Die tragische Geschichte des René Adler
7. Februar 2018Ein trauriger Mexikaner unter seinem Sombrero. Ein wütender Clown. Ein schreiender Tiger und ein grimmiger Fred Feuerstein. Die Szenerie im Fanblock der Mainzer ist fast ein wenig zum Schmunzeln. Dabei ist sie ziemlich ernst. Der FSV Mainz 05 steht mit dem Rücken zur Wand. In ihren Karnevals-, pardon: Fastnachts-Kostümen, sind die Mainzer Fans ins benachbarte Frankfurt gereist, um sich kurz vor den tollen Tagen am Rhein noch mit einem Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals in Stimmung zu bringen. Doch daraus wird nichts. Ein 0:3, das noch demütigender ausfällt, als es das Ergebnis vermuten lässt. Das Ende aller Mainzer Utopien, mit einer Pokal-Überraschung eine bislang völlig verkorkste Saison noch zu retten und ein dicker Stimmungs-Dämpfer für alle Mainzer Narren.
"Das ist ein Tiefpunkt. Verlieren darf man mal, aber wie? Das geht so nicht", sagt Nigel de Jong nach dem Spiel und schüttelt den Kopf. Währenddessen steht René Adler vor besagtem Fanblock und hört sich still das Geschimpfe der Fans an. Sein Blick geht zu Boden. Dabei dürfte ihm wohl auch diese Szene noch einmal durch den Kopf gehen: 17. Minute, Adler nimmt den Ball an und will ihn nach links zu einem Mitspieler weiterleiten, braucht dabei aber zu lange, wird von Ante Rebic bedrängt und vertändelt den Ball ohne Not am eigenen Fünfmeterraum. Marius Wolf schnappt sich das Spielgerät, passt auf Rebic und der macht ohne Mühe das 1:0 für Frankfurt. Der Assist gehört eigentlich Adler. Und auch bei den weiteren Gegentreffern durch Alexander Hack (53., Eigentor) und Omar Mascarell (62.) sieht Adler nicht gut aus. Was ein katastrophaler Einstand.
14 mehrwöchige Verletzungen prägten seine Karriere
Denn René Adler ist gerade erst wieder von einer dreieinhalbmonatigen Verletzungspause zurück. Der Keeper hatte sich kurz nach seinem Wechsel von Hamburg nach Mainz beim Zweitrunden-Pokalspiel gegen Holstein Kiel einen Muskel- und Sehnenriss zugezogen und sollte eigentlich erst am Samstag gegen Hoffenheim wieder auflaufen. Doch sein Vertreter Robin Zentner fällt wegen einer Augapfel-Prellung für das Pokalspiel in Frankfurt aus. Kommt das Comeback für Adler also einfach zu früh?
Wohl eher nicht. Drei Tage machen bei einer Rekonvaleszenz von dreieinhalb Monaten nicht viel aus. Adler meldete sich im Training wieder fit. Und nach eigener Aussage, findet er in solchen Situationen wieder schnell in seinen Rhythmus: "Ich habe schon einige Erfahrungen mit Comebacks sammeln dürfen und gezeigt, dass ich nicht viel Anlaufzeit brauche, um wieder komplett da zu sein." Vielleicht stimmt das in zunehmenden Alter nicht mehr ganz. Adler ist inzwischen 33 Jahre alt und blickt auf eine lange Verletzungsgeschichte zurück. Nicht weniger als 14 mehrwöchige Verletzungen zählen die Statistiker in seinen elf Jahren als Profi. Und eine nach der anderen warf ihn weiter zurück.
Das Thema WM ist wohl durch
Besonders folgenschwer war jene im April 2010: Damals brach sich Adler bei einem Spiel in Stuttgart eine Rippe, fiel 73 Tage aus und verpasste die WM 2010 in Südafrika, bei der er eigentlich als Nummer 1 im deutschen Team vorgesehen war. An seine Stelle rückte Manuel Neuer, der sich bis heute nachhaltig auf dieser Position behauptet hat. René Adler musste dagegen zusehen, wie weitere deutsche Torhüter an ihm vorbeizogen. Weil sich Adler erneut verletzte und seinen Stammplatz im Verein einbüßte, fuhren auch zur EM 2012 andere als er. Nach dem Turnier gab er sein Comeback: Adler spielte inzwischen beim HSV und zeigte wieder starke Leistungen. Doch nach nur zwei Spielen im Tor der Nationalelf war 2013 wieder Schluss für ihn im DFB-Trikot. Doch Adler hörte nie auf, zu träumen: Eine Teilnahme an der WM 2018 in Russland wäre "eine Riesengeschichte, vor allem, weil ich ja zwei Weltmeisterschaften verpasst habe", so Adler im Oktober. "Wir haben viele gute junge Keeper, die in den Planungen ganz andere Rollen spielen. Man weiß aber nie, was im Fußball passiert. Wenn Jogi anrufen sollte, wäre es eine absolute Auszeichnung." Doch dann folgte eine weitere Verletzung und ein eben wenig verheißungsvolles Comeback im DFB-Pokal. Das Thema WM ist mit hoher Wahrscheinlichkeit durch.
Mainz wird ziemlich sicher die letzte Station in der tragischen Karriere des René Adler. Neben den zahlreichen Verletzungen prägten auch unglückliche Vereinswechsel seine Laufbahn. Mainz ist so etwas wie die letzte Chance für einen bleibenden letzten Eindruck. Doch die aktuelle Saison des FSV ist geprägt von Verunsicherung, verpassten Chancen und viel Mittelmaß. Kein einziger Auswärtssieg gelang Mainz in dieser Saison, aktuell liegen die Mainzer auf Platz 16, Tendenz: fallend.
Und so ist es auch kaum überraschend, dass René Adlers erster Arbeitstag im Jahr 2018 mit einem gellenden Pfeiffkonzert endet. Ob der Keeper seine einst so verheißungsvolle Karriere auch in der 2. Liga ausklingen lassen würde? Darüber ist bisher nichts bekannt. Wohl aber über Adlers Exit-Strategie: Der gebürtige Leipziger will nach seiner aktiven Laufbahn zurück nach Hamburg, dort sein BWL-Studium fortsetzen und seine Torwarthandschuh-Firma aufbauen: "Für Torwarthandschuhe brenne ich".