"Die zehn Länder haben unterschiedliche Interessen"
21. Juli 2016Neben dem ASEAN-Außenministertreffen stehen noch der Ostasiengipfel und das ASEAN Regional Forum auf der Agenda, auf denen auch die Europäische Union und die USA vertreten sein werden.
Am Dienstag vor zehn Tagen (12.7.2016) hatte die Volksrepublik China vor dem Internationalen Schiedsgericht in Den Haag eine Niederlage erlitten. Das Gericht gab dem Kläger Philippinen in fast allen Punkten Recht und wies die historisch begründeten Ansprüche Chinas zurück, das fast das gesamte Südchinesische Meer für sich beansprucht. Der Schiedsspruch war eine entscheidende Wegmarke in dem seit Jahren andauernden Territorialstreit. Erstmals wurde eine juristisch bindende Entscheidung gefällt. Allerdings hat der Schiedshof keine Mittel, um die Entscheidung durchzusetzen. Die Frage ist nun, was die beteiligten Akteure politisch mit dem Urteil anfangen.
Der philippinische Außenminister forderte kurz vor dem Treffen der ASEAN-Außenminister in Vientiane eine gemeinsame Erklärung des Staatenbundes zum Schiedsspruch. Doch Diplomaten der ASEAN äußerten sich im Vorfeld wenig zuversichtlich.
Deutsche Welle: Kommen wir erst einmal auf die Position Europas zu sprechen: Die EU nimmt an dem Treffen in Vientiane teil. Nach dem Schiedsspruch aus Den Haag dauerte es, bis die EU eine gemeinsame Erklärung zum Schiedsspruch aus Den Haag veröffentlichte.Warum?
Enrico Fels: Ich glaube die EU hat mit der zurückhaltenden Stellungnahme richtig reagiert. Sie hat damit die Nullsummen-Logik, die derzeit im Südchinesischen Meer vorherrscht, nicht weiter befördert. Die EU hat darauf hingewiesen, dass alle Entscheidungen in Übereinstimmung mit dem internationalen Recht getroffen werden müssen und dass alle Streitparteien zusammenarbeiten sollen, um zu einer einvernehmlichen, friedlichen Lösung zu kommen. Die EU hat sich außerdem als eine Art "ehrlicher Makler" angeboten. Sie hat signalisiert, dass sie bereit ist, alle Aktivitäten zu unterstützen, die das Vertrauen in der Region stärken und zu einer tragfähigen Lösung beitragen würden.
Es wurde berichtet, dass die Stellungnahme der EU auch deswegen so zurückhaltend war, weil China zum Beispiel für Griechenland ein wichtiger Investor ist. Aber nicht nur Griechenland, sondern auch andere EU-Staaten sollen auf eine vorsichtige Stellungnahme gedrängt haben.
Eine griechische Stellungnahme ist mir nicht bekannt. Mehr gewundert hat mich allerdings, dass es keine offizielle deutsche Stellungnahme gab. Ich kann die griechische Position aber nachvollziehen. Das hängt mit der Seidenstraßen-Strategie Chinas zusammen. Der Hafen von Piräus in Griechenland soll eine der großen Andockstellen für den chinesischen Welthandel werden. Das ist natürlich auch einer der Gründe, warum man in Europa vorsichtig ist. Europa hat ein Interesse an chinesischen Investitionen.
Wenn Chinas Einfluss schon im europäischen Staatenbund zu spüren ist, was bedeutet das für den Staatenbund in Südostasien, wo die Länder teils als direkte Nachbarn im unmittelbaren Einflussbereich Chinas liegen?
Der Einfluss Chinas insbesondere in den kontinentalen südostasiatischen Ländern ist sehr stark. Thailand wäre da zu nennen, aber auch Laos und Kambodscha und nicht zuletzt Myanmar. Das wiederum beeinflusst natürlich auch die Position der Länder mit Blick auf die Konflikte im Südchinesischen Meer.
Grundsätzlich ist es nun mal so, dass die zehn Länder der ASEAN unterschiedliche Interessen haben. Vier Länder sind direkt in den Territorialkonflikt involviert, aber die sechs anderen Staaten wollen zuerst einmal sehr gute Beziehungen zu einem wirtschaftlich starken China haben.
Dadurch, dass es in der ASEAN ein Konsens-Prinzip gibt, kann ein einzelnes Mitgliedsland die Position des Staatenbundes gegenüber der Volksrepublik China blockieren. Das haben wir 2012 gesehen, als Kambodscha eine gemeinsame Erklärung verhindert hat, die auch das Südchinesische Meer umfassen sollte. Und etwas Ähnliches könnte sich nun wiederholen. Kambodscha hat bereits angekündigt, dass es keine gemeinsame Position der ASEAN zum Südchinesischen Meer unterstützen wird. Aber auch Laos ist nicht gewillt, die vergleichsweise guten Beziehungen zu China für die territorialen Interessen anderer Länder aufs Spiel zu setzen. Hier zeigt sich die große Schwierigkeit für die ASEAN, die einerseits von Chinas Wirtschaft profitieren möchte, aber andererseits auch innere Solidarität braucht. Insbesondere die Solidarität hat in den letzten 14 Jahren stark gelitten.
Mit anderen Worten können die vier Staaten, die Interessen im Südchinesischen Meer haben, den anderen sechs Staaten nicht genügend anbieten, um China gewissermaßen auszustechen?
Das ist das Kernproblem. Chinas ökonomische Macht ist in der Region so groß, dass im Grunde genommen kein anderes Land in der Lage ist, eine entsprechende Kompensation anzubieten.
Ist China demnach eine Spaltung der ASEAN gelungen?
Ich glaube vielmehr, dass es China gelungen ist, die unterschiedlichen Interessen innerhalb der ASEAN für sich zu nutzen. China hat sicherlich nicht das Ziel, die ASEAN zu zerschlagen, denn das würde Länder wie etwa die Philippinen und vielleicht auch Vietnam in die Arme der USA treiben. ASEAN ist als Bündnis für China nützlich, was aber nicht bedeutet, dass man nicht zugleich versucht Druck auszuüben, um die eigene politische Position im Südchinesischen Meer durchzusetzen.
Hat der Schiedsspruch aus Den Haag die Lage für die ASEAN eher verkompliziert oder vereinfacht?
Der Schiedsspruch hat es schwieriger gemacht, eine Verhandlungslösung zu finden. Das Management der Konflikte ist insgesamt schwieriger geworden. Auch der Zusammenhalt innerhalb der ASEAN ist einem größeren Druck ausgesetzt. Aber auch für China ist die Lage komplizierter. Es wird in eine Ecke gestellt und muss mit einem großen innenpolitischen Druck fertig werden. Wir dürfen nicht vergessen: Ein sehr großer Teil der Bevölkerung Chinas ist für eine harte Haltung im Seestreit. Für den Aspekt der Verhandlungslösung war das Urteil in Den Haag nicht hilfreich.
Hilfreich könnte aber sein, die Europäische Union als Moderator hinzuzuziehen. Die europäischen Länder haben in ihrer Geschichte Lösungen gefunden, die dazu beitragen können, eine friedliche Lösung zu finden, die nachhaltig ist und den Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen der involvierten Länder gerecht wird.
Enrico Fels ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Global Studies der Universität Bonn. Vor kurzem erschien ein von ihm herausgegebener Sammelband zum Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer: Power Politics in Asia’s Contested Waters. Territorial Disputes in the South China Sea. Springer International Publishing 2016.
Das Interview führte Rodion Ebbighausen.