Weniger Zustimmung zur Willkommenskultur
7. Juli 2016Stellen viele Flüchtlinge und Migranten eine Gefahr für Deutschlands rosige Zukunft dar? Ja, meint ein Drittel der Befragten einer neuen sozialpsychologische Untersuchung im Auftrag der Mercator-Stiftung. Die Haltung der Deutschen zum Zusammenleben in einer Migrationsgesellschaft hat sich demnach in den vergangenen zwei Jahren deutlich verändert. Die positiven Einstellungen zu einer Willkommenskultur seien zurückgegangen, erklärte der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick in Berlin bei der Vorstellung der Untersuchung "ZuGleich - Zugehörigkeit & (Un-) Gleichwertigkeit 2016". Die öffentliche Debatte über die stark gestiegene Zuwanderung von Flüchtlingen habe Spuren hinterlassen, meint Zick.
Mittlerweile fordert die Mehrheit der Bevölkerung zudem, dass sich für eine erfolgreiche Integration ausschließlich die Migranten anpassen müssten, erklärten die Forscher. Vor zwei Jahren hatten 36,2 Prozent dieser Haltung zugestimmt, nun sind es 54,9 Prozent. "Der Prozess der Integration wird immer noch als Einbahnstraße angesehen", betonte Zick. Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz erklärte: "Der Satz: 'Die sollen sich anpassen' ist so alt, wie er unklar ist." Wenn eine kulturell vielfältige Gesellschaft weniger geschätzt werde, müsse das aber nachdenklich stimmen.
Überwiegende Mehrheit ist aufnahmebereit
Eins bleibt unverändert: Die Forscher stellten bei ihrer telefonischen Befragung fest, dass die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung immer noch hilfs- und aufnahmebereit ist. Gleichzeitig wächst bei den Deutschen der Wunsch nach kultureller Selbstbehauptung und gewissen "Vorrechten" für die "Alteingesessenen". Die meisten "Alteingesessenen" sind zwar für eine rechtliche Gleichbehandlung von Zuwanderern in Deutschland. Treten die "Neuen" aber allzu fordernd auf, kann die Stimmung schnell kippen. Beim Anspruch auf Vorrechte unterschieden sich Deutsche mit Migrationshintergrund der Studie zufolge kaum von denen ohne.
Das fanden die Forscher um den Bielefelder Sozialpsychologen Andreas Zick besonders interessant: Auch Deutsche mit ausländischen Wurzeln meinen, dass Zuwanderer in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft erst einmal kleine Brötchen backen sollten. Vielleicht spielen da auch ihre eigenen Erfahrungen eine Rolle. Nach dem Motto: "Warum sollte es jemand anders leichter haben als ich. "Auch in der migrantischen Bevölkerung verschärft sich der Ton, wenn es darum geht, eigene Vorrechte zu sichern", schrieben die Forscher. Gegenüber der Willkommenskultur im Allgemeinen sind Deutsche mit Migrationshintergrund insgesamt aber positiver eingestellt als ihre Landsleute ohne.
Kriterien für das Zugehörigkeitsgefühl sind erlernbar
Özoguz betonte hingegen, die neuesten Ergebnisse zeigten, dass der Großteil der Bevölkerung auch in der aktuellen Situation positiv gegenüber Flüchtlingen eingestellt ist und die Vielfalt der Gesellschaft begrüßt. Als positiv bewertete die Staatsministerin ebenfalls die Tatsache, dass zum deutschen Zugehörigkeitsgefühl aus Sicht der Befragten Kriterien eine Rolle spielten, "die man sich erarbeiten kann", so Özoguz. Dazu zählten etwa die Achtung politischer Institutionen und Gesetze, die deutsche Sprache, soziales Engagement ebenso wie Erwerbstätigkeit. Faktoren, die man kaum selbst beeinflussen kann, seien dagegen mittlerweile weniger wichtig. So seien etwa das Geburtsland, die in Deutschland verbrachte Lebenszeit sowie die christliche Konfession für das "Deutschsein" aus Sicht der Befragten immer weniger ausschlaggebend.
Willkommenskultur oder alte Ordnung?
Konfliktforscher Zick verwies zudem darauf, dass die "Polarisierung der deutschen Bevölkerung" derzeit von zwei "kaum zu vereinbarenden Standpunkten" geprägt sei: Für die einen sei die Willkommenskultur ein Leitbild, die anderen wünschten sich alte Ordnungen zurück und plädierten für "klare Hierarchien" zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern. "Wir brauchen eine Politik, die Identifikation und Zusammenhalt für alle schafft, für Einheimische und Zugewanderte", betonte Özoguz. Zentral dafür sei vor allem mehr gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation aller in Deutschland lebenden Menschen.
pab/gri (afp, dpa, epd)