Internationaler Übersetzertag 2017
30. September 20171.Was ist Übersetzen?
Übersetzen bedeutet, sich mit einem Ausgangstext herumzuschlagen, um ihn mit Kunst und Interpretation in die Zielsprache zu bringen. Dabei geht es auch immer um Kultur-Übertragung, und um die Frage, wie sehr die Sprachbilder des Originals in der Übersetzung durchschimmern sollen. Dies wird seit Friedrich Schleiermacher diskutiert, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts Platon übersetzte und als Begründer der deutschen Hermeneutik, der Lehrer von der Auslegung und Erklärung eines Textes oder eines Kunst- oder Musikwerkes, gilt. Wie wortgetreu soll also ein Text übertragen werden, wenn man beispielsweise auf Englisch "zwei Vögel mit einem Stein tötet" (to kill two birds with one stone)? Heute spricht man von "Wirkungstreue", das heißt: Statt wörtlicher Übersetzung steht die beabsichtigte Wirkung im Mittelpunkt. Bei diesem einfachen Beispiel darf man dementsprechend auf Deutsch "zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen". Viel schwieriger aber ist die ganze Thematik bei Lyrik.
2. Lässt sich Dichtung übersetzen?
Eigentlich nicht. Der Klang, der Rhythmus, die Alliterationen, die Assoziationen, die Bedeutungsfelder - nichts davon lässt sich ohne Verluste von der einen in die andere Sprache übertragen. Und trotzdem gibt es unzählige Übersetzungen zum Beispiel des chinesischen Daodejing (Taoteking), der lyrischen Sprüchesammlung, die dem Philosophen Laotse zugeschrieben wird. Die Interpretationen reichen vom Kriegsklassiker bis hin zum "Buch vom Sinn und Leben". Und die besten wurden dabei von Dichtern wie Klabund in den 1920er Jahren geschaffen, die selber gar kein Chinesisch konnten! Neugier und Kreativität können also einen neuen Bezugsrahmen schaffen, der die Verluste wettmacht.
3. Lohnt sich das Übersetzen?
Materiell betrachtet, gibt es einträglichere Tätigkeiten. Ein Auskommen können sich vielleicht noch Übersetzer von Gebrauchstexten erarbeiten: Gebrauchsanweisungen, Firmenkorrespondenzen, Dokumente, Gerichtsunterlagen. Aber schon bei wissenschaftlichen Texten und Sachbüchern wird die Sache knifflig: Einem enormen Zeitaufwand für die terminologische und die faktische Recherche stehen oft Seitenhonorare von unter 30 Euro gegenüber. Und für literarische Übersetzer ist der Lohn sehr karg. Das Durchschnitts-Honorar liegt bei knapp über 18 Euro pro Normseite, netto. Dies hat der Verband der Übersetzer ermittelt. Karin Krieger beispielsweise, die Übersetzerin der Romane von Elena Ferrante, schafft 100 Seiten im Monat. Wobei sie sicherlich zu den wenigen Übersetzerinnen gehören dürfte, die von einem Bestseller profitieren. A propos: Hätten Sie gewusst, wer die Neapel-Saga ins Deutsche brachte? Zum geringen Lohn kommt also auch noch wenig Ruhm...
Immateriell betrachtet: Natürlich lohnt es sich! "Spracherweiterungen sind Welterweiterungen", sagt der Übersetzer Ulrich Blumenbach. Übersetzen kann unendlich schwierig sein, an den Grenzen der Sprache operieren, wenn es um Lyrik, philosophische oder komplexe literarische Texte geht. Aber welche Welt hat Hans Wollschläger mit seiner kongenialen Übersetzung von James Joyce Roman "Ulysses" dem deutschsprachige Leser erschlossen!
4. Können Maschinen übersetzen?
Google Translate hat eine halbe Milliarde Nutzer im Monat. Der Google-Konkurrent Apple bietet die App iTranslate an, die aus neunzig Sprachen übersetzt. Für professionelle Nutzer sind weitere automatisierte Sprachdienste wie Linguatec oder Babylon im Angebot, und alle werden laufend besser. Der Markt für Übersetzungsdienste und Wörterbücher beträgt in Deutschland allein etwa eine Milliarde Euro. Künstliche Intelligenz auf Sprachübersetzungen anzusetzen, lohnt sich also. Das Problem dabei ist längst nicht mehr allein die Terminologie, das Erkennen von Wörtern. Es geht um Bilder, Konnotationen, ganze Texte. Die technischen Möglichkeiten, blitzschnelle Übersetzungen zu bekommen, werden dank Mustererkennung durch künstliche Intelligenz immer zielgenauer. Aber an Slang, Poesie und kreativem Sprachgebrauch dürften noch immer selbst die schlauesten Computer scheitern. Diesen Verdacht bestätigt die Probe: Wir haben Bertolt Brechts berühmtes Laotse-Gedicht aus der englischen Fassung John Willetts rückübersetzen lassen. Googles Übersetzungsdienst ergibt einigen Unsinn und wenig Brecht:
Einmal war er siebzig und bekam brittle
quiet Ruhestand schien der Lehrer fällig.
In seinem Land war die Güte ein wenig geschwächt,
und die Schlechtigkeit gewann wieder an Boden.
Also hat er sich auf den Schuh gebeugt.
