Dietrich Bonhoeffer: Ein evangelischer Heiliger
4. Februar 2006Der Mann, der in den frühen Morgenstunden des 9. April 1945 in dem oberpfälzischen KZ Flossenbürg die Stufen zum Galgen hinaufstieg, gefasst und "innig mit seinem Herrgott verbunden", wie ein KZ-Arzt notierte, hat die christliche Nachkriegstheologie beeinflusst wie kaum ein Zweiter seiner Generation. Mit seinem Diktum, dass Kirche vor allem Kirche für andere zu sein habe, brach Dietrich Bonhoeffer mit der alten Kirchenposition, die sich meist um sich selbst drehte. Er predigte die Gegenwart Christi in der Welt; er schuf ein anderes, ein überkonfessionelles Kirchenbild, zu dem sich heute konservative wie fortschrittliche Theologen bekennen: Der Glaube als Nachfolge Christi, mit allen Konsequenzen. Das ist das Vermächtnis des am 4. Februar 1906 geborenen Dietrich Bonhoeffer.
Konspirativer Widerstand
Heute spaltet Dietrich Bonhoeffer nicht mehr die Kirchen. Aber noch 1953 lehnte der bayerische Landesbischof Hans Meiser ab, als man ihn zu einer Gedenkveranstaltung für Bonhoeffer einlud. Bonhoeffer sei nicht als Märtyrer gestorben, rechtfertigte sich der evangelische Bischof, sondern weil er den Umsturz des Regimes vorbereitet habe. Mittlerweile bewertet die Kirche Bonhoeffers konspirativen Widerstand völlig anders: So nennt der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, Bonhoeffer einen "evangelischen Heiligen".
Theologiestudium aus intellektuellem Interesse
Bonhoeffer wuchs als sechstes von acht Kindern in Breslau und Berlin auf. Der Vater, ein renommierter Psychiater, war nicht besonders religiös und auch Dietrichs Mutter, eine Pastorentochter, hatte wenig Kontakt zur Kirche. So war es eher überraschend, dass sich der 17-Jährige 1923 zum Theologiestudium entschied - aus intellektuellem Interesse. Bereits mit 21 Jahren wurde er promoviert, mit 25 war er Privatdozent - eine akademische Blitzkarriere. Doch erst, als er 1930 ans Theologische Seminar nach New York ging, entwickelte Bonhoeffer ein inneres Verhältnis zum Glauben. Die intensive Auseinandersetzung mit der Bergpredigt hatte für ihn eine Art Lebenswende zur Folge. Später schrieb Bonhoeffer, er sei bis zu seiner New Yorker Zeit zwar Theologe, aber noch kein Christ gewesen. Der Theoretiker, den so mancher Kommilitone als überheblich erlebte, wurde zum Praktiker, der für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen wollte. Sein Credo lautete jetzt: Die Kirche sei allen, auch den nicht-christlichen Opfern jeder Gesellschaftsordnung, verpflichtet. Eine Verstoßung der Juden ziehe die Verstoßung Christi nach sich, denn Jesus Christus war ein Jude.
Lehr- und Redeverbot
Weil er in der an den Nationalsozialismus angepassten Reichskirche nicht Pastor sein wollte, ging Bonhoeffer 1933 als Pfarrer nach London. Von 1935 an leitete er das Predigerseminar der oppositionellen Bekennenden Kirche im pommerschen Finkenwalde, das 1937 von der Gestapo geschlossen wurde. Bonhoeffer bekam Lehrverbot, 1940 Redeverbot. Im gleichen Jahr schloss er sich der Widerstandsgruppe um Generalmajor Hans Oster und seinen Schwager Hans von Dohnanyi an. Damit begann Bonhoeffers gefährliches Doppelleben: Offiziell war er Reiseagent der "Abwehr", tatsächlich aber weihte er im Ausland Kirchenmänner in die Putschpläne gegen Hitler ein.
Hinrichtung durch die SS
Altbischof Martin Kruse, von 1985 bis 1991 als Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ranghöchster Protestant, unterstreicht die Bedeutung Bonhoeffers. Er sei als aktiver Widerstandskämpfer einer der wenigen evangelischen Theologen gewesen, der auf das Ende der nationalsozialistischen Herrschaft hinarbeitete.
Am 5. April 1943 wurde Bonhoeffer festgenommen. Zwei Jahre verbrachte er in Haft. Am 9. April 1945 befahl ein SS-Gericht seine Hinrichtung - die Geschütze der US-Truppen waren bereits zu hören. Die letzten Worte, die überliefert sind, lauten: "Dies ist das Ende. Für mich der Beginn des Lebens." Seine Leiche wurde verbrannt, ein Grab dieses "evangelischen Heiligen" gibt es nicht.