Doping 2.0
2. Juli 2010Zum Start der Tour de France ist es verdächtig ruhig. Weder droht unmittelbar ein neues Doping-Netzwerk aufzufliegen, noch gibt es Diskussionen über den Start verdächtiger Fahrer. Dennoch ist da ein Thema, über das seit Wochen getuschelt und manchmal auch offen gestritten wird: Motor-Doping. Mit kleinen Elektro-Motoren getunte Rennmaschinen sind längst möglich und werden bereits im Profilager eingesetzt, behaupten die einen wie zum Beispiel der italienische Ex-Radprofi Davide Cassani. Im italienischen Fernsehen stellte er ein aufgerüstetes Rennrad vor und tönte, damit könne selbst er als 50-Jähriger noch eine Rundfahrt gewinnen. Andere wischten jene Spekulationen schnell vom Tisch: "Die Batterien haben die Größe eines Pakets Zucker, sie wären nicht unsichtbar", sagte der Präsident des Radsport-Weltverbandes UCI Pat McQuaid.
Bei so viel Polemik lohnt ein genauerer Blick auf das Corpus Delicti: Es sieht aus wie ein normales Fahrrad und es klingt auch wie ein normales Fahrrad – bis man den roten Knopf am Lenker drückt. Dann hört man plötzlich ein leises Summen aus dem Tretlager, in das der kleine Elektro-Motor eingebaut ist. Der hilft beim Treten – ähnlich wie beim Pedelec (Motor nur zur Unterstützung der Muskelkraft) oder E-Bike (kann auch ohne Treten gefahren werden). Nur: Hier macht man aus der motorisierten Unterstützung ein Geheimnis. Der Zweck ist klar: Der Nebenmann soll nicht merken, warum man am Berg so leichtfüßig tritt. Fahrradmechaniker Salvatore Gambino erklärt die Wirkung des Motors: "Im besten Falle schießt er zur selbst aufgebrachten Kraft noch einmal 100 Watt dazu."
100 Watt zusätzlich - eine unwiderstehliche Verlockung?
Im Profibereich können diese 100 Watt über Sieg oder Niederlage entscheiden. Und da im professionellen Radsport nach den Erfahrungen der letzten Jahre alles für einen kleinen Vorteil gegenüber der Konkurrenz getan wird, überraschte diese Nachricht nicht wirklich: Der kleine Elektromotor soll schon im Rennen eingesetzt worden sein. Der Schweizer Fabian Cancellara habe bei seinen Fabelsiegen bei den Klassikern Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix auf das mechanische Doping zurückgegriffen, munkelten Konkurrenten und Journalisten – ohne allerdings einen Beweis dafür zu haben.
"Absoluter Schwachsinn" nannte der Beschuldigte die Vorwürfe und ergänzte trotzig: "Ich habe einen Motor, aber das ist mein Körper. Das ist der leistungsfähigste Motor, den man sich vorstellen kann." Es gibt aber auch andere Stimmen, wie die von Marco Bognetti, einem ehemaligen Mitglied der Technikkommission der UCI: "Es ist alles wahr. Es gibt Teams und Fahrer, die unter Verdacht stehen. Zum ersten Mal hörten wir letzten Juli (2009, Anm. d. Red.) davon, während der Tour de France", sagte er der italienischen Zeitung "L’Avvenire". Auch Patrick Lefevere, Teamchef von Quick Step, hält Motor-Doping mittlerweile für möglich: "Ich habe lange Zeit auch zu denen gehört, die nicht daran geglaubt haben, aber jetzt beginne ich zu zweifeln." Was fehlt, sind Beweise. Die sind allerdings nur schwer zu erbringen, denn von außen ist der eingebaute "elektronische Rückenwind" kaum sichtbar.
"Kein Problem, den Akku zu verstecken"
"Der Motor wird in das Sattelrohr versenkt und treibt durch ein Schneckengetriebe das Gegenstück an der Kurbel an. Die Steuerung des Motors ist in der Sattelstütze integriert, der Akku momentan außerhalb in einer Sattelstütze montiert", erklärt Zweiradmeister Salvatore Gambino den Aufbau des Zusatz-Antriebes des österreichischen Herstellers Gruber. Dort baut man seit vielen Jahren elektronische Zusatzmotoren für Fahrräder, aber erst seit kurzem passen die dazugehörigen Akkus in eine kleine Satteltasche. Salvatore Gambino, der in seinem Radladen im rheinischen Bad Honnef immer häufiger nach dem rund 3.000 Euro teuren Elektromotor gefragt wird, sieht auch hier kein Hindernis für Betrüger: "Es wäre kein Problem, den Akku mit etwas Bastelarbeit im Rahmen zu verstecken."
Wenn man den Motor nicht mehr sieht, bleibt nur noch das Problem des Fahrgeräusches. Im Fahrtest zeigt sich die Schwachstelle des Gruber-Motors: Sobald man den Startknopf drückt, fängt der Motor an zu summen und zwar so laut, dass ihn sowohl andere Fahrer als auch Zuschauer problemlos hören könnten. Nur wenn man exakt die vorher eingestellte Drehzahl anschlägt, verstummt das Summen. "Es ist unmöglich diesen Motor geheim zu halten", sagt Gambino. Und noch einen Nachteil hat das Gruber-Modell: Motor, Akku und Steuerung wiegen zusammen 2,5 Kilogramm – ein echter Nachteil am Berg, wo jedes Gramm zählt.
"Der Radsport hätte ein riesiges Problem"
Dennoch nimmt der Weltradsportverband das Szenario des Motor-Dopings durchaus ernst. Bereits während der Tour de France sollen spezielle Scanner eingesetzt werden, um versteckte Motoren zu erkennen. Kaum verwunderlich, denn sollten nun auch noch die Fahrräder manipuliert sein, wäre die ohnehin stark angekratzte Glaubwürdigkeit des Radsports endgültig dahin. "Wenn wir herausfinden, dass die Gerüchte wahr sind, hätte der Radsport ein riesiges Problem", sagte UCI-Sprecher Enrico Carpani gegenüber der DEUTSCHEN WELLE.
Salvatore Gambino verfolgt die Entwicklung der kleinen Hilfsmotoren seit Jahren und glaubt, dass die Kinderkrankheiten bald behoben sein könnten: "Wenn man sich die Entwicklung in den letzten zwei Jahren anschaut, sind die größeren Rad-Motoren nahezu geräuschlos geworden und können den Fahrer mit richtig viel Kraft unterstützen. Wenn man jetzt noch ein paar Jahre weiter denkt, ist der kleine, im Rahmen versenkte und geräuschlose Motor garantiert keine Utopie mehr."
Autor: Joscha Weber
Redaktion: Jens Krepela