Die Unionsparteien streiten über ihr Profil
6. Oktober 2017Alles ruhig im Unionslager. Alles? Knapp zwei Wochen nach der Bundestagswahl nehmen die Diskussionen um Konsequenzen aus dem für viele ernüchternden Abschneiden zu. Zwei Termine an diesem Wochenende zeigen, dass das ersehnte Stillhalten bis zur Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober nicht gelingen wird.
Zunächst läuft in Dresden der Deutschlandtag der Jungen Union (JU), zu dem am Samstag auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel erwartet wird. Die Kanzlerin, am Wahlabend von der Parteijugend noch frenetisch gefeiert, wird sicher kritische Worte zu hören bekommen und ein Stimmungsbild erleben. Einen Tag später treffen sich dann die Parteispitzen von CDU und CSU im Kanzleramt. Die Unionsparteien müssen sich verständigen. Um vor der Sondierung mit den Partnern einer möglichen Jamaika-Koalition, der FDP und den Grünen, zunächst einmal den eigenen Kurs zu finden und den soundsovielten Burgfrieden zu erreichen.
Grundsätzliche Kritik
Im Vorfeld gehen immer mehr Unionsvertreter aus der Deckung. "Als Union insgesamt haben wir sicher auch die Quittung dafür bekommen, dass wir - CDU und CSU - in den letzten beiden Jahren in zentralen Fragen erkennbar nicht einer Meinung waren", sagte die saarländische CDU-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer im Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Kramp-Karrenbauer ist zwar nur Landeschefin des kleinsten deutschen Flächenstaates. Aber in der CDU hat sie weit mehr Bedeutung. Sie gehört dem Präsidium der Partei, dem engsten Kreis um Merkel an und erzielte bei den letzten Parteitagen jeweils das beste Ergebnis aller Präsidiumsmitglieder.
Und sie gilt als enge Vertraute der Kanzlerin. In dem Interview antwortet sie auf die Frage, ob denn die Union oder Angela Merkel die Wahl verloren habe, zunächst mit "Schuldzuweisungen helfen nicht weiter". Es dauert fünf Fragen und eine ganze Weile, bis sie betont, dass Merkel "die Richtige" an der CDU-Spitze sei, "weil die Union immer dann Erfolg hat, wenn sie in der Mitte breit aufgestellt ist". Der steten Forderung aus der CSU, eine "Obergrenze" für die Aufnahme von Flüchtlingen festzuschreiben, erteilt "A.K.K." - so der Parteijargon über die Ministerpräsidentin - eine Absage. Sie halte "sehr wenig" davon, "ausschließlich an diesem Begriff zu kleben".
Schattenboxen im Kanzleramt
Das verweist auf die Stimmung - oder Missstimmung - in der CSU, der kleineren Schwesterpartei, und auf ein Interview der "Süddeutschen Zeitung" mit Peter Gauweiler. Der 68-Jährige war mal CSU-Landtagsabgeordneter in Bayern, mal Bundestagsabgeordneter, auch mal stellvertretender Parteichef. Jetzt ist er, der schärfste Analytiker in der älteren CSU-Garde, einfach noch graue Eminenz. Gefürchtet.
"Ein CSU-Vorsitzender kann nicht die Merkel'sche Politik verurteilen, wenn seine eigene CSU-Landesgruppe im Bundestag diese Politik faktisch in allem mitträgt", sagt er nun. Das Treffen der Unions-Granden am Sonntag nennt er ein "Schattenboxen für Leichtgläubige". "Wenn die Verantwortlichen wirklich noch an die Bedeutung von Wahlen glauben, dann müssen sie nach beispiellosen Verlusten Konsequenzen ziehen und ihre Ämter zur Verfügung stellen." Das ist deutlich. Gauweiler ist nicht mehr irgendein Hinterbänkler. Nein, da stellt eine prominente Stimme beide Parteivorsitzenden in Frage. Letztlich geht es darum: Zerbricht die natürliche Koalition der Unionsparteien, bevor es überhaupt um eine Jamaika-Koalition geht?
Im Vergleich zu Gauweiler trommelt der JU-Vorsitzende Paul Ziemiak, gerade erstmals in den Bundestag gewählt, in diversen Interviews noch zurückhaltend. Er forderte "neue Köpfe" in der Parteiführung und ein konservativeres Profil der Partei. Merkel sei in solch unruhigen Zeiten ein Stabilitätsanker. "Aber ich finde, neben der Bundeskanzlerin ist Platz für neue und unverbrauchte Köpfe in Regierung, Partei und Fraktion." Dabei ist mit dem 37-jährigen Abgeordneten und Finanz-Staatssekretär Jens Spahn seit drei Jahren ein Verfechter eines profilierten Parteikurses im Parteipräsidium. Auch Spahn, den manche als möglichen Merkel-Nachfolger sehen, zählt in Dresden beim Deutschlandtreffen der Jungunionisten zu den Rednern.
Zu Gast in der Pegida-Stadt
Schließlich birgt der Tagungsort Dresden sein eigenes kritisches Potenzial. In der sächsischen Landeshauptstadt begannen 2014 die Merkel-kritischen Pegida-Proteste, in keinem anderen Bundesland schnitt die rechtspopulistische AfD bei der Bundestagswahl so gut ab wie in Sachsen. CDU-Ministerpräsident Stanislaw Tillich forderte schon vor einer Woche einen Kurswechsel der Union nach rechts. Ein Großteil der Bevölkerung fühle sich nicht mehr verstanden. "Wir müssen umschalten". Tillichs Rede gehört zum Auftakt des JU-Treffens an diesem Abend.
Tillichs kritischer Beitrag sorgte dafür, dass in den sozialen Medien viele Unionsmitglieder reagierten, auch Bundestagsabgeordnete. Da dominierten die Hashtags #keinRechtsruck oder #konservativstattrechts. Auch diese Debatten zeigen, dass es ein munteres Wochenende wird bei der Union. Die Schwesterparteien suchen nach ihrem Weg. Und ihrem Wesen. Nichts ist mehr ruhig im Unionslager.