Draxler: "Das war wichtig für mein Ego"
12. Oktober 2016Eine gute Stunde nach dem Abpfiff schlich Julian Draxler an den TV-Kameras vorbei, parkte seinen Körper etwas abseits von den wartenden Journalisten und tippte auf seinem Mobiltelefon herum. Der 23-Jährige hatte sein Cappy leicht ins Gesicht gezogen, sein kleiner Rollkoffer stand neben ihm. "Ich habe ein paar Nachrichten wegen meines Tores bekommen, aber nichts Außergewöhnliches", erzählte der Offensivspieler. "Ich habe eigentlich nur auf meine Familie gewartet". Die hatte den 2:0 (2:0)-Erfolg der DFB-Elf gegen Nordirland und den guten Auftritt ihres Sohnes von der Tribüne aus beobachtet. Draxler nahm die Glückwünsche seiner Eltern gern an. Seine Augen strahlten, er lächelte. "Ich bin erleichtert. Die vergangenen Wochen habe ich ja nicht getroffen", erklärte der Nationalspieler. "Es war für mich sehr schön, dass ich heute ein Tor erzielt habe. Das war wichtig für mein Selbstvertrauen und mein Ego."
Draxler, der schon in den vorangegangenen zwei WM-Qualifikationsspielen einen guten Eindruck hinterlassen hatte, erzielte in der 13. Minute aus rund 16 Metern die Führung gegen Nordirland und legte so den Grundstein für den verdienten Erfolg der Nationalmannschaft. Für den Weltmeister war es das dritte Spiel in Folge, bei dem er in der Startformation stand. Ein Vertrauensbeweis von Bundestrainer Joachim Löw und ein Beleg für die guten Leistungen Draxlers. "Ich glaube, ich habe mich bei der Europameisterschaft schon gut empfohlen und an die erste Elf herangearbeitet", analysierte er. "Wir haben viele gute Spieler auf meiner Position. Für mich ist das ein gutes Zeichen, dass ich die letzten beiden Spiele von Anfang an spielen durfte." Der Wolfsburger scheint sich im Nationalteam festgespielt zu haben, denn auch bei der EM in Frankreich hatte Löw auf ihn gesetzt. Und auch jetzt liefert Draxler weiter gute Argumente für sich.
"Wir haben eine schwere Situation"
Bei der Nationalmannschaft läuft es, doch in Wolfsburg sucht der Weltmeister weiter nach seiner Form. Bisher gab es für den 23-Jährigen in der Bundesliga noch keinen Grund zu jubeln. Seine Leistungen haben die Kritiker lauter werden lassen. Zu wenig Einsatz oder eine falsche Einstellung werden ihm vorgeworfen. Nach seiner Ankündigung im Sommer, den Verein verlassen zu wollen, wird er in der Autostadt ohnehin besonders intensiv beäugt. "Es geht jetzt weiter mit harter Arbeit. Ich will das Erfolgserlebnis jetzt auch im Verein haben", blickt Draxler aber lieber voraus auf die kommenden Spiele seiner "Wölfe".
Es sei einfach ein anderes Umfeld, eine andere Mannschaft. Man könne das nicht übereinanderlegen. Es seien eben zwei unterschiedliche Dinge. Den Vorwurf sich beim DFB mehr zu engagieren, wies Draxler energisch von sich und lenkte den Fokus stattdessen wieder auf seinen Arbeitgeber. "Wir haben eine schwere Situation in Wolfsburg, aus der wir zusammen wieder raus müssen."
Kritik an Draxler ist groß
Der Offensivakteur gab sich selbstbewusst und hofft nun, die positiven Erfahrungen bei der Nationalmannschaft auch auf seinen Klub übertragen zu können. Dass das nicht leicht werden dürfte, ist auch dem ehemaligen Schalker klar, denn die Kritik an ihm steigt mit jedem Misserfolg. Seit fünf Partien warten Draxler und seine Mitspieler bereits auf einen Sieg. Er selbst hat in dieser Bundesliga-Saison noch gar nicht getroffen. Genauso wie Neuzugang und Kumpel Mario Gomez. "Wir konzentrieren uns jetzt auf die nächste Aufgabe. Alles andere können wir sowieso nicht mehr ändern", sagte Draxler.
Das Ziel des 23-Jährigen ist die Teilnahme und Titelverteidigung bei der WM 2018 in Russland. Ob er dann aber noch Teil des "Wolfsrudels" aus der Autostadt ist, darf bezweifelt werden. An diesem Abend in Hannover genoss Draxler die letzten Stunden mit der Nationalmannschaft, wohl wissend, dass es ein besonderes Privileg ist, im Löw-Team dabei sein zu dürfen: "Ich bin froh über jede Minute, die ich bekomme, und dass ich mich als Teil dieser Mannschaft sehen kann. Denn das macht einfach einen Riesenspaß."