Kleine Inselstaaten
30. November 2012Gähnende Leere herrscht im Besprechungsraum 3.1 im Konferenzzentrum in Doha. Unter gleißendem Neonlicht bieten die Stühle an den langen Tischreihen Platz für mindestens 250 Menschen. Doch erwartet werden nur etwa 100: Angesetzt ist eine Besprechung des Bündnisses der kleinen Inselstaaten, AOSIS.
Einzeln oder in kleinen Gruppen betreten die Delegierten den Raum. Es sind vor allem dunkelhäutige Damen und Herren, Vertreter von Inselstaaten in der Karibik, dem Indischen und dem Pazifischen Ozean oder dem Südchinesischen Meer. "Da vorne sind die Vertreter von Singapur", erklärt Ronny Jumeau. "Singapur ist reich, deshalb haben sie so viele Leute hier." Jumeau selbst ist alleine zu der Besprechung gekommen - er vertritt die Seychellen.
Düstere Aussichten für kleine Inselstaaten
Die Seychellen sind eine Gruppe kleiner Inseln im Indischen Ozean, östlich der Küste Kenias und Tansanias. Knapp 90.000 Menschen leben auf diesen Inseln, sie verdienen ihr Geld an Touristen und mit Fischerei. Die Folgen des Klimawandels sehen sie jeden Tag, meint Jumeau: "Die Trockenperioden werden länger und die Regenperioden kürzer, aber dafür intensiver", erzählt er. "Die Böden werden immer salziger und die Strände werden abgetragen." Und das seien nur die Auswirkungen, die bereits jetzt zu beobachten seien.
Die Zukunft sieht für die Inselstaaten nicht besser aus. Wissenschaftler rechnen damit, dass der Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts zwischen 90 und 160 Zentimeter steigen könnte. "Einige Inselstaaten werden komplett verschwinden, weil der Meeresspiegel steigt", sagt Ronny Jumeau, "die Malediven im Indischen Ozean zum Beispiel, oder Kiribati und Tuvalu im Pazifik."
Untergang oder wirtschaftliche Untragbarkeit
Bei den Seychellen sehe es etwas anders aus. Sicherlich werde man mit den niedriggelegenen Koralleninseln über die Hälfte des Landes an das Meer verlieren. Doch auch die bergigen Granitinseln seien betroffen: "Dort werden unsere Küstenflächen abgetragen werden, in denen fast die gesamte Bevölkerung lebt und alle wirtschaftliche Aktivität stattfindet", erklärt Jumeau in nüchternem Ton.
"Selbst wenn wir Menschen uns in die Berge zurückziehen können", fügt er hinzu, "wird von unserer Wirtschaft nichts mehr übrig sein." Nicht nur im Fall der Seychellen werde man beobachten, dass Inseln wirtschaftlich untragbar würden, bevor sie im Meer untergingen.
Gemeinsame Stärke
Um gemeinsam stärker auftreten zu können, haben sich die kleinen Inselstaaten Anfang der 1990er Jahre zu einem festen Bündnis zusammengeschlossen, der Alliance of Small Island States (AOSIS). Es ist nicht die einzige Gruppe von Staaten, die bei Klimaverhandlungen ihre Positionen zu einer gemeinsamen Verhandlungsposition koordiniert. Die G-77 beispielsweise umfassen rund 130 Entwicklungsländer und bestehen ihrerseits wieder aus Untergruppen. Außerdem bilden Brasilien, Südafrika, Indien und China die sogenannte BASIC-Gruppe.
Aber keine Gruppe, behauptet Jumeau, sei so entschlossen wie AOSIS: "Wir sind die Gruppe, die am verzweifeltsten ist, weil wir als einzige vom Aussterben bedroht sind. Das macht uns entschlossen und sehr zielstrebig."
Allianzen und Erfolg von Durban
Das hat die Gruppe in der Vergangenheit unter Beweis gestellt. "Das eindrücklichste Beispiel war auf der Klimakonferenz letztes Jahr in Durban, als sie sich gemeinsam mit den am wenigsten entwickelten Ländern in der Gruppe der LDC, der Europäischen Union (EU) und der Afrikanischen Gruppe hingestellt und gesagt haben, wir brauchen einen Durchbruch", erzählt Sven Harmeling, Teamleiter für internationale Klimapolitik bei der Umweltorganisation Germanwatch.
"Damals war die Frage, ob wir uns in Richtung eines neuen, umfassenden Klima-Abkommens bewegen würden", erinnert sich Dessima Williams, die als Vertreterin von Grenada letztes Jahr der AOSIS-Gruppe vorstand. "Wir wollten einen Vertrag, der 2017 in Kraft treten sollte. Und es war klar, dass die EU auch etwas erreichen wollte, auch wenn 2017 für sie aus verschiedenen Gründen nicht infrage kam." Schließlich konnten sich alle Länder in Durban darauf einigen, einen neuen Verhandlungsprozess anzustoßen. Der soll zu einem umfassenden, rechtlich verbindlichen Klimaabkommen führen, das spätestens 2020 in Kraft treten soll.
Ziele für Doha
Gehalten hat die Allianz mit der EU allerdings nicht. Genau wie Umweltorganisationen bemängeln die kleinen Inselstaaten, dass die EU keine weiteren Reduktionen ihrer CO2-Emissionen angekündigt hat. Das ausgegebene Ziel, die Emissionen gegenüber denen von 1990 um 20 Prozent zu reduzieren, habe die EU bereits jetzt fast erreicht. "Da brauchen sie doch nicht fünf weitere Jahre, um vielleicht noch um drei weitere Prozent zu reduzieren", meint Dessima Williams.
Auch mit einer weiteren Position der EU sind die AOSIS-Länder nicht einverstanden. Die EU möchte, dass eine zweite Verpflichtungsperiode unter dem Kyoto-Protokoll bis 2020 andauert - bis das neue, globale Klimaabkommen in Kraft treten soll. Die Inselstaaten hingegen möchten lieber, dass eine zweite Verpflichtungsperiode nur bis 2018 währt. Sonst würden für einen zu langen Zeitraum zu unambitionierte Klimaziele festgeschrieben, fürchten sie.
Dennoch ist die Verlängerung des Kyoto-Protokolls für die Inselstaaten zentral. Nicht, weil damit die Treibhausgasemissionen drastisch gesenkt würden. "Es ist das einzige rechtlich verbindliche Abkommen, das wir haben", sagt Ronny Jumeau. "Wenn wir Kyoto sterben lassen, müssen wir mit dem neuen Abkommen ganz von vorne anfangen."