Die USA und ihre Interpretation des Völkerrechts
12. März 2005Seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 hat der amerikanische Geheimdienst CIA mindestens 150 Terrorverdächtige im Ausland festgenommen und an Drittländer überstellt, wo sie dann teilweise über Monate hinweg von den einheimischen Behörden verhört und auch gefoltert wurden. Das bestätigte ein Regierungsbeamter gegenüber der "New York Times". Präsident George W. Bush habe solche Überstellungen wenige Tage nach den Terroranschlägen am 11. September in einer geheimen Direktive ausdrücklich genehmigt, sagte der Beamte der Zeitung.
"Kurzer Dienstweg"
US-Regierungsstellen haben das "Outsourcing" im Kampf gegen den Terrorismus inzwischen zugegeben und eingeräumt, dass diese Politik auf eine ausdrückliche Anweisung des Weißen Hauses zurückgehe: Nach dem 11. September 2001 habe man "den Dienstweg verkürzt" und eine Pauschalgenehmigung erteilt. Und das, obwohl die Gefangenen - oder eigentlich "Entführten" - in Länder gebracht wurden, denen Washington vorwirft, Folter anzuwenden: Ägypten, Pakistan, Syrien oder Saudi-Arabien. Die Opfer waren unter anderem in Australien, Deutschland oder den USA lebende Araber.
Die US-Behörden haben damit wieder einmal zugegeben, dass der von ihnen geführte "Krieg gegen den Terrorismus" nach Regeln geführt wird, die nicht mit den für Kriege durchaus existenten - und normalerweise auch von den Vereinigten Staaten akzeptierten - Regeln und Gesetzen übereinstimmen. Oder eben auch völlig gegen sie verstoßen: Die Entführung von Menschen ist ebenso unzulässig wie ihre Inhaftierung in Drittstaaten, erst recht ihre Folterung.
Nichtstaatlicher Gegner
Der Krieg gegen den Terrorismus sei aber nicht mit den Regeln eines konventionellen Krieges definierbar, meinte unlängst US-Brigadegeneral Thomas L. Hemingway auf einer Tagung des Deutschen Roten Kreuzes und der Universität Bochum über Humanitäres Völkerrecht ((5./6.3.2005). Der juristische Berater der US-Airforce bestand darauf, dass "Krieg" im Sinne gültigen Völkerrechts nur die bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten sei.
Beim "Krieg gegen den Terrorismus" habe man es aber mit einem Gegner zu tun, der nicht staatlich auftrete, nicht von einem einzelnen Staat aus agiere, und der bewusst und gezielt gegen die internationalen Konventionen für den Kriegsfall verstoße. Man könne deswegen auch nicht von den USA erwarten, dass sie die Gebote und Vorschriften des humanitären Völkerrechts auf Angehörige terroristischer Gruppen anwenden würden.
Vorbeugend oder strafend?
Brigadegeneral Hemingway verteidigte gleichzeitig die Inhaftierung von Terrorverdächtigen in Guantánamo und behauptete, dass ausreichend Vorkehrungen getroffen würden, um diesen Leuten "rechtsstaatliche Behandlung" zukommen zu lassen. Die Internierung selbst sei ohnehin nicht völkerrechtswidrig, denn die USA hätten zum Beispiel bereits im Zweiten Weltkrieg nahezu eine halbe Million Amerikaner japanischen Ursprungs in Lagern interniert. Dies sei damals als Präventivmaßnahme akzeptiert worden.
Dass die Internierung von Terrorverdächtigen in Guantánamo nicht vorbeugender, sondern strafender Natur sei, bestritt Hemingway. Das könne man auch nicht daran ablesen, dass die Gefangenen ohne Prozess und ohne absehbares Ende ihrer Internierung einsäßen: Nach dem Kriegsrecht sei es schließlich zulässig, Gefangene bis zum Ende der Kampftätigkeit festzuhalten. Wann immer das auch sein mag.
Diskutieren zwecklos
Der beredte Rechtsberater bestätigte damit den Eindruck, dass Washington das Völkerrecht nach eigenem Bedarf und Belieben neu interpretiert: Irreguläre werden zwar vom Völkerrecht nicht als Kombattanten betrachtet und unterstehen deswegen auch nicht ausdrücklich dem Schutz des Völkerrechts. Wenn es den USA aber gelegen kommt, wenden sie die Vorgaben des Völkerrechts aber doch an - wie eben bei der Dauer einer Internierung.
Der Brigadegeneral wies den Vorwurf einer selektiven Rechts-Interpretation erwartungsgemäß weit von sich. Und deutsche Völkerrechtler ließen sich mit ihm gar nicht erst in eine Diskussion darüber ein. Sie wussten, dass dies letztlich zu nichts führen würde, weil die Anwendbarkeit und Durchsetzungsfähigkeit internationalen Rechtes - auch des humanitären Völkerrechtes - vom guten Willen der betroffenen Parteien abhängt. Die verschiedenen Staaten haben diesem Völkerrecht in der Regel auch nicht primär aus humanitären Gründen zugestimmt, sondern aus Eigennutz: weil die eigenen Soldaten "teures Kapital" darstellen.
Unterschiedliche Beurteilung
Wenn Staaten sich nicht an das Völkerrecht halten, dann sind die Möglichkeiten meist nur sehr begrenzt, sie dazu zu zwingen. Internationale Gerichtshöfe etwa haben in der Vergangenheit ähnlich gelagerte Fälle sehr unterschiedlich beurteilt. Wenn es sich dann noch um einen Fall "asymmetrischer Kriegsführung" handelt (ein Staat auf der einen und eine nicht klar definierbare Gruppe auf der anderen Seite), dann sind die Chancen mehr als gering, Einsicht, Vernunft und die Einhaltung des Völkerrechts erfolgreich einzufordern.