Die Winzerin der Vanderbilts
14. November 2021"Der Wein ist mein Boss!"
Aber Wein kann ein heikler Chef sein, anfällig für Wetter und andere Launen von Mutter Natur, ganz zu schweigen vom Wandel des Kundengeschmacks. Niemand weiß das besser als Sharon Fenchak, Chef-Winzerin beim Weingut Biltmore in Asheville, im Westen des US-Bundesstaats North Carolina.
Die Trauben sorgen zwar manchmal für Kopfzerbrechen, lassen aber trotzdem ihr Herz höher schlagen. Und sie sind die Hauptzutat für eine breite Palette von 45 unterschiedlichen Weinen, die das Weingut im Angebot hat. Durch sie ist alles möglich.
Das Weingut ist ein führender Weinproduzent auf dem Gelände des Biltmore Estate, einem über 3000 Hektar großen Anwesen in den Blue Ridge Mountains. In seinem Zentrum steht ein Herrenhaus mit 250 Zimmern, erbaut Ende des 19. Jahrhunderts und einem französischen Schloss nachempfunden. Bis heute ist es im Besitz von Nachkommen der legendären Milliardärs-Familie Vanderbilt. Nach eigenen Angaben ist es das meistbesuchte Weingut der USA und selbst im Pandemiejahr 2020 wurden hier rund 2 Millionen Flaschen Wein produziert.
Während andere Betriebe in den Corona-Lockdown geschickt wurden, konnte das Weingut geöffnet bleiben, weil es als lebensmittelproduzierender Betrieb eingestuft wurde. Selbst als das Herrenhaus, die Geschenkeläden und Restaurants schließen mussten, arbeitete das Weingut mit seinen 20 Angestellten in Produktion und Weinbergen weiter. Die wenigen, die vorübergehend in den Zwangsurlaub geschickt werden mussten, sind inzwischen alle wieder da; es wurden keine Arbeitsplätze abgebaut. Vielen anderen Unternehmen in der Region erging es nicht so gut.
Die Winzerwelt ist immer noch männlich
Fenchak, die aus Pennsylvania stammt, ist erst die dritte Person in der Geschichte des Unternehmens, die sich um den Weinanbau kümmert. Die ersten beiden Winzer kamen aus Frankreich. Sie studierte Lebensmittelwissenschaften und war danach für kleine Weingüter in Georgia im Süden der USA tätig.
Als sie 1999 in Biltmore als Assistentin des Winzers anfing, war sie die einzige Frau im ganzen Haus. Im Jahr 2003 wurde sie selbst Winzerin und 2018 zur 'Vizepräsidentin der Weinproduktion' befördert. Das bedeutet, dass sie die Chefin ist und dem kleinen aber feinen Club der US-Winzerinnen angehört. Denn trotz aller Fortschritte bei der Gleichberechtigung in jüngster Zeit stehen nur bei etwa 10 Prozent aller US-Weingüter Frauen an der Spitze.
Sie räumt zwar ein, dass es vielleicht eine Weile gedauert hat, bis sie sich den Respekt ihrer Kollegen verdient hatte- Aber darüber hat sie sich nie wirklich einen Kopf gemacht, erinnert sie sich im Gespräch mit der DW. "Ich habe nie daran gedacht, dass ich etwas nicht schaffen kann."
Auch die Frage, ob man als Frau in einem Männerbereich arbeiten kann, hat sich bis vor etwa drei Jahren nie gestellt, was für sie unterstreicht, dass sich die Einstellung Frauen gegenüber verändert hat. Mittlerweile arbeiten zwei weitere Frauen in ihrem engsten Kreis, ihre Assistentin in der Weinherstellung und ihre Laborantin. Für sie ist es jedoch wichtig, die am besten qualifizierte Person zu bekommen, ganz gleich ob Mann oder Frau.
Wein als Spezial-Wissenschaft
Für Fenchak ist Wein eine Wissenschaft. Der Rohstoff kommt zwar aus der Natur, aber um Wein herzustellen, braucht man Chemie und Fachwissen. Allein um das Geschäft zu verstehen, braucht man etwa drei Jahre, glaubt sie. In dieser Hinsicht hat Biltmore den Vorteil, dass es hier viele langjährige Mitarbeiter gibt. Einige sind schon seit 20 oder sogar 30 Jahren dabei.
