Ungewisse Sicherheitslage nach 2014
17. März 2014Für Afghanistan ist 2014 ein Schicksalsjahr: Nach mehr als zwölf Jahren endet in wenigen Monaten der internationale Truppeneinsatz. Die USA befürchten für die Zeit danach eine Verschlechterung der Lage. Washington setzt deshalb alles daran, ein Sicherheitsabkommen mit der afghanischen Regierung zu schließen. Bis zu 10.000 Soldaten könnten dann im Land bleiben, sowohl aus den USA als auch aus anderen NATO-Staaten.
Zwar hat die Loya Dschirga - die große Ratsversammlung mit ihren 2500 Clan-Führern und Stammesältesten - den Plänen zugestimmt. Der scheidende afghanische Präsident Hamid Karsai hat seine Unterschrift unter das bilaterale Sicherheitsabkommen allerdings bislang verweigert. Karsai will das Thema offenbar seinem Amtsnachfolger überlassen. Ob die aussichtsreichen Präsidentschafts-Kandidaten einer ausländischen Truppenpräsenz weniger kritisch gegenüber stehen, ist allerdings fraglich.
Internationale Drohkulisse
Die Verärgerung in Washington über Karsais starre Haltung ist groß. US-Präsident Obama droht bereits mit einem kompletten Truppenabzug bis Ende 2014, sollte das Sicherheitsabkommen nicht zustande kommen. Noch schwerwiegender aber wären die Folgen für Afghanistan, wenn die USA den Geldhahn zudrehen würde. Schätzungsweise vier Milliarden kosten die afghanischen Sicherheitskräfte pro Jahr – Geld, das zum Großteil aus Washington kommt.
Auch die NATO macht Druck. Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen kündigte an, dass auch sämtliche Truppen des Verteidigungsbündnisses bis Ende Dezember abgezogen würden, sollte das Sicherheitsabkommen nicht unterzeichnet werden.
Zweifel an den Fähigkeiten der Polizei
Trotz kleiner Fortschritte in sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereichen: Präsident Karsai hinterlässt ein Land, in dem die Sicherheitslage nach wie vor angespannt ist. Nach UN-Angaben stieg die Zahl der getöteten Zivilisten 2013 gegenüber dem Vorjahr um 14 Prozent. Zwar haben die afghanischen Sicherheitskräfte insgesamt Fortschritte im Kampf gegen die Taliban erzielt. Experten bezweifeln jedoch, dass Polizei und Militär ohne internationale Hilfe in der Lage sein werden, im ganzen Land für Sicherheit zu sorgen.
Noch immer kämpft die Truppe mit Problemen in den eigenen Reihen: Drogenmissbrauch, Analphabetismus und Fahnenflucht sind an der Tagesordnung. "Diese Polizeikräfte sollen eine der weltweit brisantesten Regionen kontrollieren", sagt Michael Kugelman, Südasien-Experte am Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington. "Wenn man sich alles zusammen ansieht, dann ist die Katastrophe vorprogrammiert - auch wenn die Amerikaner und ihre Partner versuchen, die Lage schönzureden."
Taliban und Al Kaida
Die größte Bedrohung für die Sicherheit im Land sind nach wie vor die Taliban. Nach einer Reduzierung oder einem vollständigen Abzug der internationalen Truppen könnten sie nach Einschätzung Kugelmans Druck auf die Regierung ausüben mit dem Ziel, politisch Einfluss zu nehmen. Wahrscheinlicher sei aber, dass die Taliban mit Hilfe von verbündeten Gruppierungen verstärkt versuchen, die afghanische Regierung zu stürzen.
Ein weiteres Sicherheitsrisiko ist Al-Kaida. Zwar ist das Terrornetzwerk in Afghanistan geschwächt, doch nach wie vor im Land präsent. Besonders stark ist Al-Kaida im benachbarten Pakistan. "Wenn sich die Sicherheitslage in Afghanistan weiter verschlechtert, und besonders wenn die afghanischen Taliban es schaffen sollten, wieder an die Macht zu kommen, müssten wir uns Sorgen um eine Wiederauferstehung von Al-Kaida machen", so Kugelman.
Kristian Berg Harpviken, Direktor am Peace Research Institute Oslo (PRIO) gibt zu bedenken, dass die kompromisslose Vorgehensweise der internationalen Truppen eine neue Generation junger, radikaler Kämpfer geprägt habe. Diese Taliban hätten es mittlerweile bereits bis in die mittlere Führungsebene geschafft.
Richtungsweisende Wahlen
Die Präsidentschaftswahlen seien entscheidend für den künftigen Kurs der Taliban, so Kugelman. Nur wenn die Wahl rechtmäßig, frei und fair abläuft, werde die afghanische Bevölkerung ihre neue Regierung als bessere Alternative zu den Taliban sehen. Außerdem müsse die künftige Regierung die Afghanen davon überzeugen, dass sie effektiver arbeitet und weniger korrupt ist als ihre Vorgänger. "Wenn die Mehrheit der Afghanen eine solche Meinung von ihrer Regierung hat, werden die Aufständischen es schwerer haben, Mitglieder zu rekrutieren. Und das wird sie insgesamt schwächen."
Eine missglückte oder gescheiterte Wahl könnte dagegen nach Ansicht von Experten dazu führen, dass noch mehr Kämpfer zu den Taliban überlaufen. Wenn sich dann auch noch die internationale Gemeinschaft von Afghanistan abwendet, besteht die Gefahr, dass die Errungenschaften der vergangenen zwölf Jahre zerstört werden.