"Diese Urkräfte aus der Erde sind ein besonderes Erlebnis!"
15. April 2010DW-WORLD.DE: Prof. Schreiber, auf Island ist der Vulkan unter dem Eyjafjalla-Gletscher erneut ausgebrochen. Es ist bereits der zweite Ausbruch binnen vier Wochen. War das für Sie überraschend?
Ulrich Schreiber, Vulkanologe: Nein, das ist nicht ungewöhnlich für Island. Denn wir haben hier eine andere geologische Situation als in anderen Vulkangebieten. Es gibt auf Island große Spalten, die aufreißen können. Das kann an einer Stelle beginnen und in der Verlängerung einer Spalte kann es zu weiteren Ausbrüchen kommen.
Nun steht über der Ausbruchsstelle eine große Aschewolke. Die Flughäfen in Großbritannien und in Norwegen wurden gesperrt. Auch in Schweden und Dänemark ist der Flugverkehr stark behindert. War es denn ein besonders heftiger Ausbruch oder warum sind die Auswirkungen so groß?
Das kann eine Kombination von zwei Ursachen sein: Die Schmelze (geschmolzenes Gestein) könnte sich mit eigenen Gasen in einer Magmakammer angereichert haben. Das heißt, der Dampfdruck des Materials war vielleicht von sich aus schon sehr hoch. Darüber hinaus gab es vielleicht Kontakt zum Schmelzwasser des Gletschers. Dadurch entstehen sehr starke Explosionskräfte. Heißes Wasser unter hohem Druck führt zu Explosionen und enorme Mengen an feinsten Partikeln, die in die Atmosphäre geschleudert werden.
Die Asche behindert nicht nur die Sicht der Piloten und beschädigt die Flugzeugmotoren, es wird den Bauern auf Island sogar empfohlen, ihre Tiere im Stall zu lassen. Warum ist die Asche für Tiere gefährlich?
Die Asche alleine wäre nicht das Schlimme. Bestimmte Bestandteile, die aus dem Gas stammen, wie Fluor und Schwefelverbindungen sind sehr ungesund für die Tiere. Das Material setzt sich auf dem Gras ab, wird von den Tieren gefressen und das führt zu einer starken Belastung. Es gab in der Vergangenheit Fälle, dass Tiere aufgrund dieser hohen Schwefelgehalte veredeten.
Wie gefährlich sind dieses Bestandteile für Menschen?
Erst einmal ungefährlich. Denn der Mensch ist ja keiner direkten Kontamination ausgesetzt wie die Tiere, die das Gras fressen. Gefährlich könnte es werden, wenn die Konzentrationen an Schwefeldioxid sehr hoch ist. Dann könnten Asthmatiker oder gesundheitlich vorbelastete Menschen Probleme bekommen.
Vulkanausbrüche kann man zum Teil voraussagen. Es gibt verschiedene Arten von Frühwarnsystemen. Welche werden denn auf Island angewendet?
Das sicherste Frühwarnsystem war in diesem Fall wohl die Geophysik. Innerhalb weniger Tage konnten im Untergrund mehrere tausend kleinste Erdbeben, sogenannte "Schwaben-Beben", gemessen werden. So kann man gut verfolgen, wie sich die Schmelze in die Erdoberkruste vorschiebt, bis es schließlich zum Ausbruch kommt.
Neben der Geophysik gibt es auch andere Wege, einen Ausbruch vorherzusagen. Temperaturveränderungen oder Veränderungen im Gasgemisch, das aus dem Boden austritt, spielen eine Rolle. Sie selbst erforschen in der Eifel eine ganz besondere Art von Frühwarnsystem: Sie beobachten das Verhalten von Ameisen. Wie funktioniert das?
In der Eifel untersuchen wir Gasveränderungen und die Reaktionen von Ökosystemen. Denn letztendlich ändert sich durch Aktivitäten im Untergrund immer auch die Gaszusammensetzung an der Oberfläche. Und die hat wiederum Auswirkungen auf das Ökosystem. Unsere Ameisen, die wir in der Eifel mittlerweile sehr genau untersucht haben, sind unsere Bio-Indikatoren.Wenn sich im Untergrund etwas tut, sterben sie ab oder sie verlassen die Region.
Zwar haben Sie aus der Eifel keine Erfahrungswerte nach Vulkanausbrüchen, aber haben Sie eine Vermutung, wie viel Zeit bliebe, wenn sich bei den Ameisen etwas verändert? Wie kurz stünde dann ein Ausbruch bevor?
Wir haben zwei Arten von Ausbrüchen. Solche, die eine sehr lange Vorlaufzeit haben und solche, die sehr plötzlich ablaufen. Die würden ihre Gase vorausschicken und es könnte schon nach wenigen Tagen zu einem Ausbruch kommen. Was wir bräuchten, ist eine Rund-um-die-Uhr-Beobachtung der Ameisen.
Gibt es in Deutschland noch Gebiete mit aktiven Vulkanen?
Wir haben keine aktiven Vulkane. Wir haben aber Anzeichen dafür, dass es wieder zu Aktivitäten kommen könnte. Etwa im Vogtland oder in der West- und der Osteifel. Das kann in 1.000 Jahren sein, in 10.000 Jahren oder vielleicht auch schon in wenigen Jahren. Das kann man nicht abschätzen.
Waren Sie mal bei einem Ausbruch dabei?
Ja, ich bin relativ häufig am Stromboli in Italien, der regelmäßig ausbricht. Einmal stand ich relativ dicht daneben. Das ist schon ein Erlebnis für sich. Solche langsam ausbrechenden Vulkane, die einen langsamen Lavastrom bilden, sind weniger gefährlich. Dort muss man einfach aus dem Weg gehen, wenn die Lava kommt und die Häuser räumen. Dort haben wir nicht so große Explosionen. Es ist immer wieder beeindruckend, wenn man diese Urkräfte aus der Erde sieht. Das ist ein besonderes Erlebnis. Auch deshalb gibt es jetzt auf Island sehr viele Touristen.
Aber das ist nicht ihre tägliche Arbeit. Sie sitzen nicht die ganze Zeit im Flieger und reisen den Ausbrüchen hinterher?
Nein. Da würde man auch nicht viel Neues erforschen. Man muss sich auf wenige Vulkane konzentrieren, die man bearbeitet. Man muss die Tektonik, die Veränderungen der Gase, also die Rahmenbedingung, die zu einem Vulkanausbruch führen können, erfassen, um langfristig ein Verständnis für solch ein Vulkanfeld zu bekommen. Es ist zwar so, dass man gerne bei vielen Ausbrüchen dabei wäre, aber letztendlich ist das "Hinterher" für die Wissenschaft wichtiger. Dass man geochemische Untersuchungen macht, dass man sich die Gesteine anschaut, die herausgeworfen wurden und ihre Mineralzusammensetzung bestimmt. Das ist ein Großteil der Arbeit.
Prof. Ulrich Schreiber ist Vulkanologe am Institut für Geologie an der Universität Duisburg/Essen.
Das Gespräch führte Andreas Ziemons
Redaktion: Judith Hartl