Keine Forschung ohne Wirtschaft
12. Dezember 2016Die deutsche Industrie und der Staat gaben 2015 gemeinsam 2,99 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Forschung aus. Damit erreichte Deutschland fast sein Ziel von drei Prozent, welches von allen EU-Staaten in der "Wachstumsstrategie Europa 2020" anvisiert wird. 68,9 Prozent entfielen dabei auf die Unternehmen, 31,1 Prozent auf staatliche Ausgaben. Dies berichtet der Deutsche Stifterverband an diesem Montag (12.12.2016) bei der Veröffentlichung seiner neuesten Statistik.
2014 lag der Wert noch bei 2,88 und im Jahr 2013 bei 2,82 Prozent des BIP. Die Steigerungsrate in den Forschungsausgaben zeigt also stabil nach oben. Insofern geht der Stifterverband davon aus, dass im laufenden Jahr die magische Drei-Prozent-Marke durchbrochen wird.
Konkurrenz erfordert Innovation
"Dieses Allzeithoch hätten wir in dieser Deutlichkeit nicht erwartet - insbesondere nicht das Wachstum in einigen klassischen, traditionellen Industriebranchen", sagt Gero Stenke, Leiter der Wissenschaftsstatistik im Stifterverband, gegenüber der Deutschen Welle.
Ein Beispiel hierfür ist die Automobilindustrie. Der Statistiker verzeichnet ein Wachstum von rund zehn Prozent. Immerhin erreichten die Forschungsausgaben ein Volumen von 21,74 Milliarden Euro. "Man muss bedenken, vor welchen Herausforderungen diese Branche steht", so Wirtschaftsgeograph Stenke. "Elektromobilität und autonomes Fahren sind nicht neu, aber man merkt, dass die Branche auch in Bezug auf ihr gesamtes Geschäftsmodell und Vertriebswege zunehmend unter Druck steht und versucht, die internationalen Wettbewerber - die vehement in diese Technologiesegmente drängen - in Schach zu halten."
Nicht begründen lassen sich die hohen Forschungsaufwendungen allerdings mit dem Diesel-Abgasskandal. Einerseits sind die Daten von 2015 dafür noch nicht aussagekräftig, andererseits zeigen Automobilunternehmen mit ihren Forschungsinvestitionen eher langen Atem, so Stenke: "Das ist sicherlich eine langfristige, strategische Überlegung: Abwenden vom Verbrennungsmotor und Hinwenden zu neuen Antriebstechnologien."
Die Pharma- und Chemieindustrie verlagert die Forschung
Eigentlich bilden die forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland eine feste Säule der industriellen Forschung. Aber im Vergleich zur Automobilindustrie sehen die vier Milliarden Euro Forschungsausgaben eher bescheiden aus. Und 2015 gab es praktisch kein Wachstum in diesem Bereich. Symptomatisch für diese Entwicklung war auch die Entscheidung der Ludwigshafener Firma BASF, den Großteil der Agrarforschung in die USA zu verlagern.
"Wir nehmen diese Stagnation schon seit längerem wahr. Da gibt es Verlagerungen in andere entwickelte Industrienationen", so Stenke. Also sind die externen Forschungsausgaben der Pharmaunternehmen um ein Viertel gestiegen - auf gut 2,2 Milliarden Euro.
Dies habe einerseits damit zu tun, dass die Unternehmen die Nähe ausländischer Spitzenuniversitäten suchen, aber auch mit regulativen Rahmenbedingungen. "Bestimmte Forschung ist in Deutschland begrenzter möglich als in anderen Ländern - etwa Lebenswissenschaften und Biotechnologien." Und auch der gesellschaftliche Diskurs - etwa zur grünen Gentechnologie - beeinflusse unternehmerische Entscheidungen. "Das hat auch mit Akzeptanzproblemen hier in Deutschland zu tun", gibt der Statistiker zu bedenken.
Selektion im Mittelstand
Eine bemerkenswerte Entwicklung verzeichnet der Stifterverband im Mittelstand. "Hier haben sich in den letzten Jahren deutliche Veränderungen vollzogen. Wir sehen bei Mittelständlern tendenziell immer weniger Unternehmen, die sich an intensiven Innovationsprozessen beteiligen. Aber die, die es tun, tun es umso intensiver."
Unterm Strich gibt es aber bei Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten immerhin einen deutlichen Zuwachs in den Forschungsausgaben (16 Prozent). "Hier findet scheinbar ein Selektionsprozess statt", sagt Stenke. "Ein Treiber sind technische Dienstleistungsunternehmen, die dann im Auftrag der großen Unternehmen tätig sind."
Beispielhaft für diese Entwicklung ist der Maschinenbau: Während die Forschungsinvestitionen insgesamt ein Minus von 0,2 Prozent verzeichnen, sind sie bei den kleinen und mittleren Unternehmen um zehn Prozent gewachsen. Noch drastischer ist dies im Fall der Informations- und Kommunikationstechnik. Hier gingen die Forschungsausgaben insgesamt um 0,4 Prozent zurück, der Mittelstand legte aber um 24 Prozent zu.
Unterm Strich ist Forschung und Entwicklung ein Jobmotor: So gab es 2015 eine Steigerung von 11,9 Prozent - umgerechnet 416.000 Vollzeitstellen in den Forschungsabteilungen der Wirtschaft.
Der Stifterverband erhebt die Zahlen jährlich im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).