Seppelt reist nicht nach Russland
13. Juni 2018Wer Hajo Seppelt kennt, kann diese Aussage nur bestätigen: "Angstbesessen bin ich sicher nicht, sonst würde ich den Job nicht machen." Der Journalist und Doping-Experte, der für die ARD, aber auch für die DW tätig ist, ist wahrlich niemand, der Risiken scheut. Er legte sich mit vielen an, mit den Mächtigen des Sports, aber auch denen der Politik. Er deckte auf, was einflussreiche Kreise lieber im Verborgenen belassen hätten. Er lässt sich mit finanziellen Schwergewichten auf juristische Auseinandersetzungen ein - weil er überzeugt ist, dass er im Recht ist. Hajo Seppelt hat schon viel dafür getan, dass die schmutzige Wahrheit über Doping im Weltsport ans Licht kommt. Nun tut er nach langem Abwägen etwas nicht - und das will etwas heißen.
Ein "unberechenbares Risiko" für Seppelt
Seppelt reist nicht zur WM nach Russland. Es ist das Land, in dem er mit Kollegen und Whistleblowern wie dem ehemaligen Leiter des Anti-Doping-Labors, Grigori Rodschenkow, den größten Doping-Skandal der Geschichte aufdeckte. Teil dieses Skandals ist nach Erkenntnissen Seppelts und weiterer Journalisten wohl auch das russische WM-Team. Er tut dies, weil nach Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden ein "unberechenbares Risiko" für ihn in Russland bestehe. Die Entscheidung trafen die ARD, vertreten durch die Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg, Patricia Schlesinger, und ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky, sowie Seppelt nach eigenen Angaben nach einem Gespräch mit Außenminister Heiko Maas. Getroffen wurde diese Entscheidung aufgrund von Gefährdungsanalysen von Bundessicherheitsbehörden, darunter das Bundeskriminalamt (BKA), der Nachrichtendienste und des Landeskriminalamts Berlin (LKA), dessen Einschätzung dem ARD-Politikmagazin Kontraste vorliegt.
Die Gefahr für den Journalisten sei konkret, hieß es, und "dass das Auswärtige Amt die Analysen auch der zuständigen Innenbehörden ernst nehmen müsse und mit Blick auf Sicherheitsfragen zu keiner anders gelagerten Einschätzung gelangen könne." Die Einschätzung teile auch das LKA Berlin, hieß es bei der ARD. In dessen Analyse stand schon Mitte Mai, dass "dringend von einer Reise Seppelts nach Russland abgeraten werde. In die Analyse waren neben dem LKA und dem BKA auch deutsche Nachrichtendienste einbezogen."
Seppelt drohte offenbar Verhaftung oder sogar Gewalttat
Der 55 Jahre alte TV-Journalist, der erst vor wenigen Tagen für seine Arbeit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, hatte im Mai zunächst kein Visum für die WM erhalten. Diese Entscheidung war - auch auf internationalen Druck - von Russland wieder zurückgenommen worden. Der Berliner sollte im Falle einer Einreise aber zu den laufenden russischen Ermittlungen gegen den Doping-Kronzeugen Grigori Rodschenkow vernommen werden.
Kern des Problems ist die Aufdeckung des russischen Staatsdoping-Skandals, verbunden mit Kronzeuge Grigori Rodschenkow. Der befindet sich im Zeugenschutzprogramm des FBI und russische Behörden wüssten nur zu gern mehr von Seppelt über seinen Whistleblower. Angesichts der russischen Untersuchungen zu den Dopingvorwürfen befürchten die deutschen Sicherheitsbehörden ein "unberechenbares Risiko" einer "rechtlichen Eskalation" durch die Behörden im WM-Gastgeberland. Das bedeutet, dass Seppelt Gefahr läuft, festgesetzt zu werden, wenn das russische Komitee der Auffassung sei, dass er nicht kooperiere. Außerdem seien "spontane Gewalttaten selbstmotivierter Akteure" nicht auszuschließen.
Seppelt sah sich in russischen Medien - aber auch in den sozialen Netzwerken - erheblichen Anfeindungen aus Russland ausgesetzt. Die reichten von Karikaturen bis zu Morddrohungen. "Was sagt das über den Sportjournalismus aus, wenn es inzwischen schon so weit gekommen ist - und was sagt es vor allem darüber aus, was Menschen passiert, die als Journalisten in Russland leben", sagte Seppelt dem Magazin Kontraste dazu. Er erhält Beistand von der deutschen Politik: Dagmar Freitag, Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, sieht die Freiheit der Berichterstattung in Russland eingeschränkt. "Solche Länder kommen zukünftig nicht mehr in Frage für internationale Veranstaltungen", sagte die SPD-Politikerin dem Magazin Kontraste. Rbb-Intendantin Patricia Schlesinger ergänzte: "Die Tatsache, dass wir davon ausgehen, dass der Grad der Gefahr relativ hoch ist, heißt ja, dass dort ein kritischer Journalismus nicht nur nicht erwünscht ist, sondern auch nicht geduldet wird."
jw (mit ARD, sid, dpa)