"USA sind Garant für türkischen Wohlstand"
27. April 2019DW: Die USA möchten ihre Sanktionen gegen den Iran verschärfen. Das würde auch die Türkei treffen, denn Washington hat angekündigt, dass acht Länder - unter ihnen die Türkei - ab Mai nicht mehr ungestraft iranisches Öl importieren dürfen. Vorher gab es eine Ausnahmeregelung. Die türkische Regierung hat die Entscheidung bereits scharf kritisiert. Könnte das Import-Verbot die Spannungen zwischen Ankara und Washington weiter verschärfen?
Ian Lesser: Die Ausnahmeregelung zu beenden, das hat eigentlich nichts mit der Türkei zu tun. Die Sanktionen richten sich eindeutig gegen den Iran. Zurzeit legt die Trump-Administration eine härtere Gangart gegen den Iran ein. Doch die Sorge der Türkei ist verständlich, schließlich gibt es eine Vorgeschichte: Die Türkei erinnert sich daran, wie sehr es auch ihnen wirtschaftlich geschadet hat, als in letzten Jahrzehnten Sanktionen gegen den Irak, gegen den Iran oder gegen Russland erhoben wurden. Sanktionen als Instrument der Außenpolitik sind in der Türkei sehr unbeliebt.
Auch die Türkei selber könnte ins Visier von US-Sanktionen geraten. Denn Ankara erwägt, das russische Raketenabwehrsystem S-400 zu kaufen und der amerikanischen Variante vorzuziehen.
Ich denke, das Hauptproblem ist ein Mangel an Vertrauen zwischen den beiden Ländern. Die Beziehungen zwischen Washington und der Türkei waren noch nie einfach. Das liegt daran, dass man zwei vollkommen unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt hat, speziell im Mittleren Osten. Die Region hat für beide Länder hohes strategisches Interesse. Ob Irak, Russland, Iran oder Syrien - die USA sieht die Region durch die Linse der globalen Machtpolitik, die Türkei wiederum sieht sich als Regionalmacht. Aber so schlecht waren die Beziehungen wirklich noch nie. In den Medien, unter Analysten, im Pentagon, im gesamten politischen Washington sind die Meinungen zur türkischen Regierung sehr schlecht. Die Türkei hat momentan nicht viele Freunde in Washington.
Während sich die Beziehungen zwischen der Türkei und ihren westlichen Partnern verschlechtert, nähert sich die türkische Regierung nicht-westlichen Akteuren an: nämlich Russland, China und dem Iran. Meinen Sie, dass diese Länder die traditionellen Partner der Türkei ersetzen können? Oder kann die Türkei sogar einen Alleingang wagen?
Dieses Phänomen ist keineswegs nur auf die Türkei begrenzt. Länder, die früher einmal in der internationalen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik eingespannt waren, neigen jetzt dazu, Alleingänge zu unternehmen. Das ist keine gute Idee. Besonders für die Türkei ist das keine gute Idee, denn gerade dieses Land benötigt solche Verflechtungen. Sie braucht die wirtschaftliche Dynamik, die Stabilität, unabhängig von allen Meinungsverschiedenheiten. Die USA sind ein Garant für den türkischen Wohlstand und ein Stabilisator, auch in Zeiten, in denen es Spannungen gibt. Man denke an den Internationalen Währungsfond, der die Türkei aus der Wirtschaftskrise heraus manövrieren könnte.
Meinen Sie, die Türkei könnte auch finanzielle Unterstützung aus alternativen Quellen beziehen?
Die Türkei ist sowohl von den internationalen Märkten, also auch von dem globalen Finanzsystem abhängig, und zwar so sehr wie nur wenige Länder. Sowohl in Finanz-, als auch in Sicherheitsfragen liegen die besten Antworten im Westen. Die Türkei erlebt eine bereits lang andauernde Phase der wirtschaftlichen Instabilität, sowie Unsicherheit in ihrer Nachbarschaftsregion - in Eurasien, im Mittleren Osten, auf dem Balkan, im östlichen Mittelmeerraum. Es ist umso wichtiger, dass die Türkei verlässliche Partner hat. Eine Loslösung vom Westen ist riskant. Vielleicht ist der Westen irgendwann in den entscheidenden Momenten nicht mehr für die Türkei da.
Präsident Erdogan hat vor wenigen Tagen angekündigt, dass er mit Donald Trump bald ein Telefonat führen möchte. Glauben Sie, ein Telefonat zwischen Erdogan und Trump könnte dabei helfen, Spannungen abzubauen?
Ein einfaches Telefonat ist gar nicht so unrealistisch. Das türkische System ist sehr auf Erdogan zugeschnittene, auch die Regierung in Washington hält es mit einem recht personalisierten Stil. Weil beide Macht konzentrieren, könnte ein simpler Anruf viel bewirken: etwa Meinungsverschiedenheiten ausräumen. Aber damit das möglich ist, muss man sich auf ein Paket mit Kompromissen einigen können. Im Moment haben wir aber vor allem eins: Differenzen bei Schlüsselpunkten.
Ian Lesser ist der Stellvertretende Vorsitzende der amerikanischen Denkfabrik German Marshall Fund.