Amerikas Steuer-Klippe
8. November 2012
Um ihre gemeinsame Währung zu retten haben die EU-Staaten gerade damit begonnen, im Kampf gegen die Finanzkrise eine Reihe von Mechanismen einzurichten. Davon sind die Vereinigten Staaten weit entfernt. Sie stehen vor einer sogenannten "Steuer-Klippe". Am Ende des Jahres soll eine Reihe von Sparmaßnahmen greifen, die die größte Volkswirtschaft der Welt in eine tiefe Rezession stürzen könnte.
Im Oktober warnte der Internationale Währungsfonds (IWF), das langsame Reform-Tempo in Europa und den Vereinigten Staaten sei Ursache für die globale wirtschaftliche Unsicherheit. Außerdem werde die Situation dadurch verschärft, dass Länder wie China nicht mehr in der Lage seien, die Misere durch Kredite und Investitionen auszugleichen, da bei ihnen selbst das Wachstum abnimmt.
In Europa stimmte die Europäische Zentralbank (EZB) einem Programm zu, das unbegrenzte Kredite für krisengeschüttelte Staaten vorsieht, um die Kredit-Zinsen zu drücken. Unterdessen richtete die 17-köpfige Eurozone einen ständigen Rettungsfonds für finanzbedürftige Staaten ein. In Washington jedoch konnte sich der zutiefst gespaltene Kongress nicht zu einer Entscheidung durchringen, um das riesige amerikanische Haushaltsdefizit zu beheben.
Derzeit stehen die USA vor einer Reihe von massiven Steuererhöhungen und Ausgaben-Kürzungen. Die Summe dieses Sanierungspakets beträgt 607 Milliarden Dollar (470 Milliarden Euro), rund vier Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts. IWF-Chefin Christine Lagarde und das Haushalts-Büro des US-Kongresses haben vorhergesagt, dass Amerika in eine Rezession rutschen wird, wenn es nicht gelingt, zum Sparkonzept einen politischen Kompromiss zu finden
Probleme werden einfach verschoben
Eine solche Lösung zu beschließen ist leichter gesagt als getan, vor allem in einer derart polarisierten politischen Landschaft, die Kompromisse verabscheut. Nach Einschätzung von Ron Haskins vom regierungsunabhängigen Brookings-Institut haben die Beamten einfach nach dem Prinzip gehandelt, den Kelch weiter zu reichen. "Entscheide niemals heute, was du morgen entscheiden kannst" laute die Devise, erklärt Haushaltsexperte Haskins im Gespräch mit der DW. Das treffe vor allem dann zu, wenn Entscheidungen anständen, die Wähler vergraulen könnten.
Die sich abzeichnende "Steuer-Klippe" sei eine rein politische Konstruktion, eine Folge der Verschleppung. Im vergangenen Sommer hatte die US-Regierung ihre Schuldenobergrenze erhöht, um weiterhin ihre Rechnungen bezahlen zu können. Das republikanisch kontrollierte Repräsentantenhaus forderte für seine Zustimmung dazu eine politische Verpflichtung, das Haushaltsdefizit und die Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen.
Das Ergebnis war der sogenannte "Budget Control Act", der über einen Zeitraum von zehn Jahren jährliche Kürzungen von 109 Milliarden Dollar vorsieht - zur Hälfte im Verteidigungshaushalt und zur Hälfte in einem beliebigen Innenressort. Die Kürzungen sollten greifen, falls es einem überparteilichen Komitee nicht gelingt, einen besseren Plan zu präsentieren. Unfähig, ein politisch akzeptables Gleichgewicht zwischen Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen zu finden, versucht der Kongress nun verzweifelt das zu vermeiden, was er selbst gefordert hat.
Harter Entzug
Der Kongress hat es aus Angst vor dem Wählerzorn nicht geschafft, eine langfristige Lösung für Amerikas Finanzproblem zu finden. Damit hat er seinen eigenen politischen Stillstand geschaffen, und das in einer sich abzeichnenden Wirtschaftskrise. Als Reaktion darauf sind Unternehmen vorsichtig, aus Unsicherheit, wie sich die Wirtschaft in der nahen Zukunft entwickeln wird.
Das Haushaltsbüro des US-Kongresses hat vorhergesagt, dass sich das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts auf 0,5 Prozent verringern werde, wenn die USA die Steuer-Klippe überschritten.
Angesichts des politischen Stillstands sehen einige Ökonomen Steuererhöhungen als eine bittere, aber notwendige Pille, um Amerikas langfristige finanzielle Probleme zu bewältigen und eine kurzfristige Rezession zu vermeiden.
Selbstgeschaffene Sackgasse
Derzeit ist die Erfolgsaussicht gering, dass bis zum Jahresende eine langfristige Finanz-Lösung gefunden wird. Obwohl beide politischen Lager von den automatisch eintretenden Kürzungen betroffen sind, haben einige der republikanischen Mitglieder des Kongresses eine Vereinbarung unterzeichnet, keine Steuern zu erhöhen. Und die Demokraten werden kaum auf Ausgabenkürzungen eingehen, wenn die Steuererhöhungen nicht auch auf den Tisch kommen.
Haushaltsexperte Haskins geht davon aus, dass der Kongress in letzter Minute eine Notlösung beschließen wird, die die schlimmsten Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen verhindert. Das wird jedoch nicht Amerikas langfristiges Problem lösen: eine Staatsverschuldung von 16 Billionen Dollar.