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"Die Zeit drängt"

Gabriel Dominguez 22. März 2014

Zwei Wochen nach ihrem Verschwinden gibt es trotz neuer Spuren noch immer keine Gewissheit, wo die Boeing 777 ist. Warum bei der Suche jeder Tag zählt, erklärt Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt.

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Plakat des verschwundenen Flugzeugs mit handgeschriebenen Botschaften (Foto: REUTERS/Samsul Said)
Bild: Reuters

Deutsche Welle: China hat bekannt gegeben, dass es derzeit neue Satellitenbilder auswertet, auf denen Objekte zu sehen sind, die möglicherweise mit dem verschwundenen Flugzeug in Verbindung stehen könnten. Ist es denkbar, dass Peking auf der richtigen Spur ist?

Heinrich Großbongardt: Je größer ein solches Objekt ist, desto kleiner ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich dabei um Teile der vermissten Boeing 777 handelt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass große Flugzeugteile zwei Wochen nach einem Absturz noch auf dem Wasser treiben können. (Anmerkung der Redaktion: Nach Angaben des malaysischen Verkehrsministers soll eines der gesichteten Objekte 22,5 Meter lang und 13 Meter breit sein.)

Ein malaysischer Minister äußerte kürzlich seine Besorgnis darüber, dass die vor der australischen Westküste entdeckten Objekte sich als falsche Spur entpuppen könnten. Darauf wurde Kritik an der Tatsache laut, dass sich die Suche plötzlich auf diese eine Stelle im Indischen Ozean konzentrierte. Wie sehen Sie das?

Es macht durchaus Sinn, bei der Suche auch gezielt bestimmte Gebiete zu durchkämmen. Flug MH 370 könnte auf einem mehrere Millionen Quadratkilometer umfassenden Gebiet abgestürzt sein. Es ist einfach unmöglich, dieses ganze Gebiet abzusuchen.

Warum ist es für die Bergungsteams so wichtig, möglichst schnell zu den Stellen zu gelangen, wo möglicherweise Trümmerteile gesichtet wurden?

Zwei Wochen nach Verschwinden der Maschine besteht keine realistische Chance mehr, Überlebende zu finden. Jetzt dreht sich alles darum, die Überreste des Flugzeugs zu finden, um den Flugdatenschreiber und die Aufzeichnungen aus dem Cockpit auswerten zu können.

Dabei drängt die Zeit, denn größere Wrackteile werden im Meer versinken. Und darüber hinaus werden durch Wind und Meeresströmungen kleinere Teile jeden Tag kilometerweit abgetrieben. Dadurch wird es für die Ermittler extrem schwer, ihren Weg zurück zum tatsächlichen Unglücksort nachzuvollziehen.

Porträt - Flugsachverständiger Heinrich Großbongardt (Foto: privat)
Heinricht GroßbongardtBild: privat

Die Tatsache, dass die Batterien der Black Box nur eine garantierte Laufzeit von 30 Tagen haben, bevor das elektronische Signal verstummt, verringert die Chancen zusätzlich, die Überreste des Fliegers zu lokalisieren.

Es gibt Überlegungen, auch per Schall mit Echolot zu suchen. Wie würde das genau funktionieren?

Die Suchmannschaften würden einfach horchen, in der Hoffnung, Signale der Black Box hören und lokalisieren zu können.

Wie wichtig wäre das Auffinden der Trümmer bei der Rekonstruktion dessen, was mit MH370 passiert ist?

Der Flugdatenschreiber und die Aufzeichnungen aus dem Cockpit sind bei der Aufklärung jedes Flugzeugunglücks enorm wichtig. Sie liefern Antworten auf die Fragen, was im Cockpit passiert ist, wie sich die Piloten verhalten haben. Und sie geben natürlich auch Aufschluss über Flughöhe und -geschwindigkeit.

Die kommerzielle Luftfahrt ist nur dank der akribischen Untersuchung jedes größeren Unglücks so sicher geworden, wie sie heute ist. Aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und die Technik so zu verbessern, dass ähnliche Situationen in der Zukunft vermieden werden können – das ist ein ganz zentraler Punkt für die ganze Branche.

Was könnte mit Flug MH370 passiert sein? Welche Szenarien sind denkbar?

Da niemand die Verantwortung für das Verschwinden des Flugzeugs übernommen hat, ist ein terroristischer Hintergrund meiner Meinung nach das einzige Szenario, das man ausschließen kann. So etwas hat es noch nie gegeben. Einen bislang unbekannten technischen Defekt, ein Verbrechen oder den Selbstmord eines Crew-Mitglieds halte ich auch für eher unwahrscheinlich. Aber möglich wäre es.

Wie bewerten Sie die bisherigen gemeinschaftlichen Bemühungen und die Zusammenarbeit bei der Suche?

Soweit ich weiß, handelt es sich hier um die bislang größte internationale Suchaktion überhaupt. Der Start verlief leider aufgrund der chaotischen Informationen von Seiten der malaysischen Behörden nicht gut. Aber mittlerweile ist die Suche ziemlich gut koordiniert.

Wie wird es jetzt bei der Suche weitergehen?

Wenn innerhalb der kommenden Woche keine Wrackteile von MH370 gefunden werden, wird die Zahl der an der Suche beteiligten Schiffe und Flugzeuge langsam heruntergefahren werden. Es ist durchaus möglich, dass zum ersten Mal seit 50 Jahren ein großes Passagierflugzeug verschwunden bleibt.

Heinrich Großbongardt ist Luftfahrtexperte und Geschäftsführer der auf Luft- und Raumfahrt spezialisierten Hamburger Kommunikationsagentur Expairtise.

Das Interview führte Gabriel Dominguez.