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"Die Wahrung der Menschenrechte ist gefährdet"

Das Gespräch führte Irène Bluche5. April 2006

Der neue Menschenrechtskommissar des Europarats Thomas Hammarberg warnt vor einer Bedrohung der Menschenrechte durch den Kampf von Regierungen gegen den Terrorismus.

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Thomas Hammarberg: Ich werde auch über die Menschenrechtslage in Deutschland berichtenBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

DW-WORLD: Welche Pläne haben Sie für Ihre Amtszeit als Menschenrechtskommissar?

Thomas Hammerberg: Ein Schwerpunkt wird der Schutz der Menschenrechte in Zeiten des Terrorismus sein, denn die Wahrung der Menschenrechte ist sehr gefährdet, wenn Regierungen gegen Terrorismus vorgehen. Es gibt auch viel zu tun, um zum Beispiel Menschen mit Behinderungen umfassende Menschenrechte zu gewährleisten. Ein weiteres dringendes Thema ist die Behandlung der Roma in einigen europäischen Ländern.

Was werden Sie anders machen als Ihr Vorgänger?

Er hat eine hervorragende Arbeit geleistet und es gilt vor allem, weiterzuführen, was er begonnen hat. Er hat 35 der 46 Mitgliedsstaaten des Gebietes des Europarats besucht und Gutachten verfasst. Ich werde in die noch ausstehenden Länder reisen - Deutschland ist eines davon - und über die Menschrechtslage dort berichten. Anschließend werde ich die von meinem Vorgänger bereisten Länder besuchen und Gutachten darüber verfassen, inwiefern unseren Empfehlungen nachgegangen wurde.

Hat ein Menschenrechtskommissar überhaupt Macht?

Er hat eine gewisse Macht, wenn er sich in jedem Land vor allem mit den Nichtregierungsorganisationen und den Ombudspersonen oder dem Menschenrechtskommissar auf nationaler Ebene in Verbindung setzt. Der dritte Kontaktpunkt sind natürlich die Medien. Diese drei zusammen spielen eine bedeutende Rolle. Es ist meine Intention, stärker mit ihnen zusammenzuarbeiten und ihre Arbeit zu unterstützen. Auf diese Weise kann der Menschenrechtskommissar mehr sein als eine symbolische Figur in Straßburg.

Wo sehen Sie die größten Probleme für Ihre Aufgabe?

Ich denke, dass dies zur Zeit die Fremdenfeindlichkeit in Europa ist. Die Menschen scheinen Angst vor Fremden zu haben und Minderheiten gegenüber misstrauisch zu sein. Dies ist ein Warnsignal und ich hoffe, dass ich mit meiner Arbeit zeigen kann, dass solche Gefühle nicht gerechtfertigt sind. Es ist wichtig, dass alle Menschen in allen Gesellschaften volle Menschenrechte haben. So kann keine Kluft in der Gesellschaft entstehen, durch die Menschen sich ausgeschlossen fühlen könnten und vielleicht sogar Feindseligkeit gegenüber dem Land entwickeln, in dem sie leben.

Was wurde durch das Amt des Menschenrechtskommissars erreicht?

Vor allem existiert jetzt eine Anerkennung innerhalb aller Regierungen, dass die Menschenrechte ein wichtiges Thema sind, dass sie auf die politische Agenda gesetzt werden müssen und nicht mehr ignoriert werden können. Wenn wir demonstrieren können, dass es Probleme gibt und uns dabei auf gut und unabhängig recherchierte Fakten beziehen, dann haben wir automatisch eine Diskussion mit den Regierungen. Mein Vorgänger hat einen direkten Dialog mit den meisten Regierungen in Europa geführt, so dass er den Machthabern direkt seine Empfehlungen vermitteln konnte.

Lesen Sie im zweiten Teil: Thomas Hammarberg zur Lage in Russland und den Aktivitäten der Nachrichtendienste.

Welche Länder haben besondere Defizite?

