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Im Doppelpack: Brüder Coen leiten Cannes-Jury

Jochen Kürten14. Mai 2015

Für den Wettbewerb der 68. Filmfestspiele in Cannes haben in diesem Jahr die Brüder Joel und Ethan Coen den Vorsitz. Die Entscheidung über die weltweit wichtigsten Filmfestivalpreise hängt also von zwei Augenpaaren ab.

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Cannes Filmfestival 2015 Ethan und Joel Coen AUSSCHNITT
Bild: AFP/Getty Images/A.-C. Poujoulat

Es dürfte nur wenige Regisseure weltweit geben, die über alle Landesgrenzen hinweg eine derart eingeschworene Fangemeinde haben. Die Brüder Coen, die seit Mitte der '80er Jahre im Geschäft sind, haben das einem scheinbaren Paradox zu verdanken. Ihre Filme stehen für Hollywood und modernes amerikanisches Unterhaltungskino in Vollendung, gleichzeitig aber auch für den ambitionierten Autorenfilm europäischer Schule und den Anspruch, dass Kino auch Kunst sein kann.

Unterhaltung und Kunst

Es war eine weise Entscheidung der Festivalleitung von Cannes, in diesem Jahr die Brüder Coen an die Spitze der internationalen Jury zu berufen. Die Coens stehen eindeutig für beide Produktionsschienen: für große Unterhaltung und große Film-Kunst. Ihre Kinofilme vereinen das, was in Deutschland manchmal als Kulturkampf zwischen E und U verstanden wird, zwischen "Ernster Kunst" und "Unterhaltung".

Bildergalerie Roter Teppich Cannes 2013
Coole Profis auch auf dem roten Teppich von Cannes: Joel Coen (2.v.li) und sein Bruder Ethan (3.v.re)Bild: Vittorio Zunino Celotto/AFP/Getty Images

Vielleicht haben die Coens die Fähigkeit, beide Pole zu vereinen, dem Umstand zu verdanken, dass sie ihre Filme im Duo abliefern. Joel wird meist als Regisseur vorgestellt und Ethan als Drehbuchautor. Doch die Zusammenarbeit der beiden gilt als derart eng, dass es auch für Experten schwierig sein dürfte, herauszufinden, wer nun welchen Anteil am Gelingen ihrer Filme hat. Auch der Blick auf die Ausbildung der beiden Amerikaner hilft nur bedingt weiter: Joel studierte Film in New York, Ethan Philosophie an der Princeton-Universität.

Mit Filmpreisen überschüttet

Die Filme der Coen-Brüder wirken meist wie aus einem Guss. Handwerk und Geist finden auf der Leinwand traumwandlerisch zusammen. Das haben auch Festivals und die Oscar-Akademie gewürdigt: Vier Oscars, fast ein Dutzend Nominierungen, die Goldene Palme (1991 für "Barton Fink" ) sowie zwei weitere Preise in Cannes (u.a. für "Fargo" 1996) für die jeweils "Beste Regie" sprechen eine deutliche Sprache. Dabei sind ihre Filme auch an den Kinokassen kontinuierlich erfolgreich, meist spielen sie mühelos die Produktionskosten ein.

Bildgalerie Filme der 2000er No Country for Old Men
Drei Oscars für den Coen-Film "No Counry for Old Men" (2000)Bild: Miramax Films

"No Country for Old Men" wurde vor sieben Jahren gleich mit drei Oscar-Statuetten ausgezeichnet. Die Ballade um Drogen, Mord und einen durchgeknallten Killer geizte nicht mit spektakulär brutalen Szenen und sprach so auch ein Publikum an, dass stillere Werke wie den autobiografisch gefärbten "A Serious Man" oder die Musiker-Ballade "Inside Llewyn Davis" (Foto) meiden würde.

Jüdisch-amerikanische Herkunft

Die Coens kommen aus einer jüdisch-amerikanischen Akademiker-Familie. Der Vater war Professor für Wirtschaft, die Mutter unterrichtete Kunstgeschichte. Diese Herkunft hat beide entschieden geprägt. Die Coen-Brüder können offenbar gut rechnen und kalkulieren, wissen genau, dass das Filmgeschäft in den USA tief verwurzelt ist im Kommerz. Andererseits sind ihre Filmfiguren oft kunstvoll angelegt und psychologisch ausgefeilt, dass man an literarische Vorbilder denken mag.

Wettbewerbsfilme Cannes Filmfestival 2013 Inside Llewyn Davis Coen-Brüder
Starkes Musikerporträt: Schauspieler Oscar Isaac in "Inside Llewyn Davis" (2012)Bild: picture-alliance/ZUMA Press

Ihre berühmten Kinofilme wie "Barton Fink", "Fargo", "The Big Lebowski" oder "The Man who wasn't there" erzählen Geschichten mit einem unnachahmlich hintergründigen Witz, einer mal feinen, mal herben Ironie und oft ins Absurde gesteigerten Dramaturgie, die beispiellos ist. In ihren Filmen wimmelt es nur so von skurrilen und verschrobenen Charakteren. Doch die Coens halten immer das Gleichgewicht zwischen Witz und Satire, Ernsthaftigkeit und feiner Psychologie. Die Figuren werden nicht denunziert, aber man kann herzhaft über sie lachen. Mit viel Liebe und Anteilnahme werden sie in ihren unterhaltsamen Filmen durch den Kakao gezogen.

Cineastischer Umgang mit der Kinohistorie

Ebenso sicher agieren die Coen-Brüder, wenn es darum geht, die Filmgeschichte zu zitieren. Viele ihrer Werke strotzen nur so von Anspielungen auf amerikanische Genrefilme. Insbesondere der Film Noir hat es ihnen angetan. Schon ihr Debüt 1984 mit "Blood Simple" war eine tiefe Verbeugung vor den filmischen Vorbildern aus den '40er und '50er Jahren, den Filmen von Regielegenden wie Howard Hawks oder John Huston oder den Romanen eines Raymond Chandler und Dashiell Hammett.

A Serious Man (Foto: Tobis Film)
Geniestreich aus dem Jahre 2009: "A Serious Man"Bild: TOBIS Film

Doch Ethan und Joel Coen sind keine Bilderplünderer. Wer mag, der kann sich erfreuen an den Zitaten und Anspielungen. Doch die Coen-Filme funktionieren auch ohne diese Metaebene. Auf eine vollendete Art und Weise sind sie unterhaltsam und intelligent.

Hochkarätige Jury in Cannes

Unterstützt werden die Coen-Brüder bei ihrer Jury-Arbeit in den nächsten Tagen von Schauspielerinnen wie Sophie Marceau und Sienna Miller, von Regisseuren wie Xavier Dolan und Guillermo del Toro. Doch man kann sicher sein, dass die beiden, die inzwischen ein Gesamtwerk von 17 gemeinsamen Filme vorweisen können, ihr gewichtiges Urteil in die Waagschale werfen werden, wer in diesem Jahr die Goldenen und Silbernen Palmen gewinnt.

In Cannes kennen sie sich prächtig aus. Nicht weniger als sieben ihrer Filme feierten bisher an der Croisette Premiere. Am 24. Mai darf man sich also freuen, wenn Joel und Ethan Coen die traditionelle Ansage im Festsaal des Gala-Kinos von Cannes zelebrieren werden: "And the Winner is…".