Türkei, Iran und der palästinensische Joker
12. Februar 2020Die Erklärung kam wie beiläufig über Twitter. Der "Jahrhundert-Deal" von US-Präsident Trump werde nicht durchkommen, schrieb der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif am 10. Februar. Der Iran werde weiterhin an der Seite des palästinensischen Volkes stehen und dessen Recht auf "Wiedererlangung ihres Landes" und dessen "Befreiung" unterstützen.
"Jerusalem wird die Hauptstadt der Palästinenser bleiben, dessen vollständiger Befreiung wir entgegenstreben", schrieb Zarif weiter. In einem begleitenden Video-Clip erklärte er zudem, die iranische Bevölkerung und ihre Regierung würden die Palästinenser weiterhin unterstützen, ungeachtet der ökonomischen Sanktionen, die die USA dem Land auferlegt hatten.
Mit seinem Tweet folgte Zarif der Linie des geistlichen Oberhaupts des Iran, Ali Chamenei. Der hatte sich am 5. Februar ebenfalls zu Trumps "Jahrhundert-Deal" geäußert: Die amerikanischen "Tyrannen und Hooligans" hätten durch den Plan ein Zeichen ihrer "Bösartigkeit" gesetzt. Der Plan werde sterben, "bevor Trump stirbt", erklärte Chamenei. "Die arrogante Macht hat versucht, die Palästinenser in Vergessenheit geraten zu lassen. Aber ihre Anstrengungen werden genau zum gegenteiligen Effekt führen."
Protest auch aus der Türkei
Scharfer Protest gegen den von Trump vorgelegten Plan kommt nicht nur aus Teheran. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte ihn mit scharfen Worten. "Die Türkei wird niemals erlauben, dass der Frieden in der Region durch den so genannten 'Jahrhundert-Deal' den Nahost-Friedensplan durcheinanderbringt", erklärte Erdogan am Rande einer Konferenz in Malaysia. Trumps Plan sei "nichts als ein Traum, der den Frieden in der Region bedroht. Wir werden nicht zulassen, dass er Wirklichkeit wird".
In diesem Punkt war sich Erdogan ausnahmsweise einig mit seinen innenpolitischen Gegnern. "Der Status von Jerusalem ist Gegenstand des gemeinsamen Kampfes der islamischen Welt", erklärte der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu auf einer Protestveranstaltung am 9. Februar. Imamoglu ist einer der bekanntesten Köpfe der größten Oppositionspartei des Landes, Cumhuriyet Halk Partisi (CHP).
Überwiegende Zurückhaltung seitens arabischer Staaten
Die Äußerungen Erdogans sowie Zarifs und Chameneis gehörten zu den schärfsten, die in der Region seit Bekanntwerden von Trumps Plan zu vernehmen waren. So ließ sich der kuwaitische Parlamentsabgeordnete Marzoug Al-Ghanaem am vergangenen Samstag dabei filmen, wie er eine Kopie des Plans in eine Mülltone warf und damit durch eine Geste seine zeitgleich geäußerte Einschätzung unterstrich, der Plan gehöre "in den Mülleimer der Geschichte".
Die Kritik aus anderen Teilen des Nahen Osten fiel dagegen überwiegend deutlich zurückhaltender aus als in den vorhergehenden Jahren. Die Arabische Liga erklärte in einem Kommunique etwa, sie würde nicht mit den USA zusammenarbeiten, um den Plan umzusetzen, weil er "nicht den Mindestrechten und Bestrebungen des palästinensischen Volkes entspricht". Trumps Plan führe zu "Apartheid".
Die Türkei und der Iran: Zwei Staaten am Rande der arabischen Welt
Diese Zurückhaltung erlaubte dem Iran und der Türkei, sich an die Spitze des Protestes gegen Trumps Plan zu setzen. Ein Umstand eint die beiden Länder: In sprachlicher Hinsicht gehören sie nicht zur arabischen Welt. Weder das Türkisch noch das Persische ist mit dem Arabischen verwandt, ungeachtet der hohen Zahl aus dem Arabischen entliehener Wörter. Die sprachliche Randstellung hatte eine politische zur Folge: beide Länder konnten sich nie zum Kern der "arabischen Welt" zählen. Deren gläubige Bürger sehen sich geeint durch den gemeinsamen Bezug auf die in Arabisch verfasste heilige Schrift des Islam, den Koran.
Zu der Außenseiterrolle passte, dass der Iran unter dem 1979 gestürzten Schah Mohammad Reza Pahlavi einen auch kulturell dezidiert pro-westlichen Kurs einschlug, dessen betont säkularer Charakter stärker ausgeprägt war als in den meisten benachbarten arabischen Ländern.
