Ultra-orthodoxe Rebellinnen
13. März 2015Nur wenige sind ihrem Facebook-Aufruf gefolgt und in den kleinen Jerusalemer Park gekommen: Ruth Kolian lässt sich dennoch nicht entmutigen. Die junge ultra-orthodoxe Frau macht Wahlkampf für ihre Partei Be'zchutan, ein hebräisches Wortspiel was sich in etwa mit "Auf uns kommt es an/Für unseren Verdienst" übersetzen lässt. Hier in einem säkularen Wohnviertel von Jerusalem spricht sie an diesem sonnigen Spätnachmittag unermüdlich Passanten an, versucht, sie ganz persönlich von ihren Ideen zu überzeugen. "Wir brauchen diese Partei, denn wir wurden in all diesen Jahren an den Rand gedrängt", sagt die 33-Jährige mit einem Lächeln. "Es wird Zeit, dass wir endlich besser vertreten werden und unseren Platz in der Knesset für ultra-orthodoxe Frauen einfordern."
Ruth Kolian ist Mitbegründerin der ersten Partei für ultra-orthodoxe Frauen. Vier Kandidatinnen wollen am 17. März in die Knesset einziehen und sorgen damit für Aufsehen. Auch bei dem Wahlkampfauftritt in dem kleinen Park ist Kolian vor allem Fernsehteams und Reportern umringt. Nur wenige potenzielle Wählerinnen sind gekommen. Die Jungpolitikerin ist Mutter von vier Kindern, Jura-Studentin und gilt als Rebellin in ihrer Gemeinschaft. "Alles ist besser als die Situation jetzt. Ultra-orthodoxe Frauen sind wirklich von allem ausgeschlossen", sagt Kolian.
In der Welt der der Haredim (Hebräisch für: "Die Gottesfürchtigen") ist das ein ungewöhnlicher und kühner Schritt. Rund neun Prozent der israelischen Bevölkerung gilt als ultra-orthodox, als streng-gläubig. Frauen nehmen in dieser abgeschotteten Gemeinschaft zumindest öffentlich wenig Raum ein. In den Wohngebieten der Haredim herrschen ganz eigene Regeln. Werbeplakate mit Frauen sind dort nicht zugelassen. Zuletzt sorgte gar eine ultra-orthodoxe Zeitung für Aufsehen, die die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf einem Foto wegretuschierte. Denn die Rollenverteilung ist bei den Haredim klar definiert: Frauen sind für Familie und Kinder zuständig. Gleichzeitig müssen Frauen allerdings oft auch den Lebensunterhalt für ihre Familien verdienen, während die Männer sich dem Studium der Thora widmen. Rund 80 Prozent der Haredim-Frauen gehen arbeiten.
Mehr Rechte für religiöse Frauen
"Es wird uns immer gesagt, unser Job sei es zu allererst, Hausfrau zu sein. Aber wir sind mehr als das, wir schultern all die Last, beschreibt Kolian die Situation. "Und selbst dann tun sie nichts für uns." Gemeint sind die allein von Männern dominierten ultra-orthodoxen Parteien wie Shas, die sich weigern, Frauen einen Platz auf ihren Wahllisten einzuräumen. Von ihnen sieht sich Kolian nicht vertreten.
Die Reaktionen darauf sind gemischt, auch innerhalb der ultra-orthodoxen Gemeinschaft. Die Jungpolitikerin findet vor allem bei säkularen Israelis Gehör. "Ich glaube nicht, dass sie große Chancen haben, leider, muss man sagen", sagt der israelische Journalist Danny Rubinstein. "Dabei spielen sie eine wichtige Rolle in der israelischen Gesellschaft und der Wirtschaft, denn ihre Männer arbeiten ja fast alle nicht. Sie sitzen den ganzen Tag in der Yeshiva und die Frauen gehen arbeiten." Es wäre an der Zeit, dass die ultra-orthodoxen Frauen endlich auch im Parlament sitzen, meint der Journalist.
Ruth Kolian hat sehr genaue Vorstellungen, was sie als Knesset-Abgeordnete tun würde. Im Gesundheitsbereich etwa sieht sie Handlungsbedarf. Männliche Haredi-Abgeordnete würden oft erst gar nicht bei Debatten in der Knesset erscheinen, wenn es um gesundheitliche Belange von Frauen geht. Zuletzt sei dies bei einer Debatte über Vorsorge-Untersuchungen bei Brustkrebs passiert. Darüber zu sprechen gelte als unsittlich und problematisch, sagt Kolian. Oder wenn es um häusliche Gewalt gehe, ein anderes Tabu-Thema, das sie angehen will.
