Die Ukraine driftet weg von Europa
17. November 2011In der Vergangenheit haben die Ukrainer in Umfragen die Beziehungen ihres Landes zur EU und zu Deutschland erfreulicherweise positiv beurteilt. Die Kontakte seien freundschaftlich oder partnerschaftlich, hieß es meist. Doch die Zeiten haben sich offenbar geändert. Zum ersten Mal liefert die im Auftrag der Deutschen Welle vom Markt- und Meinungsforschungsinstitut IFAK in der Ukraine in regelmäßigen Abständen erhobene repräsentative Befragung ein negatives Bild: Nur jeder vierte Ukrainer gibt im DW-Trend eine positive Einschätzung der Beziehungen zur EU ab. Auch im Hinblick auf Deutschland ergibt sich ein ähnlich kritisches Bild. Die Zahl der Ukrainer, die den Beziehungen ein gutes Zeugnis ausstellt, ist klein geworden. Vor einem Jahr sprach noch fast jeder Zweite von einem freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Verhältnis.
Eine Frostperiode in den Beziehungen?
Droht zu Beginn des Winters damit auch eine Frostperiode in den politischen Beziehungen? Die Umfrage zeigt in aller Deutlichkeit, dass sich in der ukrainischen Bevölkerung eine pessimistische Stimmung breit gemacht hat. Zwar befürwortet weiter eine Mehrheit einen EU-Beitritt des Landes, aber die Erwartungen an einen Fortschritt in den Beziehungen sind gering. Fast die Hälfte der Ukrainer (44 Prozent) glaubt, dass sich unter Präsident Viktor Janukowitsch die Beziehungen zur EU und zu Deutschland verschlechtern.
Das sind schlimme Neuigkeiten kurz vor dem im Dezember geplanten Gipfel zwischen der Ukraine und der EU, wo ein umfassendes Assoziierungs- und Freihandelsabkommen unterzeichnet werden könnte. Die Ukraine und EU-Europa würden damit ein großes Stück näher aneinander heranrücken. Zum beiderseitigen Vorteil, davon ist auszugehen. Denn die Verhandlungsdelegationen haben in den vergangenen Monaten ihre Interessen formuliert und miteinander abgestimmt. Doch diese Leistung wird überschattet durch die jüngsten politischen Entwicklungen, die auch die ukrainischen Bürger in der Umfrage beschäftigen.
Sorge wegen autoritärer Tendenzen
Dazu gehört vor allem das Urteil gegen Julia Timoschenko. Die Umstände des Prozesses und die langjährige Haftstrafe gegen die frühere ukrainische Regierungschefin auf der Basis eines umstrittenen Gesetzes aus der Sowjetzeit sind nicht nur in der EU von vielen als politisch motiviert aufgenommen worden. Auch 52 Prozent der Ukrainer halten das Urteil in der Umfrage für politisch motiviert. Nur 31 Prozent finden es berechtigt.
Zugleich zeigt die Umfrage, dass in der Ukraine die Sorge vor amtlicher Willkür und autoritären Tendenzen wächst. Solche politischen Entwicklungen passen aber nicht zu den Grundwerten der EU, die neben dem wirtschaftlichen Wohlstand ihrer Mitgliedsländer auf klaren demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen basiert. Die Probleme, die die Beziehungen der Ukraine zu Europa derzeit so schwer belasten, müssen also beseitigt werden, damit eine weitere Annäherung möglich ist.
Abkehr von Europa?
In der Umfrage wird deutlich, dass die ukrainischen Bürger sich vor allem wirtschaftlichen Wohlstand, aber durchaus auch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erhoffen. Das sind Ziele, für die die EU eintritt. Eine vertiefte Partnerschaft zwischen der Ukraine und der EU wäre also im Interesse der ukrainischen Bevölkerung. Trotzdem sieht es politisch eher nach einer Abwendung der Ukraine von Europa aus. Die Menschen in der Ukraine stellen sich offenbar bereits darauf ein, wenn sie erwarten, dass sich die Beziehungen zu Europa unter Präsident Janukowitsch eher verschlechtern als verbessern.
Autor: Bernd Johann
Redaktion: Andreas Noll