Donika Gërvalla: Kosovos neue Chefdiplomatin
25. März 2021"Wer nicht weiß, woher er kommt, kann auch nicht wissen, wohin er gehen möchte." Mit diesen Worten in Anlehnung an ein berühmtes Laotse-Zitat begann Donika Gërvalla-Schwarz ihren Dankes-Post auf ihrem Facebook-Account am Montagabend (22.3.), unmittelbar nachdem sie vom kosovarischen Parlament als Außenministerin bestätigt worden ist.
Die 49-jährige Kosovo-Albanerin, die studierte Flötistin und Juristin ist, lebte bis vor kurzem noch in Bonn mit ihrem deutschem Mann und ihren fünf Kindern und arbeitete als Übersetzerin. Aber in vielen entscheidenden Momenten der jüngeren Geschichte der Albaner war sie vor Ort präsent und spielte eine nicht unbedeutende Rolle.
Ihre Haupteigenschaft: Sie spricht Missstände an, auch wenn der Preis dafür hoch erscheint. Das wurde ihr schon in die Wiege gelegt, wohl von ihrem Vater, Jusuf Gërvalla. Er war Dichter, Musiker und Kulturjournalist, aber auch ein scharfer Kritiker des Tito-Regimes in Jugoslawien.
Im Jahr 1980 sah er sich gezwungen, mit seiner Familie nach Deutschland zu fliehen. Donika Gërvalla war damals acht Jahre alt. Zwei Jahre später, im Januar 1982, wurden ihr Vater, ihr Onkel und ein Freund der Familie vor der Haustür ermordet, höchstwahrscheinlich im Auftrag des jugoslawischen Geheimdienstes.
Offene Wunden nicht vergessen und verstecken
Dass die deutschen Behörden den Mord bis heute nicht aufklären konnten, lag wohl daran, dass die jugoslawischen und später serbischen Behörden keine Unterlagen liefern wollten. Das zumindest sagte Gërvalla vor kurzem in einem Interview für einen kosovarischen Fernsehsender. Für sie sei das nur ein Beispiel unter Tausenden anderen Schicksalen von Kosovaren, die während des Krieges 1998/99 nach Serbien verschleppt wurden. Doch ohne die Aufklärung solcher Fälle werde es keine Normalisierungsgespräche geben, sagte sie damals, noch im Wahlkampf.
"Wir haben in diesem Land einige offene Wunden, die wir nicht verheimlichen können. Wir können unseren Bürgern nicht einfach sagen: Vergiss die Verschwundenen, die Ermordeten und die Verbrechen", sagte sie mit Blick auf die Verhandlungen mit Serbien.
Ihre Jugend verbrachte Donika Gërvalla in Enver Hoxhas stalinistischer Diktatur in Albanien - dorthin war ihre Familie nach der Ermordung des Vaters geflohen. Hoxhas Regime versuchte, die Beherbergung der berühmten kosovarischen Familie für eine Imageverbesserung zu instrumentalisieren. Beispielsweise wurde die Musterschülerin Donika einmal auserkoren, dem Diktator Hoxha Blumen zu überreichen. Auch trat sie in großen, pompösen Konzerten als Soloflötistin auf. Später engagierte sie sich als junge Studentin der Akademie der Künste für den "Albanischen Frühling" und gehörte zu den Studentinnen des Hungerstreiks 1991, der schließlich zum endgültigen Sturz des kommunistischen Regimes führte.
Aktivistin gegen das Milošević-Regime
Ihr politisches Engagement widmete sie bald darauf wieder ihrer ersten Heimat Kosovo, diesmal von Deutschland aus, wohin sie 1992 gezogen war. In Hamburg sah man sie als Jura-Studentin und auch als junge Mutter oft zwischen Unihörsälen, Kindergarten und Protestveranstaltungen gegen die Unterdrückung der Albaner durch das Milošević-Regime. Als Sprecherin des deutschen Zweiges der "Demokratischen Liga Kosovos" (LDK), der Partei des damaligen pazifistischen Anführers der Albaner, dem "Gandhi Kosovos", Ibrahim Rugova, behauptete sie sich auch in Talkrunden in deutschen Fernsehsendern gegen damalige serbische Oppositionelle wie Zoran Đinđić oder Vesna Pešić.
In nahezu akzentfreiem Deutsch erklärte sie ihnen, warum Milošević vor das Kriegsverbrechertibunal in Den Haag gehöre und warum die jugoslawische Opposition mit Rugova, der die Sprache des Friedens verstünde, über ein unabhängiges Kosovo sprechen sollte. Jetzt kursieren diese Videos in den albanischen sozialen Medien und viele Menschen sind erstaunt über Gërvallas Eloquenz und Argumentationsstärke, im Deutschen wie im Albanischen.
Von der LDK verstoßen
Im Kosovo der Nachkriegszeit gab es hingegen keinen Platz für die junge Politikerin. Sie lebte in Bonn mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwarz, und ihren fünf Kindern und arbeitete als Übersetzerin.
2018 versuchte sie als Vorsitzende der LDK-Zweigstelle in Deutschland nach Kosovo zurückzukehren und gemeinsam mit anderen prominenten Politikerinnen des Landes, etwa Vjosa Osmani, die LDK zu reformieren. Doch der damalige Vorsitzende der Partei, Isa Mustafa, lehnte die scharfzüngige Kritikerin ab und ließ sie nicht an Wahlen teilnehmen.
Albin Kurti, der am Montag (22.3.) als Premierminister Kosovos gewählt wurde, entdeckte ihr Potential, auch weil er die Diaspora schon immer im Blick hatte. Überraschend kandidierte Donika Gërvalla auf der neu gegründeten Liste von Vjosa Osmani, "Guxo" (deutsch: "Trau dich"), im Januar 2021 zum ersten Mal für das kosovarische Parlament und erhielt 70.000 Stimmen - mehr als der damalige Premierminister Kosovos, Avdullah Hoti. Das Duo Kurti-Gërvalla wird Kosovo nun in die Verhandlungen mit Serbien führen.
Inspiriert durch die deutsche Geschichte
"Wir werden unsere europäischen und US-amerikanischen Partner um Hilfe bitten, eine gemeinsame Strategie zu entwickeln, und unsere rote Linie zeigen", sagte Gërvalla noch vor der Parlamentswahl. Sie vertraue den USA unter Biden, der EU und Deutschland voll und ganz.
Ihre deutschen Erfahrungen und die jüngere deutsche Geschichte werden in ihrer Politik zweifellos mitschwingen - besonders was das heikle Thema einer möglichen Vereinigung zwischen Kosovo und Albanien angeht. In Interviews betont sie oft, sie werde nie etwas dagegen haben, die Albaner beider Länder eines Tages räumlich vereint zu sehen. "Wie diese räumliche Vereinigung aussehen wird, ob in der EU oder anders, das kann ich momentan nicht sagen. Aber eins ist klar: Sie muss in Übereinstimmung mit unseren Nachbarn sein."