"Wenn eine ultra-orthodoxe Frau Opfer von Gewalt zu Hause wird, dann heißt das, sie wird zuerst von ihrem Mann geschlagen und dann von ihrer Gemeinschaft", sagt Kolian. "Es ist nicht üblich, dass man darüber offen spricht. Eine Frau gilt dann schnell als Querulantin." Und letztlich hilft ihr auch der Staat nicht. Es gäbe schlicht nicht genügend Frauenhäuser für ultra-orthodoxe Frauen, die ganz andere Bedürfnisse haben als nicht-religiöse Frauen.
Gefängnisstrafe bei Scheidung?
Eine ihrer Mitstreiterinnen hat dies am eigenen Leib erfahren. Gila Yashar steht vor dem Rabbinatsgericht auf der King-George-Straße im Zentrum von Jerusalem und liest eine Petition vor. Auch vor ihr haben sich Kamerateams aufgebaut. Einige Passanten bleiben neugierig stehen. Im Scheidungskrieg mit ihrem Mann hatte sie der Richter kurzerhand zu zehn Tagen Gefängnis verurteilt. Jetzt hofft Gila Yashar darauf, zumindest ihre Wohnung zugesprochen zu bekommen.
"Ich will mich dafür einsetzen, dass es endlich unabhängige Anlaufstellen als Alternative für die religiösen Gerichte gibt, an die sich Frauen wenden können", sagt Gila Yashar, selbst Mutter von sieben Kindern. "Es kann doch nicht sein, dass Frauen all ihre Rechte abtreten müssen, wenn sie sich von ihrem Mann trennen." Frauen, die sich vor einem religiösen Gericht scheiden lassen wollen, sind auf die Zustimmung ihres Ehepartners angewiesen.
Auch ein paar Unterstützerinnen sind zu Yashars Protestaktion gekommen. "Ich bin hier, weil mich das wirklich aufregt, dass die Rabbinatsgerichte nichts an der Situation verändern, obwohl sie das könnten", sagt Naava Shafner. Die junge Frau, selbst religiös, will die Frauenpartei unterstützen "weil es an der Zeit ist, da etwas zu verändern." Ein anderer Passant, ein frommer Jude, bleibt stehen und fängt eine Diskussion an. "Ich habe lange über ihre Ideen nachgedacht", sagt Yaakov Moshe Katz schließlich. "Aber sie können nicht gegen all die Rabbiner angehen. Jeder der Rabbiner ist gegen sie, wirklich alle sind gegen sie."
Scharfe Kritik und Anfeindungen
Und in der Welt der Strenggläubigen sind die Rabbiner diejenigen, die die Vorgaben machen. Yossi Elituv, Chefredakteur des religiösen Wochenmagazins "Mishpaha" beschreibt die neue Partei als ein "Medienphänomen". Wenn jemand in Mea Sharim hustet, dem ultra-orthodoxen Viertel Jerusalems, dann werde es in der säkularen Welt sofort wahrgenommen, "ohne es wirklich zu verstehen", sagt Elituv. Er sieht keine Revolution, die sich durch die Frauen anbahne. "Sie müssen erst ihre Schwestern davon überzeugen, dass es sinnvoll ist, wenn sie an vorderster Front stehen", sagt Elituv. "Dies mag es in der säkularen Gesellschaft geben, aber in der jüdischen Tradition gibt es eine Rolle für den Mann und eine Rolle für die Frau. Das ist so seit 3000 Jahren so, seit uns die Thora gegeben wurde."
Ruth Kolian kennt diese Argumente nur allzu gut. Die Mutter von vier Kindern muss mit vielen Anfeindungen kämpfen. Aber ihre Familie, sagt sie, unterstütze sie. "In unserer Gesellschaft ist es sehr schwierig, etwas zu verändern. Da geht nicht von heute auf morgen. Und Frauen aus unserer Gemeinschaft gehen nicht einfach auf die Straße, um zu demonstrieren. Andererseits scheinen sich auch viele von unseren Ideen bedroht zu fühlen."
Beschimpfungen und Anfeindungen seien alltäglich geworden, erzählt die junge Frau. Nachts müsse sie ihr Mobiltelefon ausschalten, um nicht ständig mit Schmähanrufen belästigt zu werden. Doch aufgeben wolle sie nicht. Fünf bis sechs Sitze in der Knesset, das wäre ihr Traumergebnis. Davon sind sie vielleicht jetzt noch weit entfernt. Aber die Frauen von Be'zchutan haben eine Diskussion angestoßen. Und das allein ist eine kleine Revolution.