Draghi-Bashing ist nicht alles
16. Oktober 2014In der Eurozone mehren sich wieder einmal die Krisensymptome. Das Wachstum lässt nach, die Arbeitslosigkeit steigt, Strukturreformen lassen auf sich warten, die beiden wichtigen Euro-Säulen Frankreich und Italien verlieren weiter an Wettbewerbsfähigkeit - manche Experten sprechen nur von der Eurokrise 2.0, andere sehen dagegen die gesamte Existenz der Eurozone gefährdet.
Klar, dass da wieder einmal Schuldige gesucht werden. Amerikaner, Italiener und Franzosen zeigen dabei auf den deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble, der doch partout kein schuldenfinanziertes Investitionsprogramm auflegen will. Ein "Spiegel"-Kolumnist will erfahren haben, dass US-Banker Schäubles Sehnsucht nach einer schwarzen Null als einen Akt des globalen Wirtschaftsterrorismus bezeichnen und seine Weigerung zum Kurswechsel mit der ideologischen Verbohrtheit der republikanischen Tea-Party vergleichen, die jede sinnvolle Arbeit im US-Kongress verhindert.
Das sind zwar griffige Formulierungen, aber sie gehen natürlich an der Realität vorbei. Im Grunde sind sie äußerst naiv. Denn auch US-Ökonomen und -Banker können nicht ernsthaft erwarten, dass ein paar Milliarden, die in Deutschland in die Beseitigung von Schlaglöchern, die Sanierung von Schultoiletten und die Förderung der kindlichen Früherziehung investiert würden, tatsächlich in der Lage wären, die Konjunktur Europas anzukurbeln.
Inzwischen geht es auch längst nicht mehr um die Konjunktur, um ein paar Pünktchen mehr oder weniger bei der Wirtschaftsleistung der einzelnen Euro-Länder. Inzwischen müsste auch der glühendste Euro-Verehrer begriffen haben, dass dieses Währungssystem in einer tiefen Strukturkrise steckt - und das im Grunde schon seit der Einführung der gemeinsamen Währung.
Wenn sich souveräne Staaten eine gemeinsame Währung geben und darauf beharren, eine eigene Finanz-, Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik zu betreiben, dann sorgt eine ganz simple Wirtschaftsmechanik dafür, dass dieses System zum Kollabieren neigt. Denn das Beharren auf eine souveräne Finanz- und Wirtschaftspolitik bewirkt, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit in den verschiedenen Ländern unterschiedlich entwickelt. Und diese Ungleichgewichte werden immer größer, weil in einem gemeinsamen Währungsraum die Ausgleichsmechanik der unterschiedlichen Wechselkurse fehlt. Länder, denen es mau geht, können nicht mehr abwerten so wie früher. Das sind die Fliehkräfte, die den Euro zu zerreißen drohen.
Die tragische Figur in diesem Spiel heißt Mario Draghi. Der Italiener an der Spitze der Europäischen Zentralbank soll mit seiner Geldpolitik die Quadratur des Kreises erreichen, soll alle Fliehkräfte, denen der Euro ausgesetzt ist, zukleistern. Er muss die Geldschleusen öffnen, damit die marode Bankenlandschaft nicht austrocknet. Er muss die Zinsen gen Null senken, weil einige Politiker immer noch glauben, man könne mit Geldpolitik und niedrigen Zinsen die Konjunktur ankurbeln.
Vor zwei Jahren hat Mario Draghi die Fliehkräfte, die auf den Euro einwirken, noch einmal eindämmen können, als er den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen maroder Länder ankündigte. Das hat die Märkte beruhigt, die Zinsen für Staatsanleihen aus südlichen Ländern gesenkt - aber die Krise nicht gelöst. Im Gegenteil: Eine ultralockere Geldpolitik birgt die Gefahr neuer Blasen, der Zins hat seine Funktion als Risikoprämie verloren, die Jagd nach Rendite lässt die Risikobereitschaft an den Finanzmärkten steigen.
Nun wird Mario Draghi sich an den letzten Strohhalm klammern und sein Ankaufprogramm in die Tat umsetzen. Dann können sich die wackligen Euroländer wieder günstig verschulden, das ist allemal bequemer als die Ursachen der Krise selbst zu bekämpfen. Die Fliehkräfte des Euro zähmt man nur, wenn man versucht, seine Wettbewerbsfähigkeit wieder zu erlangen und seinen Standort wieder attraktiv für ausländische Investoren zu machen. Durch bescheidene Lohnsteigerungen, weniger Bürokratie, Reformen am Arbeitsmarkt, Investitionen in die Infrastruktur -kurz: mit Strukturreformen.
Mario Draghi als den großen Verführer darzustellen, der mit seiner Politik des reichlichen Geldes den Reformeifer vieler Länder erlahmen lässt, ist nur die halbe Wahrheit. Er ist auch ein Getriebener, getrieben von der Politik und von den Märkten. Seine Politik ist eine Art Notwehr, um die Konsequenzen der Eurokrise hinauszuzögern. Erst wenn sein Anleihekaufprogramm keine Wirkung zeigt, wenn immer deutlicher wird, dass es einen zweiten Schuldenschnitt geben muss, erst dann werden hoffentlich auch die letzten Politiker begreifen: Ohne eine reale Abwertung im eigenen Land, durch bescheidenere Löhne und Ansprüche, und ohne Strukturreformen geht es nicht. Denn Geldpolitik ersetzt auf Dauer weder Konjunktur- noch Reformpolitik, sie und Mario Draghi allein können den Euro nicht retten.