und einen höheren Stresslevel. Die Nicht-Pendler schnitten im Vergleich sehr viel besser ab. Allein das Betreten der Insel brachte mich also einen Schritt dem Glück näher.
Es geht weiter: mein Projekt zum Glücklich Sein
Auch wenn mein Arzt mir die Kur nicht als Glücksurlaub verschrieben hatte, da die Mutter-Kind Kur eigentlich als Chance für Eltern gedacht ist, mit ihren Kindern stressfrei zusammenzusein, verschmolzen die Idee der Stressreduzierung und die Verbesserung meines eigenen Glückslevels immer mehr.
Mein Arzt gab mir ein Programm, wie ich meine Zeit auf der Insel zu organisieren hatte. Zusätzlich zu den Mahlzeiten und den Strandaufenthalten mit meinem Kind, musste ich mich regelmäßig bewegen. Mit gutem Grund: Studien haben gezeigt, dass Jogger durchschnittlich besser auf der Glücksskala abschneiden als die restliche Bevölkerung. In einer Studie sagten 89 Prozent der Läufer aus, dass Bewegung sie glücklicher macht und diese einen positiven Einfluss auf ihre geistige Gesundheit hat.
Auch mir hilft Laufen dabei, meinen Kopf frei zu bekommen. Also schrieb ich mich für ein fünftägiges Sportprogramm ein. Zusätzlich ging es morgens zum Kneippen. Dabei wateten wir zügig durch das knietiefe Wasser (zügig, weil die Nordsee 12 Grad kalt war).
Digitales Fasten
Auch ohne diese Kurse war die Kur eine komplette Umgewöhnung von meinem Schreibtischjob, bei dem ich die ganze Zeit erreichbar war und ständig im Internet surfte. In unserem Mutter-Kind-Heim gab es kein Internet. Das nächstgelegene W-LAN befand sich in einem Café 500 Meter entfernt. Den Aufwand war es mir nicht wert, also fastete ich digital.
Es war für mich eine neue Erfahrung, an Blumen zu riechen, ohne das Foto in meine Instagram-Story zu posten. Wieviel einfacher ist es, Drachen steigen zu lassen, ohne gleichzeitig den neuesten Twitter-Skandal verfolgen zu müssen oder Mails nach Terminen abzurufen.
Ein bisschen Offline-Zeit half mir dabei, die Work-Life-Balance zu wiederzufinden. Die Kur brachte mich dem Glück ein Stück näher, in dem ich ein paar Wochen einen Gang runterschaltete. Glücklich zu sein, würde ich niemals zugeben. Ich wurde mit der Vorstellung groß, dass das Streben nach Glück der eigentliche Lebensinhalt ist. Meine Auszeit auf Langeoog war der Beweis, dass genau dieses Streben mich dem Glück näher brachte.