Meine Linie ist, dass es in allen Ländern Menschenrechtsprobleme gibt und dass in jedem Land die Probleme identifiziert und Verbesserungen angestrebt werden müssen. Es wird niemals die Situation eintreten, dass ein Land gar keine Probleme mehr hat. Ich stehe Regierungen eher skeptisch gegenüber, die selbstzufrieden sagen, dass es in ihrem Land keine Menschenrechtsverletzungen gibt. Eines meiner Ziele ist es also, die Situation in allen 46 Ländern des Europarats ohne Ausnahme zu kontrollieren. Natürlich ist mir bewusst, dass in manchen Ländern die Probleme wesentlich schwerwiegender sind als in anderen Teilen Europas - dies kann z.B. an der wirtschaftlichen Situation eines Landes liegen oder an einem zurückliegenden Krieg.

Welche Bedeutung hat Russland im Europarat?

Russland ist das größte Land des Europarats mit der höchsten Einwohnerzahl. Es kann gerade den zehnten Jahrestag seiner Mitgliedschaft zelebrieren. Es wird übrigens im nächsten halben Jahr den Vorsitz des Europarats übernehmen und ist damit ein bedeutendes Land innerhalb des Europarats. Die Kontrolle der Menschenrechte ist in diesem großen Land natürlich problematisch. Es ist für den Menschenrechtskommissar absolut notwendig, sehr genau zu verfolgen, was in diesem Land vorgeht und natürlich auch Empfehlungen für Verbesserungen auszusprechen. Dies ist eine meiner Prioritäten.

Ihr Vorgänger hat sich in Tschetschenien engagiert. Wie möchten Sie in diesem Konflikt vorgehen?

Ich werde mich ebenfalls intensiv mit Tschetschenien beschäftigen, ich hoffe, dorthin reisen zu können. Ich habe das Land bereits früher besucht, so dass ich ein gewisses Gefühl für die Situation habe. Ich möchte Tschetschenien sehr weit oben auf meine Agenda setzen.

Werden Sie sich mit der Frage der Befugnisse der Nachrichtendienste in Ländern des Europarats befassen?

Ich bin beunruhigt, dass es vertrauliche Kontakte zwischen Nachrichtendiensten, den amerikanischen Nachrichtendiensten eingeschlossen, gibt, die auf eine Art und Weise genutzt werden, dass Menschenrechte verletzt werden. In Europa wurden Menschen entführt und durch amerikanische Nachrichtendienste entweder nach Guantanamo oder in Länder wie Ägypten oder an geheime Orte gebracht. Diese Menschen haben ein Recht auf eine gerechte Behandlung, die ihnen aber versagt worden ist. Ich befürworte es, dass der Europarat Nachforschungen anstellt.

Was möchten Sie nach den sechs Jahren Ihrer Amtszeit erreicht haben?

Ich hoffe, dass Weißrussland bis dahin Mitglied des Europarats sein wird. Heute ist es das nicht, da es undemokratisch ist, aber ich denke, dass sich selbst dieses Land reformiert, das ja theoretisch zu Europa gehört. Ich hoffe, dass der Rückschritt innerhalb der Menschenrechte, den wir nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 erleben mussten, gestoppt sein wird. Und dass die vorher festgesetzten Menschenrechtstandards noch mal bestätigt und in der Realität durchgesetzt werden. Und ich hoffe, dass es wesentlich mehr Respekt gegenüber den Rechten der Minderheiten in Europa und Fremden, die aus anderen Teilen der Welt kommen, geben wird.

Der Schwede Thomas Hammarberg hat am Montag (3.4.2006) das Amt des Menschenrechtskommissars des Europarats in Straßburg übernommen. Er tritt damit die Nachfolge des Spaniers Alvaro Gil-Robles an, der als erster dieses Amt bekleidet hat. Der 64-jährige Hammarberg war im Oktober 2005 von der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ernannt worden. Die Amtszeit beträgt sechs Jahre. Der schwedische Diplomat und Menschenrechtsaktivist war u.a. Generalsekretär von amnesty international und Vorsitzender des Olof Palme Centers in Stockholm.