Die Unpolitischen?
14. August 2012Sein Wort gilt für viele Jugendliche in Deutschland besonders viel. Der Rapper Bushido hat sich in den vergangenen Jahren zum Idol einer ganzen Generation entwickelt. Seine Themen sind dabei: Drogenhandel, Prostitution und Waffengewalt. Gerne spricht er auch über die Zustände in Berliner Problembezirken mit hohem Ausländeranteil.
Über Politik hörten die Fans des 33-jährigen Deutschtunesiers bisher von ihm wenig. Im Gegenteil: Bushido provoziert mit frauen- und schwulenfeindlichen Liedtexten, wurde sogar wegen einer Schlägerei und zahlreicher Drogendelikte rechtskräftig verurteilt.
Wenig Schulbildung, wenig politisches Interesse
Dass ausgerechnet dieser Skandalrapper jüngst für eine Woche ein Praktikum im Deutschen Bundestag absolvierte, das sorgte natürlich für Wirbel. Der konservative Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten (CDU) hatte ihn eingeladen, ins Politikgeschäft hineinzuschnuppern.
Bushido nahm dankend an und verwandelte den Bundestag, wie er sagte, in eine "Art Abenteuerspielplatz". Parlamentarische Tagesordnung, Ausschusssitzungen und Regierungserklärung: was der Rapper-Praktikant im Deutschen Bundestag kennengelernt hat, das ist auch für viele seiner Fans eine fremde Welt. Häufig sympathisieren nämlich überwiegend junge Migranten aus dem sozial benachteiligten Milieu mit dem 1978 in Bonn als Anis Mohamed Youssef Ferchichi geborenen Musiker.
Eine neue Studie der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und des Sinus-Instituts in Heidelberg stellt für diese Gruppe von 14- bis 19-jährigen Jugendlichen fest: Parteien, Politiker und Parlament, diese für die repräsentative Demokratie so wichtigen Institutionen werden von immer mehr Jugendlichen quasi ignoriert, sagt Bildungsforscher Klaus Hurrelmann, ein Mitherausgeber der neuen Studie im DW-Interview. "Eine Minderheit von heute schon fast 20 Prozent der Jugendlichen hat eine riesige Distanz zu Parteien und stellt sogar die Demokratie als Staatsform und als Lebensform in Frage".
Zwei Dinge kämen hier zusammen, konstatiert Marc Calmbach, Bildungsforscher vom Sinus-Institut in Heidelberg im DW-Interview. Sozial benachteiligte Jugendliche seien bildungsfern und dadurch immer öfter auch automatisch politikfern: "Nur wenn Stars wie Bushido ihre Problemlagen aufgreifen und in einer Sprache artikulieren, die sie verstehen, hören viele Jugendliche noch genau zu". Auch deshalb habe das Praktikum von Bushido im Bundestag unter seinen Fans so viel Aufmerksamkeit erregt, sagt Calmbach.
Wenn Partei, dann anders
Die Studie zeigt aber auch: Politikinteresse zeigen und politisch aktiv zu sein, sagt Bildungsforscher Hurrelmann, das heiße heute automatisch, eine gute Bildung zu haben, persönlich sehr stark zu sein und sehr souverän im sozialen Umfeld auftreten zu können.
Der 19-Jährige Schüler Hao Vu aus Bernkastel-Kues in Rheinland-Pfalz ist ein Beispiel dafür. Bereits vor zwei Jahren begann er, sich für Politik zu interessieren, entdeckte in seiner Freizeit bei der freiwilligen Feuerwehr das Interesse an Politik. "In der Feuerwehr habe ich gemerkt, dass doch die Politik sehr wichtig ist, weil der Träger der Feuerwehr ist meine Gemeinde und die entscheidet über unser Budget".
Hao Vu, der an einem technischen Gymnasium die 12. Klasse besucht, trat deshalb 2010 in die sozialdemokratische Partei (SPD) ein und nimmt seither an Parteisitzungen in ganz Rheinland-Pfalz teil. Im Ortsverein wurde er so Kassierer, in der Gemeinde sitzt er seit kurzem im Jugendparlament. Selbst im Bundestag hat er bereits an einem Planspiel teilgenommen.