Mit viel Spürsinn lässt sich vielleicht noch das Original der "Legende von der Entstehung des Buches Tao Te King auf dem Weg des Laotse in die Emigration" erkennen:
Als er Siebzig war und war gebrechlich
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh
Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete die Schuh.
Die Qualität von John Willets englischer Übersetzung hat der Computer auf Deutsch weit verfehlt:
once he was seventy and getting brittle
quiet retirement seemed the teacher's due.
in his country goodness had been weakening a little
and the wickedness was gaining ground anew.
so he buckled on his shoe.
5. Gibt es berühmte Übersetzer?
Ja, aber wenige, angesichts der vielen stillen, für ihre kreative Leistung wenig gewürdigten Schreibtischsklaven. Johann Heinrich Voß ist für seine Übertragungen von Homers Ilias und Odyssee auch heute noch bekannt, August Wilhelm Schlegel für seine frühen Dante-, Calderon- und Shakespeare-Übersetzungen. Übersetzer wie Burkart Kroeber, Frank Heibert oder Bernhard Robben werden heutzutage oft in Verbindung mit den Schriftstellern, die sie ins Deutsche bringen, bekannt - wenn sie moderieren und mit ihnen gemeinsam auf dem Podium sitzen. Frank Heibert zum Beispiel mit der französischen Starautorin Yasmina Reza. Allein eine hervorragende Übersetzung anzufertigen, reicht in der Regel jedenfalls nicht, um Ruhm und Ehre zu erlangen. Die eigene kreative Leistung muss schon so groß sein, dass - wie bei Erika Fuchs' Disney-Nachschöpfungen - quasi ein neues Original und etwas Prägendes entsteht.
Daneben gibt es eine ganze Reihe von bekannten Autoren wie Peter Handke, die auch als Übersetzer Leistungen erbrachten, die sie vielleicht noch ein bisschen bekannter machten. Handke beispielsweise übersetzte Aischylos, Marguerite Duras, Jean Genet und viele andere Autoren aus dem Französischen. Immerhin: Im Netz findet sich eine eigeneListe zu den bekanntesten Übersetzerinnen und Übersetzern.
6. Was und wie viel wird ins Deutsche übersetzt?
2016 kamen 12,3 Prozent aller von Verlagen publizierten Erst- und Neuauflagen aus anderen Sprachen. Das waren knapp 10.000 übersetzte Buchpremieren. Die Literatur ist dabei mit deutlich mehr als der Hälfte aller übersetzten Veröffentlichungen die anteilig größte Sachgruppe (2016 waren es genau 5737 Publikationen). Wie zu vermuten, kamen die meisten Übertragungen aus dem Englischen. An zweiter Stelle steht das Französische. Aber wer hätte gedacht, dass die drittwichtigste Ausgangssprache das Japanische ist, und zwar seit acht Jahren? Die meisten dieser Titel dürften dem Comic-Genre zuzuordnen sein, vor allem den Mangas.
Ein Viertel aller belletristischen Neuerscheinungen sind Übersetzungen. Auch in der Kinder- und Jugendliteratur wird immer mehr übersetzt, die Verlage setzen bei etwa 20 Prozent ihrer neuen Publikationen auf Geschichten aus dem Ausland. Bei den Bildergeschichten ist der Markt erst recht ganz klar international orientiert, hier werden sogar etwa Dreiviertel aus einer Fremdsprache übersetzt.
7. Und was wird aus dem Deutschen übersetzt?
Die deutschen Verlagshäuser können einen schwunghaften Handel mit Lizenzen vermelden. 7.310 Werke haben 2016 die deutsche Sprachgrenze verlassen. Allerdings ist die Tendenz rückläufig, 2007 waren es noch 10.000. Zunehmend sind die Verkäufe nur bei den Kinder- und Jugendbüchern, der wichtigsten Warengruppe für den Lizenzverkauf. Auch wenn die Zahlen zurückgehen: Der größte Handelspartner für das deutsche Verlagswesen ist seit vielen Jahren China. Knapp 20 Prozent aller Lizenz-Deals werden mit dem Reich der Mitte abgeschlossen. Und besonders gefragt waren bei den chinesischsprachigen Partnern auch im letzten Jahr Kinder- und Jugendbücher.
8. Wozu ein "Tag der Übersetzer"?
Übersetzen kann Entdeckerfreude befriedigen, eine Sisyphusarbeit sein, und für Verlage einträglich oder manchmal auch ruinös. Der beinahe insolvent gegangene Zweitausendundeins-Verlag beispielsweise zahlte eine große Summe für eine Übersetzung aus dem Chinesischen, die nie erschien. Übersetzen kann spannend und mysteriös sein wie bei der Entzifferung fremdartiger sprachlicher Codes, unbefriedigend wie bei vielen Synchron-Übersetzungen, welt- und lebensverändernd wie bei der Bibel-Übersetzung. Und es kann Menschen und Völker einander näher bringen, Frieden stiften. Im Mai 2017 haben die Vereinten Nationen den30. September als "International Translation Day" anerkannt. Am Hieronymustag, dem Tag der Übersetzer, soll man den großen Beitrag würdigen, den sie in allen Ländern zur Kultur leisten. Der Verband der deutschen Übersetzer weist auf seiner Webseite darauf hin: "Die Weltliteratur", so der portugiesische Schriftsteller und Nobelpreisträger Saramago, "wird von Übersetzern gemacht".