Türkei-EU
5. Juli 2010Gerade erst wurde in den Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU ein weiteres Kapitel aufgeschlagen: Lebensmittelsicherheit, Veterinärwesen und Gesundheit von Pflanzenschutzmitteln. Es ist Kapitel Nummer 13 seit der Aufnahme der Beitrittsverhandlungen im Oktober 2005.
Der Mittelmeerkoordinator des Zentrums für internationale Beziehungen und Entwicklungsarbeit in Barcelona, Eduard Soler i Lecha, sieht darin einerseits zwar den Nachweis für einen langsamen Fortschritt der Beitrittsverhandlungen, andererseits beurteilt Soler i Lecha den Zustand der türkisch-europäischen Beziehungen pessimistisch. "Man weiß nicht, wohin man sich bewegt. Einige in der Türkei beginnen zu glauben, dass sie die EU nicht mehr brauchen, dass sie stark genug sind und über ausreichende Wirtschaftskraft und politisches Prestige verfügen, um ohne die EU auszukommen", meint Soler i Lecha. "Und es gibt viele Europäer, die glauben, dass sie die Türkei nicht brauchen."
Große Enttäuschung über Europas Haltung
Soler i Lecha rechnet nicht mit einer Trendwende, solange die europäischen Regierungen nicht ihre Türkei-Politik änderten. Wegen des Zypern-Konflikts sind beispielsweise weiterhin acht von den 35 Kapiteln in den Beitrittsverhandlungen auf Eis gelegt. Darüber hinaus gibt es Widerstände in den Reihen der konservativen Parteien gegen den EU-Beitritt der Türkei. In Deutschland können sich die Unionsparteien maximal ein "Ja" zu einer so genannten privilegierten Partnerschaft abringen. Mit Frankreich unter Führung von Staatspräsident Nicolas Sarkozy ist ein weiteres wichtiges EU-Mitglied gegen die Beitrittsambitionen der Türkei.
Professor Heinz-Jürgen Axt vom Institut für politische Wissenschaft an der Universität Duisburg-Essen weist auf die große Enttäuschung hin, die in der Türkei über die Haltung der EU herrsche. Auf diese Enttäuschung seien auch die Richtungsänderungen in der türkischen Außenpolitik zurückzuführen. "Man fühlt sich ein Stück weit zurückgestoßen. Man sucht jetzt nach neuen Ankerpunkten, nach neuen Feldern, auf denen sich die türkische Politik profilieren kann. Diese Enttäuschung spielt sicherlich eine Rolle", erklärt Axt. Der Experte empfiehlt aber auch der türkischen Politik, nichts zu übertreiben, sondern durchaus in ständigem Kontakt mit der Europäischen Union zu bleiben. "Denn eine Türkei, die sich von der Europäischen Union abkoppelt, kann natürlich nicht das Programm umsetzen, das sie sich vorgenommen hat."
Schluss mit dem ewigen Warten
Die türkischen Regierungsverreter sagen zwar, der EU-Prozess werde fortgesetzt, türkische Experten sind aber anderer Auffassung. Sie stimmen darin überein, dass die EU in der türkischen Außenpolitik keine prioritäre Rolle mehr spielt.
Der Politikwissenschaftler Ahmet Kasim Han von der Universität Istanbul sieht einen der Gründe für die stärkere außenpolitische Profilierung der Türkei darin, dass das Land von der EU weiterhin "im Wartezimmer" gelassen werde. "Gegenwärtig ist Europa der größte Handelspartner der Türkei. Wir werden aber noch abwarten und sehen müssen, wie sich die Wirtschaftskrise in den führenden Staaten Europas auf die türkisch-europäischen Beziehungen auswirkt", sagt Han. Die würden nicht so einfach abreißen. Schließlich seien die türkisch-europäischen Beziehungen nicht nur von den Beziehungen zur Europäischen Union abhängig.
Autor: Beria Jülide Danışman
Redaktion: Klaus Dahmann/ Nicole Scherschun