"Wenn ich öfters mal so Gesetzesvorlagen oder Positionspapiere lese, dann finde ich auch, dass die langweilig formuliert sind", gesteht der politikbegeisterte Hao Vu. Aber hinter dieser langweiligen Fassade stecke dann doch ein wichtiger Kern, der das ganze Leben beeinflusse. Auch deswegen nimmt er lange Parteisitzungen, zähe Verhandlungen und ausschweifende Sitzungsprotokolle ohne Murren in Kauf. Dass die Parteiarbeit sich in Zukunft aber ändern muss, daran lässt Hao Vu keinen Zweifel.
Er organisiert sein politisches Engagement beinahe ausschließlich über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter. Dabei stößt er Debatten an, versorgt sein Netzwerk mit für ihn relevanten Informationen. Für viele seiner älteren Parteikollegen gilt das nicht als Parteiarbeit im engeren Sinne. Für Hao Vu ist es dagegen die Zukunft für die Partei.
Occupy statt Ortsverband und Stadtrat
Was politisches Engagement ist, darüber ist ein heftiger Streit ausgebrochen, sagt auch Bildungsforscher Marc Calmbach. Denn die Jagd nach Ämtern in Parteien gehört für mehr und mehr Jugendliche definitiv nicht mehr dazu.
"Die Jugendlichen möchten sich viel mehr in Projekten engagieren, in zeitlich begrenzten Projekten und sie wollen auch einen direkten Vorteil davon haben". Pure Nächstenliebe als Antrieb für politisches Engagement sei einer Mentalität des strategischen Eigeninteresses gewichen, sagt der Bildungsforscher. Die wenige Zeit, die bereits 14- bis 19-Jährigen bei ihrer Freizeitgestaltung bleibe, die werde immer seltener für Parteisitzungen für Ortsverband oder Stadtrat geopfert.
Doch auch wenn der etablierte Politikbetrieb für viele Jugendliche inzwischen keine Rolle mehr spielt: unpolitischer seien sie deshalb im Vergleich zu vorangegangenen Generationen keineswegs. Vielmehr würden politische Aussagen inzwischen wie in den 1960er und 1970er Jahren wieder stärker außerhalb des Parlaments vertreten.
So sind die weltweite Occupy-Jugendbewegung gegen die schrankenlose Macht der Weltfinanzmärkte oder die Straßendemonstrationen zur Verhinderung des Urheberrechtsabkommens ACTA nur zwei Beispiele neuer politischer Bewegungen. Politisches Interesse und politisches Engagement suche sich neue Wege, angetrieben von einem gemeinsamen Gefühl, sagt Bildungsforscher Calmbach: "Die Jugendlichen haben ein Gespür dafür, dass auch die Politiker selbst bei vielen Themen nicht mehr durchblicken und ständig Berater brauchen".
Der Aufstieg der Piratenpartei, angetreten um die etablierten Parteien durch mehr transparente Direktdemokratie abzulösen, sei ein weiteres Beispiel für den jugendlichen Wunsch nach einer anderen Form der Politik. Für die Bildungsforscher ein Warnschuss für die etablierten Parteien, egal auf welcher Seite des politischen Spektrums. "Wir haben heute eine Parteienverdrossenheit, aber keine Politikverdrossenheit", so fasst Bildungsforscher Hurrelmann diesen Trend im DW-Interview zusammen.
Skandalrapper Bushido versprach unter dessen nach seinem Bundestags-Praktikum, diesem Trend entgegenzuwirken. Er kündigte an, eine eigene Partei gründen zu wollen. Langfristig plant er sogar, Regierender Bürgermeister von Berlin zu werden. Ob er in seiner Bushido-Partei allerdings - wie in seinen Songtexten - vornehmlich über Drogenhandel, Prostitution und Waffengewalt mit seinen Fans und potentiellen Wählern reden will, dazu sagte das politikinteressierte Jugendidol bislang noch nichts.