Drei Männer wollen das EU-Tempo bestimmen
17. Februar 2004Vor einem Jahr noch, beim EU-Sondergipfel zum Irak-Konflikt, waren Tony Blair, der Truppen in den Irak senden wollte, auf der einen Seite und die Kriegsgegner Jacques Chirac und Gerhard Schröder auf der anderen Seite tief zerstritten. Am Mittwoch (18.2.2004) - so viel ist abzusehen - werden die Regierungschefs aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland beim Gipfeltreffen in Berlin nun als ein Herz und eine Seele auftreten. Sie wollen dem Rest Europas demonstrieren, wer in der Europäischen Union (EU) die Führung übernehmen will. Binnen Jahresfrist haben der britische Premier, der französische Staatspräsident und der deutsche Bundeskanzler nicht alle ihre Differenzen in Sachen Irak überwunden, aber sie haben sich doch sehr weit angenähert.
Nicht im Abseits stehen
Am deutlichsten kam diese Annäherung zwischen den Großen Drei innerhalb der EU Ende 2003 durch den Beschluss zu einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik zum Ausdruck. In der Praxis hat sich Blair, der zuhause mit einer stark gegen die EU eingestellten Opposition und Boulevardpresse zu kämpfen hat, dem deutsch-französischen Motor angeschlossen, weil er im erweiterten Europa nicht im Abseits stehen will.
Nach dem gescheiterten Verfassungsgipfel im Dezember 2003 wollen Schröder und Chirac den deutsch-französischen Motor, der seit fast 50 Jahren die Union antreibt, in eine Pioniergruppe umwandeln, die schneller vorangeht als andere, auch außerhalb der bisher bestehenden EU-Verträge. Die Pionieridee hatte Chirac schon vor dem Bundestag vorgetragen und ließ sie nach dem Verfassungsdebakel wieder aufleben: "Ich habe vorgeschlagen - weil es eine unabweisbare Realität ist -, dass wir vielleicht wenige Länder in einer Gruppe der Pioniere haben müssen. Das heißt, diese Länder gehen voran, so wie das beim Euro schon vorgemacht worden ist. Es gibt zwei Vorbedingungen: Es darf nicht gegen den gemeinsamen rechtlichen Besitzstand der Union verstoßen werden, und die Tür muss offen für alle sein, die bereit sind, bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen." Nur Belgien, Ungarn, Tschechien und Griechenland wollten sich Anfang 2004 der Pioniergruppe, dem Europa der zwei Geschwindigkeiten, anschließen. Chiracs Plan verschwand deshalb wieder in der Schublade.
Zwei Geschwindigkeiten
Schröder geht davon aus, dass bei einem endgültigen Scheitern der Bemühungen, der EU eine Verfassung und handlungsfähigere Organe zu geben, unterschiedliche Entwicklungsgeschwindigkeiten unausweichlich werden: "Deutschland wird dafür arbeiten, dass das nicht passiert. Deutschland wird aber auch bereit sein, mit Frankreich und Großbritannien, mit anderen Gründungsmitgliedern und auch mit denen, die neu dazu gekommen sind, das, was man verstärkte Zusammenarbeit nennt, zu nutzen." Schröder, den mit Chirac derzeit politisch mehr verbindet als mit Blair, freut sich, dass der Brite mit an Bord ist. Nur so sei eine effektive Außen- und Sicherheitspolitik möglich.
Jetzt könnte der "flotte Dreier" der mit 25 Mitgliedern schwerfällig gewordenen Union wieder Beine machen und die bitter notwendige Führung gewährleisten. Das ist die optimistische Sicht. Die pessimistische, die vor allem von der EU-Kommission und Diplomaten kleinerer Staaten genährt wird, lautet: Erst haben Deutsche und Franzosen zusammen den Stabilitätspakt ausgehebelt, jetzt werden sie gemeinsam mit Großbritannien daran gehen, der Außenpolitik, aber auch der Wirtschaftspolitik ihren Stempel aufzudrücken.
Es geht zur Sache
Viele kleine EU-Mitglieder sehen die verstärkte Zusammenarbeit der großen Drei skeptisch. Ein tschechischer Diplomat sagte in Brüssel, die drei seien wichtig, aber der geografische Schwerpunkt der Union verschiebe sich durch die Erweiterung am 1. Mai 2004 nach Osten.
Es geht zur Sache: Blair, Chirac und Schröder werden am Mittwoch (18.2.2004) in Berlin einen kritischen Brief an die EU-Kommission verfassen, der wesentliche Änderungen an einem Investitionsprogramm verlangt, das auf dem Frühjahrsgipfel Ende März 2004 beschlossen werden soll. Doch auch die kleinen und neuen Staaten handeln. Einige von ihnen haben ebenfalls einen Brief nach Brüssel geschrieben, in dem sie sich gegen ein Europa der zwei Geschwindigkeiten aussprechen.