Noch stärker trägt die Türkei an ihrem geschichtlichen Erbe. Ihr Vorgängerstaat, das 1922 zerfallene Osmanische Reich, galt in den von ihm beherrschten arabischen Provinzen als imperiale Macht, gegen die die Araber sich insbesondere zur Zeit des Ersten Weltkriegs erhoben.
Die aus jenen Zeiten stammende Abneigung lässt sich noch heute wiederbeleben. Das zeigt sich dieser Tage etwa in dem Protest, den das türkische Engagement in Libyen in einigen arabischen Staaten auslöste. In Libyen unterstützt die Türkei den - durch keine Wahlen legitimierten - Premier Fayiz as-Sarradsch im Kampf gegen seinen Konkurrenten, den der Exilregierung in Tobruk verbundenen General Chalifa Haftar. Die Regierung in Ankara versuche "ihre Macht in Regionen auszuweiten, die einst zum ehemaligen Osmanischen Reich gehörten", hieß es Mitte Januar etwa in der ägyptischen (von der Regierung in Kairo kontrollierten) Zeitung "Ahram".
Die türkischen Interessen
Mit ihrer Präsenz in Libyen ebenso wie ihrem Engagement in Nord-Syrien hat die Türkei in der Region zahlreiche Staaten gegen sich aufgebracht. Mit ihren Libyen-Plänen trifft sie etwa auf den Widerstand Ägyptens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens. Diese Staaten wenden sich auch gegen die türkische Präsenz in Syrien. Das kriegsgeplagte Land, so ihre Sorge, könnte dadurch restlos zerfallen und in ein noch tieferes Chaos gleiten, aus dessen Grund dann neue dschihadistische Gruppen entstehen. Die Flucht vieler in kurdischen Lagern und Gefängnissen festgehaltener Kämpfer der Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) zu Bgeinn der türkischen Intervention gab diesen Befürchtungen recht.
In den Autonomiegebieten unterstützt die Türkei gleichermaßen die beiden politischen Konkurrenten Fatah und die islamistische Hamas. Das tut sie politisch ebenso wie ökonomisch. Ein Akt eher symbolischer Natur war Anfang Januar dieses Jahres die Übergabe digitaler Kopien von alten Dokumenten aus der Zeit des Osmanischen Reichs. Sie sollen den Palästinensern Auskunft über die damaligen Besitzverhältnisse in den heutigen Autonomiegebieten geben. Auf diese Weise will die Türkei die Palästinenser dabei unterstützen, die von ihnen vorgetragenen Ansprüche auf heute israelischem Territorium zu untermauern.
Mit einer solchen Politik präsentiert sich die Türkei als Staat, der die palästinensische Sache so aktiv wie wenige andere unterstützt. Dies trägt ihr in Teilen der arabischen Welt Sympathien ein - weniger von Seiten der Regierungen als der Bürger.
Das iranische Kalkül
Auch der Iran muss in der arabischen Welt um Sympathien kämpfen. Bis zur Tötung des Kommandeur der Al-Quds-Kräfte, Ghassem Soleimani, sah sich die Führung in Teheran in einigen arabischen Staaten starker Kritik ausgesetzt. Insbesondere im Libanon und im Irak protestierten viele Menschen gegen den iranischen Einfluss in den beiden Ländern. Hier wie dort demonstrierten Schiiten und Sunniten gemeinsam für einen überkonfessionellen, allein dem nationalen Wohl verpflichteten Staat. Zwar standen die Demonstranten in beiden Ländern nicht für deren jeweilige Gesamtgesellschaft, bildeten aber doch eine hinreichend große Masse, um die Führung in Teheran nervös werden zu lassen.
Die Tötung Soleimanis am Flughafen von Bagdad wendete dann die Situation. Insbesondere die schiitischen Demonstranten sahen im Iran wieder eine Schutzmacht, die sie gegen US-amerikanische Übergriffe schütze.
Den Anspruch, eine Schutzmacht der arabischen Welt zu sein, dokumentiert der Iran auch durch sein Engagement für die Palästinenser. Nicht zuletzt dürfte das Regime in Teheran auf diese Weise auch versuchen, kurz vor den Parlamentswahlen die ihm fremd gewordene eigene Bevölkerung hinter sich zu versammeln - getreu der alten Erfahrung, dass nach innen nichts so sehr eint wie die Konzentration auf einen gemeinsamen Feind - in diesem Fall die USA und Israel.