Sobald die Trauben in der Kellerei ankommen, beginnen Fenchak und ihr Team damit, sie auf Qualität, Zuckergehalt und PH-Wert zu prüfen. Die richtige Temperatur ist hier von Anfang an das A und O. Die Winzerin kontrolliert die Gärung und nimmt bei Bedarf kleine Korrekturen vor. Tägliche Begehungen und die Steuerung ihres Teams sind ebenfalls Teil ihrer Arbeit. Wenn das alles erledigt ist, kann sie sich um das Budget, die Ausgaben- oder Personalplanung kümmern.
Wenn noch Zeit übrig ist, kann sie neue Weine kreieren, was großes Geschick erfordert. "Ich brauche zwei Jahre, damit aus einer Idee eine fertige Flasche Wein im Regal wird. Und zwar nur, wenn ich die Trauben habe oder sie kaufen kann", sagt sie. "Wenn ich die Trauben selbst suchen oder pflanzen muss, dauert es doppelt so lange. Aber ich habe dabei viel kreative Freiheit."
Am Ende ist es ein Job, bei dem man sich schmutzig macht, was auch häufig ihrer Kleidung anzusehen ist, wenn sie nach Hause geht. Auch wenn sie das öffentliche Gesicht des Weinhauses ist, ist es für sie immer am wichtigsten, sich auf die Weinherstellung zu konzentrieren.
Eine lange Zeit der Entwicklung
Das war nicht immer so. Die Hügel rund um Biltmore waren nicht immer mit Trauben bepflanzt. Als das Anwesen 1930 erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, war das Gebäude, in dem sich heute das Weingut befindet, eine Molkerei - groß genug, um Hunderte von Kühen zweimal am Tag zu melken.
In den 1960er Jahren übernahm der Enkel von George Vanderbilt, William Cecil, das Anwesen und war der Meinung, dass Wein helfen könnte, die Rechnungen zu bezahlen. In den 1970er Jahren experimentierte er mit verschiedenen Rebsorten und richtete eine provisorische Abfüllanlage ein. Anfang der 1980er Jahre nahm er einen Kredit in Höhe von mehreren Millionen Dollar auf, um in seinen Traum zu investieren.
Offiziell hieß das Unternehmen Biltmore Estate Wine Company und wurde 1983 gegründet. Die Molkerei wurde renoviert und 1985 für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Obwohl Cecil einen erfahrenen französischen Winzer anstellte, war es ein großes Wagnis. Das lokale Wetter bringt manchmal unerwünschten Frost und Regen. Und dann war da noch die Frage, ob überhaupt jemand Wein aus den Appalachen kaufen oder in den Weinbau investieren würde.
Eine strahlende Zukunft
Aber trotz aller Zweifel ist die Nachfrage so stark gestiegen, dass heute in einem guten Jahr nur noch 10 Prozent der benötigten Trauben aus North Carolina stammen. Der Rest wird von ausgewählten Produzenten in Kalifornien und Washington zugekauft. Diese von Fenchak persönlich ausgewählten Trauben ermöglichen es dem Weingut, eine breitere Palette von Weinen anzubieten. Die meisten Weingüter machen das, um die Nachfrage zu befriedigen. Unabhängig davon, woher die Trauben stammen, wird der Großteil in Biltmore das ganze Jahr über verarbeitet und abgefüllt - an vier Tagen pro Woche für Wein und an einem Tag für Sekt.
Seitdem Fenchak die Leitung übernommen hat, hat sie ihren eigenen Stil entwickelt. Die größte Veränderung ist ihr Sinn für Abenteuer: Sie versucht, "Trends schneller zu folgen oder verschiedene Rebsorten zu mischen, um zu sehen, was funktionieren könnte."
Überraschenderweise ist die Beschaffung von Trauben aus anderen Anbaugebieten derzeit der komplizierteste Teil ihrer Arbeit. Wie in anderen Branchen auch sind die Lieferketten angespannt. Dürreperioden in Kalifornien und die Pandemie hätten daraus eine "interessante" Herausforderung gemacht, die vielen langfristigen Beziehungen zu anderen Erzeugern würden aber helfen, sagt sie.
Das Weingut war von Anfang an mit einem langfristigen Blick in die Zukunft gegründet worden. Heute, 36 Jahre nach seinem Start, sind Millionen und Abermillionen von Flaschen mit edlen Biltmore-Tropfen auf den Tischen in den gesamten USA gelandet. Und das flüssige Erbe trägt dazu bei, den Namen Vanderbilt am Leben zu erhalten, unter den wachsamen Augen seiner ersten Winzerin.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.